© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Klagelieder gen Brüssel
Italien: Engagiert fischt Rom mit dem Projekt Mare Nostrum Zehntausende illegale Migranten aus dem Mittelmeer und schickt sie dann gern weiter gen Norden
Fabio Collovati

Ab dem 18. Oktober könnte in der europäischen Flüchtlingspolitik eine Zäsur eingeleitet werden. Dann läuft in Italien das Projekt Mare Nostrum aus. Rom rief es vor knapp einem Jahr ins Leben, um Flüchtlingen und illegalen Migranten zu helfen, die teilweise unter abenteuerlichen Bedingungen aus Afrika und dem Nahen Osten auf dem Seeweg nach Europa wollen. Anlaß waren die Bootshavarien im Herbst 2013, bei den binnen weniger Tage 400 Menschen im Mittelmeer ertranken.

Die italienische Marine patrouilliert seitdem mit fünf Schiffen, zwei Helikop-tern und einem Aufklärungsflugzeug. Dabei sollen einerseits Schiffbrüchige aufgegriffen, andererseits aber auch Schlepperbanden dingfest gemacht werden.

Große Probleme mit Westafrikanern

Nun stellte der italienische Innenminister Angelino Alfano der EU quasi ein Ultimatum: „Die Verantwortung über die Grenze im Mittelmeer muß die EU übernehmen. Die Flüchtlinge wollen nach Europa und nicht nach Italien.“ Es sei immer Ziel der Italiener gewesen, „jene aufzunehmen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und gleichzeitig die Gesetze in Italien durchzusetzen“. Seit Oktober 2013 seien 70.000 Flüchtlinge im Mittelmeer aufgegriffen worden. „Wir können nicht wissen, wie viele davon ohne uns gestorben wären. Wir sind stolz darauf, Leben gerettet zu haben“, erklärte Alfano und verweist mit Blickrichtung Brüssel immer wieder auf die hohen monatlichen Kosten von neun Millionen Euro für das Mare-Nostrum-Projekt. Zuviel Geld für den finanziell krisengeschüttelten italienischen Staat, der die Verantwortung an die europäische Grenzschutzagentur Frontex abgeben möchte.

Außer Frage steht, daß nur die wenigsten Flüchtlinge und Illegalen in Italien bleiben wollen. Das Land bietet selbst anerkannten Asylbewerbern keine Sozialleistungen, und Aussicht auf Arbeit besteht ohnehin keine. Vor allem Syrer würden die Aufnahmelager schnell verlassen. Sie ziehe ist es weiter zu Verwandten nach West- und Nordeuropa, erzählt Luigi Ammatuna, Bürgermeister von Pozzallo, einem Ort auf Sizilien, der zahlreiche Flüchtlinge beherbergt.

Was mit den Zuwanderern passiert, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann wirft den italienischen Behörden vor, Flüchtlinge zur Weiterreise nach Deutschland zu animieren. Er machte gegenüber der Tagesschau die lasche Aufnahmepraxis für den Anstieg der Asylanträge in Deutschland verantwortlich.

Rom streitet diese Darstellung vehement ab. Innenminister Alfano wirft der deutschen Politik „Arroganz und Zynismus“ vor und appelliert an die Gemeinsamkeiten der EU: „Die Probleme sind humanitärer Art und Italien kann sie nicht alleine lösen. Es kann nicht unsere Schuld sein, daß wir zufällig Außengrenzen im Meer haben. Es sind auch die Grenzen der EU.“

Auch Kommunalpolitiker Ammatuna dementiert die kritisierte Passivität der regionalen Behörden mit Nachdruck. „Von jedem Flüchtling werden Fingerabdrücke genommen. Sollte jemand später in Deutschland oder Großbritannien um Asyl bitten, kann er identifiziert werden.“ Nach dem Dublin-II-Abkommen müßte er dann ins Einreiseland, also Italien, zurückgeschickt werden.

Innenminister Alfano hält diese Regelung für Unsinn und ungerecht. In der auflagenstarken Tageszeitung La Repubblica erklärte er, „daß es jedem Menschen einleuchten müsse, daß es einfacher und günstiger ist, von Afrika mit dem Boot nach Italien zu gelangen, als mit dem Flugzeug nach Deutschland“.

Das größte Problem sei die Tatsache, daß die Identität der Betroffenen nur schwer überprüfbar sei. Vor allem Westafrikaner würden sich einer Personenfeststellung gern entziehen, so Ammatuna. Sie haben kein Geld, keine Papiere. Das einzige, was sie haben, sei Hunger, sagt er mit einem Anflug von Zynismus. Mit mehreren Amtskollegen aus umliegenden Gemeinden habe er sich an die Regierung gewandt. Denn durch den Flüchtlingsstrom sei der Tourismus zum Erliegen gekommen. Dennoch plädiert Ammatuna dafür, Mare Nostrum fortzuführen: „Sonst fischen wir nur noch die Toten aus dem Wasser. Das wäre ein Armutszeugnis für die EU.“

Doch darauf will es Brüssel nicht ankommen lassen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sagte Rom Unterstützung zu und kündigte an, Frontex ausbauen zu wollen. „Die Kommission wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um sicherzustellen, daß die ganze Europäische Union, alle Mitgliedstaaten, eine stärkere Rolle spielen, um Italien dabei zu unterstützen, die Migrationsflüsse im Mittelmeer zu bewältigen.“ Gleichzeitig rief sie die Mitgliedstaaten zu mehr Solidarität auf: „Es ist etwas, was uns alle angeht, und es ist eine Herausforderung, die nicht verschwinden wird.“

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