© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Kurz vor dem Kollaps
Asyl: Die rasant steigende Zahl von Flüchtlingen überfordert das Land
Christian Vollradt

In Hamburg und im Ruhrgebiet wurden Zeltstädte errichtet, in München wurde für eine Weile niemand mehr aufgenommen: In ganz Deutschland steigt die Zahl der Flüchtlinge so stark wie seit Jahren nicht mehr. Die Einrichtungen für die Erstaufnahme in den Bundesländern platzen aus allen Nähten, die Kommunen, denen die Leute dann zugewiesen werden, stöhnen, weil auch ihnen der Platz für die Unterbringung fehlt – und vor allem das Geld.

Insgesamt 19.431 Asylanträge gingen allein im Juli dieses Jahres beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (BAMF) ein, der höchste Juli-Wert seit 1993. Allein knapp 16.200 Erstanträge nahm die Behörde entgegen, was einem Zuwachs gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um über 70 Prozent entspricht. Von Januar bis Juli 2014 wurden 97.093 Asylanträge gestellt; das Bundesinnenministerium rechnet damit, daß sich bis Ende des Jahres diese Anzahl noch einmal auf rund 200.000 verdoppeln wird (siehe Grafik).

Das BAMF muß mehr Fälle bearbeiten, dadurch verlängert sich meist auch die Zeit, die ein Antragsteller bis zum Bescheid warten muß; und mit dieser Wartezeit erhöht sich wiederum die Zahl der Personen, die untergebracht, betreut und finanziert werden muß, erfuhr die JUNGE FREIHEIT von einem Behördensprecher.

Besonders unter Vertretern der Städte und Gemeinden wächst der Unmut über die unhaltbaren Zustände. Ihr Vorwurf geht in Richtung der Länder: Sie würden viel zu schnell auch diejenigen aus den Erstaufnahmestellen an die Kommunen weiterleiten, deren Asylanträge ganz offensichtlich unbegründet seien. Dies betrifft vor allem rumänische oder bulgarische Staatsbürger, Leute also, die aus sogenannten sicheren Drittstaaten beziehungsweise sogar aus EU-Mitgliedsstaaten kommen.

Zahl der illegalen Einreisen steigt stark

Außerdem gehe es bei der Bezahlung unfair zu. Nordrhein-Westfalen, moniert der Deutsche Städtetag, erstatte mancher Stadt lediglich 20 Prozent der Kosten, Kommunen in Bayern dagegen bekämen rund 80 Prozent. Unterstützung hat nun Berlin zugesagt. Für besonders betroffene Städte will der Bund 2014 noch 25 Millionen Euro extra für Unterkunft, 10 Millionen für Gesundheit und 40 Millionen für Integrationskurse bereitstellen.

Unterdessen ist der Süden Deutschlands Haupteinfallstor für Personen, die auf dem Landweg illegal einreisen. Sie kommen entweder über die „Balkan-“ oder die „Brennerroute“, andere reisen aus Italien per Zug. Um die unerlaubte Einreise nach Deutschland zu unterbinden, kontrollieren spezielle Ermittlungsgruppen der Bundespolizei Autobahnen und Züge. Die Zahl der dabei aufgegriffenen Personen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen (siehe Infokasten). Ärgerlich stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) jüngst fest, daß Rom unter Mißachtung europäischer Regeln die Flüchtlinge „ohne Registrierung und ohne ein Asylverfahren“ weiterziehen lasse. Die Italiener, die unter einem Ansturm auf ihre Küsten und überfüllten Aufnahmelagern ächzen, entledigen sich somit mehr oder weniger elegant der Probleme.

Da von denen, die vorrangig aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa wollen, ohnehin kaum jemandem Italien als Wunschziel vorschwebt, ist der Weg gen Norden quasi vorgezeichnet. Anders als auf der Apennin-Halbinsel werden in Deutschland Asylbewerber spätestens seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012 nahezu wie einheimische Sozialhilfeempfänger alimentiert.

Je nach Art der Unterbringung, des Familienstands oder des Gesundheitszustands kostet ein Asylbewerber pro Jahr zwischen 5.000 und 12.000 Euro brutto. In der Gesamtsumme kamen für das Jahr 2012 Kosten in Höhe von über einer Milliarde Euro zusammen. An der Anerkennungsquote (siehe Grafik) hat sich indes wenig geändert: Nur 1,1 Prozent aller Asylanträge werden positiv beschieden, über 75 Prozent der Antragsteller haben noch nicht einmal Anspruch auf den Schutz vor einer Abschiebung.

 

Königsteiner Schlüssel

Die Verteilung von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, ist mit dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“ geregelt. Er legt die exakten Quoten fest, die jedes Bundesland aufnehmen beziehungsweise finanzieren muß, und wird jährlich anhand von Steuereinnahmen und Bevölkerungszahlen der Länder errechnet. So sollen die bei der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber entstehenden Lasten „angemessen verteilt“ werden. Über die Asylanträge beziehungsweise die Anträge auf Flüchtlingsschutz befindet zentral das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (JF 5/13).

 

Ausgaben für Asylbewerber

Die Leistungen für Asylbewerber wurden seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2012 denen für Hartz-IV-Empfänger angenähert. Aktuell sind dies für einen Alleinstehenden 391 Euro im Monat. Zusätzlich fallen noch Kosten für die Unterbringung, für Sachleistungen, Wertgutscheine sowie für medizinische Versorgung (Impfung, Krankheit, Schwangerschaft) an.

 

Unerlaubte Einreise 2009 – 2013

(deutschlandweit)

Allein in Baden-Württemberg, so eine Pressesprecherin auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, haben die Beamten zwischen Januar und Juli 2014 etwa 4.200 Personen bei der unerlaubten Einreise festgestellt, mehr als im gesamten Vorjahr (2.800).

In Bayern registrierte die zuständige Bundespolizeidirektion in den Monaten Juni und Juli 2014 rund 3.650 illegale Einreisen. Hauptherkunftsland der Betreffenden ist Syrien, die zweitgrößte Gruppe stellen Eritreer, gefolgt von Afghanen, Türken und Somaliern. Die meisten von ihnen kamen aus Italien über Österreich nach Deutschland, teilte ein Sprecher der JF mit.

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