© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Abschied nach 16 Jahren
Geschichtspolitik: Die scheidende Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach leitet zum letzten Mal den „Tag der Heimat“
Christian Vollradt

Nicht einen Tag dieser 16 Jahre als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) möchte sie missen, bekennt Erika Steinbach zum Ende ihrer Ansprache am „Tag der Heimat“ in Berlin: „Sie haben nicht Kraft gekostet, sondern Kraft geschenkt.“

Das Publikum – Mitglieder der Landsmannschaften sowie Ehrengäste aus Politik, Kultur und Kirche – erwidern Steinbachs Abschiedsworte mit stehendem Beifall. Zufrieden und versöhnt wirkt die oberste Repräsentantin der Heimatvertriebenen; und das, obwohl sie in ihrer Amtszeit einiges wegstecken mußte an politischem Gegenwind, an Kränkungen und Gehässigkeiten von politischen Gegnern im In- und Ausland, aber auch an Kritik aus den eigenen Reihen.

Merkel lobt  unermüdlichen Einsatz

Doch darauf ging sie in ihrer Rede nur beiläufig ein, wenn sie von Momenten des Zorns „über ungerechtfertigte Angriffe“ sprach. Nachkarten in Richtung Polen, wo ihr bisweilen blanker Haß entgegenschlug, war kein Thema in diesem Festakt. Stattdessen wurde viel gelobt und geehrt: Steinbach lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel und verlieh ihr die BdV-Ehrenplakette in der eigens dafür angefertigten Sonderstufe in Gold. Merkel habe sich in außerordentlicher Weise um die Anliegen der Vertriebenen verdient gemacht. „Ohne die Bundeskanzlerin wäre es nicht gelungen, die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung als staatliche Einrichtung zu schaffen, ohne sie wäre der nationale Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung nicht realisiert worden.“

Merkel wiederum lobte Steinbachs unermüdlichen Einsatz für die Sache der Vertriebenen – und beide lobten, was diese zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg und zur Versöhnung beigetragen hatten, getreu dem diesjährigen Motto: „Deutschland geht nicht ohne uns“. Merkel bekräftigte, der Einsatz für die Vertriebenen sei nicht allein Sache der Vertriebenen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zu erinnern sei dabei an das Schicksal der Betroffenen sowie an deren Heimat: „Auch wer westlich der Oder geboren wurde, sollte wissen, daß Breslau und Danzig einmal deutsche Städte waren“, sagte Merkel. Die Kanzlerin betonte im übrigen, Vertreibung dürfe niemals Mittel der Politik sein.

Ihre Parteifreundin Steinbach resümierte, das gesellschaftspolitische Klima habe sich in den vergangenen Jahren zugunsten der Heimatvertriebenen gewandelt, die „gnadenlose Mitleidslosigkeit“ sei aus den Medien gewichen, gerade jüngere Menschen gingen mit Neugier und Mitgefühl auf die Erlebnisgeneration zu. Deutliche Kritik dagegen übte Steinbach an der „sehr eindimensionalen und immer wieder zu hörenden Vereinfachung des 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“. Dies sei „eine rein westliche Sicht und deshalb schlichtweg unanständig“, weil das Schicksal der Heimatvertriebenen wie auch der vom Stalinismus unterdrückten Völker vollkommen ausgeblendet werde.

Den Beschluß der Bundesregierung, den Gedenktag für die Vertriebenen jährlich am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, zu begehen, nahm Steinbach vor Kritik ausdrücklich in Schutz: „Im Kontext mit den zahllosen Vertreibungen weltweit wird deutlich, daß die Vertreibungen der Deutschen genauso ein Unrecht darstellen wie die Vertreibungen anderer Gruppen und Völker; daß auch die Vertreibung der Deutschen völkerrechtswidrig gewesen ist und nicht, wie oft verkündet, die gerechte Strafe für nationalsozialistische Verbrechen.“

Der Präsident der Ungarischen Nationalversammlung, László Kövér (Fidesz), würdigte die Rolle der vertriebenen Deutschen gerade in Ungarn und lobte die Erinnerungsarbeit der Mitglieder des BdV. Beim Tag der Heimat gehe es nicht nur um die Vergangenheit, die man nicht ändern könne, sondern auch um eine Zukunft, „in der weder die Deutschen noch die Ungarn noch irgendein anderes europäisches Volk seine Heimat und das Recht, selbst über das eigene Schicksal zu bestimmen, mehr verlieren kann“.

Der konservative Politiker hob in seiner Rede hervor, daß ungarische und deutsche Abgeordnete gemeinsam des 300. Jahrestages der Ankunft deutscher Siedler gedachten und daß sein Land 2012 einen jährlichen Gedenktag an die Vertreibung der Ungarndeutschen eingeführt habe.Kövér betonte, es sei ein Verbrechen gewesen, unschuldigen Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs eine Kollektivschuld zuzuweisen und sie aus ihrer Heimat zu vertreiben; „genauso ein Verbrechen, wie schuldige Deutsche während des Zweiten Weltkriegs Unschuldigen gegenüber begangen hatten.“ Es dürfe keine stigmatisierten Nationen geben, das Prinzip der kollektiven Schuld sei „eine juristische und moralische Absurdität“, so Kövér, der Teile seiner Rede auf deutsch hielt.

Für einen Moment der Rührung sorgte die Uraufführung eines Medleys ostpreußischer Volkslieder, intoniert vom Potsdamer Turmbläser-ensemble und ursprünglich ein Geburtstagsgeschenk des Komponisten an Steinbach. Als zu den Klängen des „Ännchen von Tharau“ die ersten Zuhörer zaghaft mitsummten und dann sangen, mußte das eine oder andere Taschentuch gezückt werden.

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