© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Kein Bett im Kornfeld
Dramatische Bestandsrückgänge des Feldhamsters: Schnelles und zupackendes Handeln ist gefragt
Dieter Menke

Er ist die perfekte Verkörperung des „Niedlichen“ und „Possierlichen“. Ein echter Sympathieträger eben, der knuddelige Feldhamster (Cricetus cricetus). Trotzdem steht es um seinen Ruf nicht zum besten. Führt er doch mit Kammolch und Juchtenkäfer die mediale Hitliste der „Bauverhinderer“ an. Feldhamster und Baustopp scheinen in der Presseberichterstattung der letzten Jahre geradezu untrennbare Begriffe geworden zu sein.

Zu Unrecht, wie die Recherchen der Süddeutschen Zeitung schon 2010 ergaben. Denn 23 von 24 Bauvorhaben, bei denen dieses angebliche „Blockade-Tier“ (Die Welt vom 3. März 2012) zwischen 1998 und 2005 bundesweit eine Rolle spielte, konnten mit Auflagen und geringen Verzögerungen problemlos realisiert werden, wie der Hamburger Umweltbiologe Peer Cyriacks die SZ-Statistik sachlich-kühl resümiert; in einem dem Feldhamster gewidmeten Schwerpunktheft von Natur und Landschaft (8/2014), dem Hausorgan des Bundesamtes für Naturschutz. Allerdings hätten die Münchner Journalisten bei ihren Kollegen nicht die geringste Wahrnehmungskorrektur bewirkt, wie Cyriacks jüngste Google-Blütenlese ausweist. Unbeeindruckt von den Realitäten gefallen sich nämlich die meisten Presseartikel weiterhin in einer „offen ausgesprochenen Skepsis gegenüber der Notwendigkeit“, den Feldhamster endlich entsprechend „naturschutzfachlich“ zu berücksichtigen. Nur ein geringer Prozentsatz der Publikationen beschäftige sich neutral und ausgewogen mit Verkehrs- und Wirtschaftsbelangen auf der einen, mit Artenschutzanliegen auf der anderen Seite.

Dieses Akzeptanzproblem ihres unterirdisch wohnenden Klienten behindert die Freunde des Feldhamsters, die ihm, wie die Deutsche Wildtier-Stiftung, ein „Bett im Kornfeld“ bewahren wollen, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Denn der Nager zählt zu den am stärksten bedrohten Wildtieren Westeuropas. Geschieht so wenig wie bisher, ist nicht nur nach Cyriacks Prognose mit dem mitteleuropäischen Aussterben dieses Kulturfolgers um 2050 zu rechnen.

Von „stark gefährdet“ zu „vom Aussterben bedroht“

Über die Ursachen der dramatischen Bestandsrückgänge müssen die Experten des Bonner Bundesamtes für Naturschutz in ihrem Beitrag nicht lange rätseln. Die dezimierten deutschen Populationen sind primär intensivierten landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsweisen geschuldet. Seit den siebziger Jahren setzen verfrühte Erntezeitpunkte, großflächige Monokulturen, ein verändertes Spektrum von Feldfrüchten, immer verlustfreier arbeitende Ernte­techniken sowie vermehrter Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, dazu Bewässerungen und Flurbereinigungen, dem Feldhamster zu.

In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern geht man davon aus, daß das dort einst weit verbreitete Tier ausgestorben ist. Als Schwerpunkte verbleiben derzeit Sachsen-Anhalt, Zentralthüringen und das südöstliche Niedersachsen. Dazu kommen die fruchtbaren Löß- und Lehmböden im Rhein-Main-Gebiet, vor allem im Mainzer Becken, in der Wetterau und in der Main-Kinzig-Region, sowie in Franken und im südwestlichen Nordrhein-Westfalen. Isolierte Restvorkommen finden sich im südöstlichen Sachsen, in Grenznähe zu Polen und der Tschechei.

Diese Einschnürung auf wenige Biotope als Folge eines „drastischen Bestandszusammenbruchs der Art“ ist keineswegs auf Deutschland beschränkt. In Holland, Belgien und Frankreich seien autochthone Bestände bereits „stark dezimiert“ oder „erloschen“. Nur Erhaltungszuchten und umfangreiche Wiederansiedlungen verhindern ein Aussterben. Für osteuropäische Staaten belegen jüngste Studien, daß der Feldhamster in Polen, der Tschechei und in der Ukraine „immense Bestandseinbrüche“ erfahren habe, die sich vielfach nur noch in „zersplitterten Restvorkommen“ zeigten.

Allein die „äußerst kritische Situa­tion“ des auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere Deutschlands von „stark gefährdet“ (1998) zu aktuell in die Kategorie „vom Aussterben bedroht“ gerutschten vermeintlichen „Baustoppers“ verlangt nach sofortigem Eingreifen.

Dem Feldhamster fehlen Deckung und Nahrung

Ansätze lassen sich erkennen. Landwirte sind dabei die wichtigsten Partner, wie ein Autorenteam um die freiberufliche Biologin Ute Köhler betont. Denn nur durch angepaßte Bewirtschaftung der Felder mit „Ernteverzicht und Stoppelruhe“ sind die Lebensbedingungen des Feldhamsters zu verbessern. Augenblicklich würden zu viele Habitate schlecht bewertet, wiesen zu geringe Anteile an Rückzugsräumen wie Ackerrandstreifen, jungen Brachen und mehrjährigen Feldfutterschlägen auf. Dem Feldhamster fehlen daher Deckung und Nahrung.

Die Verlängerung der Stoppelruhe, um die Stoppeln möglichst lange nach der Ernte stehen zu lassen, gehört darum zu den dringlichsten Maßnahmen der Bestandserhaltung. Da dies Landwirten finanzielle Einbußen zumutet, genauso wie die Begrenzung der Pflugtiefe, leisten Baden-Württemberg und Nord­rhein-Westfalen jenen Landwirten, die sich zu Schutzmaßnahmen für fünf Jahre vertraglich verpflichten, Ausgleichszahlungen; 50 Prozent der Subventionen kommt aus EU-Töpfen. Hessen und Bayern greifen ausschließlich auf Landesmittel zurück. Die Behörden dort wollen mit kurzen, ein- bis zweijährigen Vertragslaufzeiten die Tierliebe fördern. Eine Kalkulation, die in Bayern nicht aufging, da das Feldhamster-Hilfsprogramm zeitweise völlig zum Erliegen kam und 2013 neu begonnen werden mußte.

Ohnehin reicht Geld allein nicht. Ebenso zentral sei, wie Köhler hervorhebt, die Auswahl geeigneter Flächen, um Maßnahmen und Gelder zielorien­tiert einzusetzen. Unabdingbar wäre daher die intensive Betreuung und Beratung der Landwirte durch Biologen, Agrarverwaltung und Bauernverbände. Erst wenn nicht nur eine Minderheit der Bauern davon überzeugt werde, daß ihnen „hamsterfreundliche“ Bewirtschaftung keine Nachteile beschere, dürfte sich die akute Bedrohungslage für den in der DDR noch bis 1989 als „Schädling“ Verfolgten entspannen. Dann wäre auch anderen Arten der Feldflur wie Weihen, Hasen und Rebhühnern geholfen, die in den Stoppeln der neu erstandenen Feldhamsterflächen wieder Futter und Deckung fänden.

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