© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Sabotiertes Sturmgeschütz
Krise beim „Spiegel“: Mitarbeiter und Chefredaktion liefern sich einen unwürdigen Kampf um die Macht
Ronald Berthold

Das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“ hat Ladehemmungen. Und wenn es überhaupt schießt, dann in die falsche Richtung – nämlich in die eigenen Reihen. Doch beim akuten Bürgerkrieg innerhalb der Spiegel-Redaktion von „friendly fire“ zu reden, hieße die Angelegenheit zu bagatellisieren. Denn freundlich läuft hier schon lange nichts mehr. Die Stimmung ist vergiftet, das Mißtrauen untereinander riesig und die interne Autorität von Geschäftsführung und Chefredaktion dahin. Ausgangspunkt der Debatte sind die ehrgeizigen Pläne von Chefredakteur Wolfgang Büchner. Der plant seit längerem eine engere Verzahnung von Print- und Onlineredaktion. Sehr zum Mißfallen der Mitarbeiter der gedruckten Zeitung.

Strukturkonservative Redaktion mit Linksdrall

Büchners Ziel: Jedes Ressort soll künftig von zwei Leitern geführt werden. Einem aus der Print- und einem aus der Onlineredaktion. Das Ergebnis: ein Aufstand der Redakteure. Kenner berichten von tumultartigen Konferenzen.

Ein Jahr leitet der 48jährige jetzt die Redaktion. Seitdem kommt die Zeitschrift nicht zur Ruhe. Genau für die nun diskutierte Umstrukturierung hatte ihn die Geschäftsführung zum 1. September 2013 von der Deutschen Presseagentur (dpa) geholt, wo er in gleicher Position arbeitete. In einer schriftlichen Petition hat sich vergangene Woche eine überwältigende Mehrheit der 250 Redakteure gegen diese Pläne ausgesprochen. Mit ihrem Widerstand verbinden sie die Forderung nach einer Ablösung des ungeliebten Chefredakteurs.

Die meisten Spiegel-Redakteure stehen politisch links, verhalten sich aber – wenn es um ihr eigenes Schlachtfeld geht – extrem strukturkonservativ. Modernisierungen und Reformen fordern sie. Vor allem bei anderen. Die Redaktion begreift sich als „closed shop“. Neulinge haben es schwer – erst recht, wenn sie in die Führungsetage einziehen.

Von Beginn an stand Büchner auf verlorenem Posten. Noch bevor er überhaupt sein Amt antrat, muckten seine künftigen Mitarbeiter auf. Denn der Neue kündigte an, den stellvertretenden Bild-Chefredakteur Nikolaus Blome mitzubringen. Ein Springer-Mann beim Spiegel und dann auch noch vom publizistischen Feindbild Nummer eins – das bedeutete für die sich als Elite begreifenden Redakteure eine Zumutung. Und sie setzten sich zumindest teilweise durch. Blome erhielt nicht die Befugnisse, die ihm Büchner zugestehen wollte. Eine ausgesprochen schwierige Zusammenarbeit zeichnete sich ab.

Ihre renitente Haltung wird den Redakteuren durch die interne Struktur des Verlages erleichtert und gibt ihr enormes Gewicht. Denn die Angestellten haben ein Mitspracherecht, das es so nirgendwo anders im deutschen Journalismus gibt. Die Mitarbeiter KG hält 50,5 Prozent der Gesellschafteranteile des Spiegel-Verlages. Die anderen Eigentümer sind die Erben des Gründers Rudolf Augstein (24 Prozent) und der Verlag Gruner+Jahr (25,5 Prozent).

Die Auseinandersetzung trifft das Nachrichtenmagazin in einer schweren Krise. Die Anzeigenumsätze gehen zurück – und auch die Leser kehren dem Blatt den Rücken. In den vergangenen fünf Jahren verlor der Spiegel bei der verkauften Auflage 15 Prozent (siehe Grafik). Erst nach dem 2008 erfolgten Abgang des inzwischen zum Verlagshaus Axel Springer gewechselten Stefan Aust geriet der Spiegel in einen Abwärtsstrudel. Die journalistische Qualität nahm zusehends ab; inzwischen herrscht zwischen dem Heftumschlag wieder ein arroganter, belehrender und teils sogar sarkastischer Ton.

So wie die Redaktion nach außen auftritt und neue Leser verprellt, präsentiert sie sich auch nach innen. Die Gesellschafterversammlung muß damit klarkommen und versucht sich in salomonischen Entscheidungen. Den aktuellen Konflikt umschiffte sie, weil sie es am vergangenen Freitag verpaßte, eine eindeutige Position zu beziehen. Sowohl der Chefredakteur und der ihn stützende Geschäftsführer Ove Saffe als auch die Mitarbeiter fühlen sich durch das Kommuniqué bestätigt.

Ex-Mitarbeiter verspotten das Nachrichtenmagazin

Was nun wirklich mit der öffentlich verbreiteten Erklärung gemeint ist, konnten auch externe Spiegel-Astrologen nicht wirklich deuten. Soviel steht fest: Büchner und Saffe erhalten zwei Monate Zeit, die Redaktion von den Neuerungen zu überzeugen. In dieser Zeit soll sich der Chefredakteur weitgehend aus der redaktionellen Tätigkeit zurückziehen. Ein Novum in der Geschichte des Magazins.

Die Tage Büchners sind gezählt – soviel ist klar. Auf Dauer kann kein Chefredakteur mit der Ablehnung seiner Mannschaft arbeiten. Und diese wünscht sich als Nachfolge eine interne Lösung. Martin Doerry und Klaus Brinkbäumer sollen nach ihren Vorstellungen erneut die Führung des Blattes übernehmen. Sie leiteten die Redaktion bereits interimistisch nach dem Weggang von Büchners Vorgängern Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo.

Doch in der Geschäftsführung stößt diese Idee auf wenig Gegenliebe, denn Doerry und Brinkbäumer stehen nicht wirklich für Reformen. Die aber braucht der Spiegel dringend, soll der wirtschaftliche Abwärtstrend aufgehalten werden. Als hintergründiges Magazin bringt das Hamburger Blatt alle Voraussetzungen mit, um der Zeitungskrise zu trotzen. Bedingung ist aber, daß Online und Print nicht gegen- sondern miteinander arbeiten. Und daß die Redaktion sich den vom Leser geforderten Aufgaben widmet. Beides scheint unmöglich, solange sich die Redaktion in ihren Schützengräben befindet.

Ex-Mitarbeiter, wie der nun bei der Welt tätige Publizist Matthias Matussek haben mittlerweile nur noch Mitleid für das Magazin übrig: „Unfaßbar, mit welcher Begeisterung diese Redaktion – unter Führung heldenhafter und intrigenbewanderter Ressortleiter und KGler – in den Abgrund latscht. Eigentlich schon seit Jahren. Eigentlich schon, seit sie Aust in die Wüste geschickt hat.“

Foto: Wolfgang Büchner: Seine hausinternen Kritiker wollen den ehemaligen Chef der Nachrichtenagentur dpa schon seit längerem loswerden

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