© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Ein DDR-Mythos wird vergegenwärtigt
„Nackt unter Wölfen“: Worum es bei der Neuverfilmung des antifaschistischen Filmklassikers wirklich geht
Thorsten Hinz

Im April oder Mai nächsten Jahres, wenn sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 70. Mal jährt, wird die ARD eine Neuverfilmung des Romans „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz ausstrahlen, der die letzten Wochen des KZ Buchenwald nahe Weimar schildert. Der Großteil der Dreharbeiten wird im ehemaligen kommunistischen Arbeitslager Vojna südwestlich von Prag absolviert. Die Federführung liegt beim MDR und der Ufa, weitere ARD-Anstalten sind beteiligt. Nico Hofmann ist der Produzent, Philipp Kadelbach führt Regie und Stefan Kolditz hat das Drehbuch verfaßt. Das Trio hat auch den ZDF-Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ (JF 13/13) produziert.

Zu den bekannten Darstellern zählen Sylvester Groth, Florian Stetter und Peter Schneider. Sabin Tambrea, ein Jungstar am Berliner Ensemble, der in einem Film über Bayerns Märchenkönig Ludwig II. die Titelrolle spielte, tritt hier als sadistischer SS-Beau auf.

Die Dreharbeiten haben ein ungewöhnlich großes Medienecho ausgelöst. Das Publikum wird auf ein volkspädagogisches Großereignis eingestimmt. Ob es eintrifft? Die Neuverfilmung wird an dem gleichnamigen Defa-Film von Frank Beyer von 1963 gemessen werden. Er gehört wie die Roman-Vorlage zu den Klassikern der DDR-Kunst. „Nackt unter Wölfen“ war in der DDR Schullektüre und wurde als Meilenstein der „sozialistischen Nationalliteratur“ gefeiert. In schlichter Erzählweise berichtet das Buch vom Widerstand im KZ unter Führung der Kommunisten, der in der vermeintlichen Selbstbefreiung des Lagers gipfelt. Die eigentliche dramatische Fabel aber bildet die Geschichte eines kleinen jüdischen Jungen, den die Häftlinge vor der SS versteckt halten und tatsächlich retten können.

Das Buch atmet eine elementare Menschlichkeit, die alle politischen und ideologischen Absichten verblassen läßt und die Leser sofort in den Bann schlug. Davon zeugen die Millionenauflage und die Übersetzungen in 30 Sprachen. „Nackt unter Wölfen“ wurde ein Welterfolg und ist das am weitesten verbreitete belletristische Werk, das in der DDR entstand.

Befreiung durch US-Soldaten unterschlagen

Sein Autor Bruno Apitz (1900–1979) hatte fast die gesamte NS-Herrschaft in Gefangenschaft zugebracht, davon acht Jahre in Buchenwald. Es war sein eigenes Erleben, das er aufschrieb, doch der Stoff gehörte ihm nicht allein. Die SED beanspruchte die Lektorenrolle. Im Erscheinungsjahr 1958 war das ehemalige KZ zu einer Nationalen Mahn- und Gedenkstätte umgestaltet worden. Der Glockenturm, überlebensgroße Plastiken, Pylonen, ein Stelenweg und Ringgräber erweckten die Anmutung einer sakralen Weihestätte. Sie bildete die Kulisse für Massenveranstaltungen, auf denen der antifaschistische Staatsmythos zelebriert wurde.

Buchenwald besaß für die SED-Führung auch deswegen besondere Bedeutung, weil hier im August 1944 der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann nach elfjähriger Haft erschossen worden war. Das Buch hatte der Mythologisierung zuzuarbeiten. Gleiches galt für den Defa-Film, in dem die Creme der DDR-Schauspieler – darunter Erwin Geschonneck und Armin Mueller-Stahl – mitwirkte.

Apitz und Beyer hatten eine Anzahl Tabus zu berücksichtigen, denn einige Angehörige der kommunistischen Lagerleitung waren nach dem Krieg erneut in Ungnade gefallen, in den Gulag deportiert worden oder in den Westen gegangen. Überhaupt war die Rolle der kommunistischen Funktionshäftlinge, der sogenannten Kapos, problematisch. Die SS hatte in den Lagern eine Selbstverwaltung eingesetzt und sich dabei auf die politischen Gefangenen, insbesondere auf Kommunisten gestützt, die diszipliniert, zuverlässig und organisatorisch befähigt waren. Ihre Schlüsselstellung verlieh ihnen eine gewisse Macht, die sie zum Schutz von Gesinnungsgenossen, aber auch zur Beseitigung unliebsamer Mitgefangener nutzten.

Darüber hinaus gerieten sie in unauflösliche Konflikte, wenn sie unmenschliche Befehle befolgen mußten und in gewisser Weise selber schuldig wurden. In Apitz’ ursprünglichem Manuskript finden sich mehrere Hinweise darauf, die aber getilgt wurden. Erst 2012 erschien in einer kommentierten Neuausgabe des Berliner Aufbau-Verlags der vollständige Text.

Konfektionsware statt künstlerische Originalität

Aber auch in ihm fehlt der Hinweis, daß die Rettung des kleinen Jungen – sein authentischer Name lautet Stefan Jerzy Zweig – nur möglich war, weil an seiner Stelle ein Zigeunerkind auf die Transportliste gesetzt wurde. Die helle Zukunftsperspektive, die am Ende aufschien, duldete keine dunklen Fehlfarben. Das Happy-End war Teil des Erfolgs beim Publikum. Unerwähnt blieb auch die Nachnutzung des KZ als sowjetisches „Speziallager“, in dem erneut Tausende starben.

Der Defa-Film erreicht in der Schlußszene, in der die Häftlinge ihre – in Wirklichkeit so nicht stattgefundene – Selbstbefreiung feiern, die Wucht eines Eisenstein-Films. Richtig ist, daß die interne Widerstandsbewegung die Evakuierung – in Wahrheit regelrechte Todesmärsche – hinauszögerte. Sie übernahm das Lager aber erst, nachdem es von der SS wegen der herannahenden US-Truppen aufgegeben worden war. Die Befreiung durch amerikanische Soldaten paßte jedoch nicht ins geschichtspolitische Drehbuch. Die Schlußszenen kompensierten zugleich das Legitimitätsproblem, unter dem die SED-Machthaber von Anfang an litten. Das Buch und der Film erwecken den Eindruck, daß der militärische Sieg der Alliierten die unter kommunistischer Führung vollzogene Selbstreinigung vom Nationalsozialismus nur noch bestätigen brauchte.

Die SED versuchte, die Geschichtsmythen in die Gegenwart zu verlängern, indem sie das Buchenwald-Kind, das mit seinem Vater in ärmlichen Zuständen in Israel lebte, 1964 in die DDR holte. Allerdings ließ sich Stefan Jerzy Zweig seine Instrumentalisierung nicht lange gefallen und ging nach Österreich.

Was soll, was kann die neue Verfilmung des inzwischen historisch gewordenen Romans bewirken? Frank Beyers Film bleibt trotz – oder wegen – der Retuschen an der Faktenlage ein Meisterwerk, das kaum zu überbieten ist.

Nico Hofmann, der auch die Mehrteiler „Dresden“ und „Die Flucht“ produziert hat, jedenfalls steht für geschichtspolitische Konfektionsware, nicht für künstlerische Originalität. Drehbuchautor Stefan Kolditz erläuterte, der neue Film werde statt vom Heroismus viel mehr vom Leiden, und zwar „gerade auch dem der jüdischen Häftlinge – und vom Alltag im Lager erzählen“. Zu den Beratern gehören der Politikwissenschaftler und Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, Julius H. Schoeps und der Holocaust-Experte Robert Jan van Pelt, Mitglied des Internationalen Wissenschaftlichen Beirats des Wiener Wiesenthal-Instituts für Holocaust-Studien.

25 Jahre nach dem Ende der DDR soll ihr sperriger Staatsmythos, der sich bis heute in der eindrucksvollen Anlage hoch über Weimar manifestiert und in Mitteldeutschland mäandert, ausgetrieben beziehungsweise in die transnationale Zivilreligion überführt werden.

Fotos: Dreharbeiten zu „Nackt unter Wölfen“ unter der Regie von Philipp Kadelbach: In der DDR wurde die Roman-Vorlage als Meilenstein „sozialistischer Nationalliteratur“ gefeiert, Lagerleiter Reineboth (Sabin Tambrea), Häftlinge

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