© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Den Ball spielen
Beutekunst: Berlin sollte von Putin jetzt die Rückgabe des Priamos-Schatzes fordern
Thorsten Hinz

Der Konflikt zwischen dem Westen und Rußland hat auch etwas Gutes an den Tag gebracht: Zwischen Deutschen und Russen gibt es keinen Haß und nicht einmal Antipathien. Das ist nach den Wunden, die beide Völker sich im 20. Jahrhundert geschlagen haben, alles andere als selbstverständlich. Beide Seiten wissen, daß sie aufeinander angewiesen sind. Das wissen auch Merkel und Steinmeier, weshalb sie sich bei aller Bündnistreue um Deeskalation bemühen.

Gegenwärtig ist Rußland ein bißchen mehr auf Deutschland angewiesen als umgekehrt. Das ist eine gute Gelegenheit, um einen Streitpunkt anzugehen, unter dem die Deutschen stärker leiden als die Russen: Seit fast 70 Jahren lagert in Rußland Beutekunst, die zurück nach Deutschland gehört!

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten sowjetische Trophäen-Kommissionen zahlreiche Kunst- und Waffensammlungen, Gemälde, Archivalien, Nachlässe, fürstliche Bibliotheken. Einiges wurde wieder zurückgegeben, so 1955 die Dresdner Gemäldesammlung, doch vieles befindet sich noch immer in russischen Depots, darunter der Priamos-Schatz von der Berliner Museumsinsel.

Die kriegs- und völkerrechtliche Lage ist klar, doch Moskau verweigert bis heute die Rückgabe. Die Duma hat die Beutekunst mehrmals zum Eigentum Rußlands erklärt. Viele Russen sehen in ihr ein Symbol ihres Sieges in einem opferreichen Krieg. Für die ehemalige Supermacht handelt es sich zudem um eine hochpolitische Prestigefrage. Selbst ein mächtiger und versierter Mann wie Putin ist in seinen Entscheidungen nicht frei.

Gefragt ist Fingerspitzengefühl. Die deutsche Seite könnte deutlich machen, daß sie im aktuellen Ost-West-Konflikt zu weiteren guten Diensten bereit ist und dafür ein Entgegenkommen erwartet. Putin hätte dann Gelegenheit, seinen Landsleuten zu erklären, daß die Rückgabe der Kriegsbeute an ein freundlich gestimmtes Deutschland keinen Gesichtsverlust, sondern eine politische Investition bedeutet.

Im Spiel um den Priamos-Schatz liegt der Ball in Berliner Regierung. Wird sie ihn spielen?

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