© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Dem Teufelskreis entrinnen
Euro-Krise: Immer mehr deutsche Ökonomen rechnen mit einem Scheitern der Gemeinschaftswährung
Christian Dorn

Es knallte mächtig zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und dem US-Ökonomen Joseph Stiglitz. Und zwar öffentlich. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank ging Angela Merkel beim 5. Treffen der Wirtschaftsnobelpreisträger im beschaulichen Lindau am Bodensee harsch an – wegen ihrer angeblichen Austeritätspolitik in der Euro-Krise und ihrer Weigerung, die Staatsschulden auch offiziell zu vergemeinschaften.

Merkel revanchierte sich bei dem egalitären, marktkritischen „Rebellen aus Indiana“ auf ihre Weise. „Warum lagen die Wirtschaftswissenschaften in den letzten Krisenjahren so schwer neben der Realität? Waren die zugrundeliegenden Theorien falsch oder haben wir nicht auf die Richtigen gehört?“, fragte sie die anwesenden 18 Nobelpreisträger und Jungökonomen. Vielleicht hätte die 60jährige häufiger Hans-Werner Sinn und sein Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung konsultieren sollen. Der hat zwar keinen Nobelpreis, dafür um so häufiger recht, wenn es um die Risiken ihrer Euro-Rettungspolitik geht. In der neuesten Ausgabe des Ifo-Schnelldienstes (15/2014) diskutieren namhafte Wissenschaftler die Frage, inwiefern die ausufernde Staatsschuldenkrise für die Währungsunion faktisch zu einer „Zeitbombe“ werde.

Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover, zieht eine vernichtende Bilanz: Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise sei die Staatsverschuldung vor allem in Südeuropa so stark gestiegen wie nie zuvor. So lag die Defizitquote in vielen Fällen deutlich über dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Spanien pendelte sie ab 2009 in vier aufeinanderfolgenden Jahren um zehn Prozent, in Griechenland stieg sie 2013 wieder auf 12,7 Prozent.

Politikberatende Volkswirte mit Latein am Ende

Noch erdrückender ist die öffentliche Schuldenlast. Die Verschuldungsgrenze von 60 Prozent des BIP wird seit 2010 von allen Problemstaaten überschritten; Griechenland, Italien und Portugal reißen sogar das Doppelte des Referenzwertes, während Frankreich und Spanien auf dreistellige Werte zusteuern. Zusammen standen alle fünf Staaten Ende 2013 mit fast 5,5 Billionen Euro in der Kreide. Die 700 Milliarden Euro aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erscheinen dagegen geradezu „fast bescheiden“. Eine Rettung durch die EZB, so Homburg, sei aus ökonomischen und rechtlichen Gründen „fraglich“.

Insgesamt sieht Homburg die Eurozone in einer Zwickmühle: „Etliche Mitgliedstaaten leben über ihre Verhältnisse, wollen das aber nicht wahrhaben und empfinden Änderungsvorschläge als Angriff und Einmischung von außen.“ Der 43jährige Ökonom, der sich 2008 nach Beginn der Finanzkrise gegen Bankenrettungen und schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme aussprach, glaubt nicht, daß es den Griechen, Italienern und Portugiesen gelingen wird, ihren öffentlichen Konsum zu mindern oder ihre Wirtschaftsleistung anzukurbeln.

In den Nehmerländern gibt es „absehbare politische Widerstände“ gegen größere Einschnitte, in den Geberländern gegen höhere „Beistandszahlungen“. Fazit: „Der Teufelskreis aus Überschuldung, Unsicherheit und Stagnation hat sich inzwischen verfestigt.“ Die volkswirtschaftliche Politikberatung in der Eurozone offenbare, daß sie mit ihrem Latein am Ende sei. Denn „ein guter Ausgang des Euro-Experiments ist unwahrscheinlicher denn je“.

Carsten Hefeker, Inhaber des Lehrstuhls für Europäische Wirtschaftspolitik an der Universität Siegen, zeichnet für den Euro als einer „Währung ohne Staat“ ebenfalls ein tödliches Szenario. Klassischerweise gebe es drei Möglichkeiten, extreme Staatsverschuldung abzubauen: massive Ausgabenkürzung, höhere Einnahmen und Schuldenabzahlung. Im Staatenverbund aber sei dies unmöglich. Da die deutschen Politiker „das Auseinanderbrechen der Eurozone nicht wollen, ist der Status quo die einzige Alternative: ein planloses und ungeordnetes Durchwursteln“. Hieraus könne „dann ein nicht intendierter, ökonomisch desaströser (...) Zusammenbruch der Eurozone folgen.“

Christian Keuschnigg und Klaus Weyerstraß vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien plädieren für den Abbau der Staatsverschuldung durch Ausgabenkürzungen. Diese seien – empirisch belegt – bei der Konsolidierung wirksamer als Steuererhöhungen, jedenfalls in Hochsteuerländern.

Überschuldungen führten immer zu Revolten

Markus Brunnermeier von der Wirtschaftsfakultät der Universität Princeton in New Jersey hat den „Teufelskreis“ zwischen Staatsverschuldung und Bankenrettung visualisiert (siehe Abbildung). Die Schuldenfinanzierung der Staaten über die Notenpresse mindert das bilanzierte Vermögen der Banken, die die Staaten ständig kreditieren, die Banken „taumeln“, reichen an die Wirtschaft keine Kredite aus und müssen notfalls mit Staatsgeldern gerettet werden, die Steuereinnahmen sinken, die Staatsschulden vermehren sich usw.

Wolfgang Quaisser, Dozent an der Akademie für Politische Bildung Tutzing, verweist auf das biblische Entschuldungsgebot, das sich nicht nur im Vaterunser – „und vergib uns unsere Schuld“ –, sondern bereits im 5. Buch Mose manifestiert, wonach allen alle sieben Jahre die Schulden zu erlassen seien. Andernfalls, das offenbare die Geschichte, führten Überschuldungen zu Revolten und Revolutionen.

Weltweit beliefen sich die Staatsschulden auf 43 Billionen US-Dollar, was wiederum rund 59 Prozent des weltweiten BIP entspreche. Die Eurozone könne nur gerettet werden, wenn eine „glaubhafte Entschuldungsstrategie implementiert wird“.

Bild: Teufelswerk: Die Eurozone wird an einem tödlichen Zirkel aus Staatsverschuldung, Wirtschaftsschwäche und maroden Banken zugrunde gehen

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