© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Ein plattes Wasser bitte
Zu Besuch in Eupen: Ostbelgien zwischen deutscher Tradition und französischem „Laissez-faire“
Katharina Hirsch

Dicht gedrängt standen die Eupener hinter den Absperrungen, um ihren neuen König Philippe bei seinem ersten Besuch im Oktober vergangenen Jahres in Ostbelgien willkommen zu heißen. Erst wenige Monate zuvor hatte sein Vater, König Albert, der am 21. Juli 2013 zugunsten seines Sohnes abtrat, die Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) besucht. Wie sein Vater nahm Philippe sich viel Zeit für das „Bad in der Menge“. Freundlich schüttelten er und seine Frau, Königin Mathilde, den Menschen die Hände und plauschten. Mal auf deutsch, mal französisch. Die Menge dankte und rief „Vive le Roi!“ und „Vive la Reine!“

Politik und Wirtschaft fördern Zweisprachigkeit

Obwohl die Zurufe französisch waren, legt Philippe großen Wert auf die Sprachenvielfalt. Entsprechend hielt er sowohl seine Weihnachtsansprache als auch seine Rede zum Nationalfeiertag am 21. Juli nicht nur auf flämisch und französisch, sondern explizit auch für die rund 80.000 Bewohner der DG auf deutsch. Deutsch ist seit 1970 die offizielle dritte Amtssprache. Dennoch muß jeder Ostbelgier oft genug die Frage „Warum kannst du eigentlich so gut Deutsch?“ beantworten.

Doch nicht immer ist es um das Deutsche gut bestellt. So bietet die Lupe, eine Bildungseinrichtung in Eupen, vor Beginn des neuen Schuljahres Sprachkurse an. Es klingt wie ein Hilfeschrei: „Wenn Ihr Kind in der Muttersprache Deutsch Mängel hat, dann bietet der Kurs für Schüler vom 3. bis 6. Jahrgang eine wertvolle Hilfe.“

Schon beim Bummeln durch die Stadt ist ein Gemisch aus Französisch und Deutsch kaum zu überhören. Die Kellnerin im Straßencafé begrüßt die Gäste erst einmal mit „ça va?“ Diese grüßen freundlich zurück „Oui ça va“ und bestellen ein „plattes Wasser, aber bitte keines aus dem Frigo, sowie einen Croque Monsieur“. Kurze Zeit später serviert die Kellnerin ein ungekühltes stilles Wasser sowie ein Sandwich.

Die Speisekarten sind zweisprachig. Artikelbezeichnungen und Prospekte der Supermärkte sind auf französisch verfaßt. Falls Übersetzungen existieren, sind diese oft fehlerhaft. So wird aus „un édredon 4 saisons“ eine „Viersaisonen Bettdecke“. Kein Wunder. Denn die Verkäufer sind meist französischsprachige Wallonen.

Auch in den Schulen fallen Begriffe, mit denen manch Deutscher nicht viel anfangen kann. Textstellen werden mit einem „Leuchtstift“ markiert, geschrieben wird auf „Häuschenpapier“ mit einem „Bic“ und abgeheftet wird alles am Ende der Stunde in die „Farde“. Im Kopierladen bestellen die Schüler „Recto-Verso-Abzüge“.

Schnell spürt der Besucher, daß er weder in Deutschland noch in der tiefsten Wallonie weilt. Französisches „Laissez-faire“ auf der einen trifft Karnevalsseligkeit auf der anderen Seite. Gleichzeitig genießen die Menschen belgische Fritten, belgisches Bier, lesen das deutschsprachige Grenzecho, hören den belgischen Rundfunk BRF und schauen deutsches Fernsehen.

Die Schulbildung erfolgt komplett in deutscher Sprache. Ab der ersten Primarschulklasse lernen die Schüler neben Deutsch auch Französisch. Ein Vorteil vor allem auch für die zahlreichen Schüler, die aus Deutschland kommen und in den grenznahen Grundschulen ab der ersten Schulklasse an die Zweitsprache herangeführt werden.

Auf der Sekundarschule, die die Schüler nach Abschluß der sechs Primarschuljahre besuchen, ist es möglich, einen bilingualen Unterricht zu besuche. Das bedeutet, daß einige Fächer in französischer Sprache unterrichtet werden. Zudem ist ein komplett französischsprachiger Unterricht wählbar. In Eupen befinden sich drei der neun weiterführenden Schulen. Das staatliche Königliche Athenäum (KAE), das Robert-Schuman-Institut (RSI) und die freie katholische Pater-Damian-Sekundarschule (PDS).

Während der gesamten Schulzeit wird viel Wert auf die mehrsprachige Erziehung gelegt. Entsprechend ist es nicht möglich, irgendein Schulfach, ergo auch den Sprachunterricht komplett abzuwählen. Im Verlauf der Sekundarschulzeit werden die Schüler jedoch mit immer mehr französischen Texten konfrontiert. Teilweise sind die Mathematik-Übungsblätter trotz eines deutschen Unterrichtes auf französisch verfaßt.

Mehrsprachigkeit ist das Hauptziel aller Parteien und Wirtschaftsverbände in der DG. So präsentiert sich die Urlaubsregion Ostbelgien mit dem Motto „Ein Land, das viele Sprachen spricht“.

Diese Mehrsprachigkeit sei für den Standort Ostbelgien „überlebenswichtig“, erklärte die christlich-soziale Abgeordnete Patricia Creutz (CSP) laut einem Bericht des Onlinemagazins Ostbelgien Direkt und forderte „weitere Anstrengungen zur Förderung der Französischkenntnisse. Lobend erwähnte sie in diesem Kontext die Verleihung des Ordens „Palmes Académiques“ an den damaligen Unterrichtsminister Oliver Paasch (Pro DG). Der jetzige DG-Ministerpräsident erhielt den Preis im Herbst 2013 für seine besonderen Verdienste um das französische Bildungswesen.

Creutz machte allerdings darauf aufmerksam, daß die DG nicht mit anderen europäischen Regionen vergleichbar sei, da die Menschen ständig beiden Sprachen ausgesetzt und eine noch stärkere Förderung der Zweisprachigkeit erwünscht sei. Mit ihrer Forderung, die Anzahl der Französischstunden in der Schule zu erhöhen sowie den Unterricht zu 50 Prozent auf französisch zu erteilen, konnte sie sich nicht durchsetzen.

Abseits des politischen Kampfes um den Einfluß der Sprache stehen die Ostbelgier in einem ständigen Kontakt zur deutschen Kultur. Die Jugendlichen drücken ihrem deutschen Lieblings-Fußballclub die Daumen. Viele sind Grenzgänger und arbeiten in Deutschland. Dennoch hört es kein Ostbelgier gern, wenn er als Deutscher bezeichnet wird. Überhaupt steht Deutschland bei Fußballweltmeisterschaften nicht hoch im Kurs. In erster Linie fiebert ein Großteil der Ostbelgier für „Les Diables rouges“. Scheidet Belgien aus, wird nicht automatisch zu Deutschland übergewechselt. Im Gegenteil.

Bild: König Philippe besucht die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien (Okt. 2013): Beim Bad in der Menge ertönt oft der Ruf „Vive le Roi“

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