© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Der Schutzmann wurde ein Krieger
Amerika: Ähnelt die Polizei zu stark dem Militär? Die Unruhen in Ferguson haben eine Debatte neu belebt. Auch Konservative üben Kritik.
Thorsten Brückner

Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“, feuerte der selbsternannte Bürgerrechtler Al Sharpton den plündernden Mob an. Mehrere hundert Schwarze waren aus dem Ballungszentrum von St. Louis, der Hauptstadt des Bundesstaates Missouri, in das 20.000-Einwohner-Städtchen Ferguson gekommen. Die tödlichen Schüsse auf den 18jährigen Schwarzen Michael Brown aus der Waffe eines weißen Polizisten: für sie Grund genug, Geschäfte zu plündern, Häuser in Brand zu stecken und sich Gefechte mit der Polizei zu liefern. Auch amerikanische Medien gossen Öl ins Feuer.

Beinahe kein Bericht aus der mehrheitlich von Schwarzen bevölkerten Kleinstadt kam bald noch ohne die Überschrift „Rassenunruhen“ aus. Der Polizist Darren Wilson, aus dessen Dienstpistole die tödlichen Schüsse abgefeuert wurden, war für die meisten Medienvertreter schuldig, noch bevor überhaupt Anklage gegen ihn erhoben wurde. Und das, obwohl es bis heute unterschiedliche Versionen des Tathergangs gibt.

Statt mit der in den darauffolgenden Tagen immer exzessiver werdenden Polizeigewalt, den illegalen Festnahmen von Journalisten und einer zunehmend militärisch auftretenden Polizei beschäftigten sich die Polit-Talkshows des Landes mit einem angeblich systeminhärenten Rassismus. Dabei haben Schwarzenführer wie Al Sharpton in einem Punkt sogar recht. Unter der seit den neunziger Jahren zu beobachtenden Militarisierung der Polizei leiden Schwarze und andere Minderheiten überproportional.

Klopften bei einer Hausdurchsuchung früher zwei Beamte an die Tür und präsentierten neben ihrer Dienstmarke einen richterlichen Durchsuchungsbeschluß, rücken heute vor allem in ärmeren Vierteln gleich sogenannte SWAT-Teams an. Bei diesen „Special Weapons and Tactics“-Formationen handelt es sich um bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheiten der Polizei.

Erstmals wurden diese in den sechziger Jahren in Los Angeles eingesetzt, nachdem die Polizei dort während und nach den sogenannten Watts-Rassenunruhen 1965 immer wieder zum Ziel von Heckenschützen geworden war. Bis in die achtziger Jahre waren sogenannte „no-knock searches“ landesweit aber die Ausnahme. Heute gibt es nach Einschätzung des Rechtsexperten Peter Kraska von der Eastern Kentucky University mehr als 50.000 solcher SWAT-Einsätze pro Jahr, bei denen die Beamten sich vor einer Durchsuchung nicht zu erkennen gaben. Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten soll sich der Einsatz von SWAT-Teams vor allem bei Hausdurchsuchungen wegen Drogendelikten laut Recherchen des Washington-Post- Journalisten Radley Balko um das 1.500fache erhöht haben, wie dieser 2007 einem Unterausschuß des Repräsentantenhauses berichtete.

Doch nicht nur die Anzahl solcher Einsätze ist gestiegen, auch die Bewaffnung der Polizisten ist über die Jahre zunehmend militärischer geworden. Begonnen hat die massive Aufrüstung der Polizei vor allem mit dem „Programm 1208“ des im Jahre 1990 in Kraft getretenen National Defense Authorization Act. Er ermöglicht es dem Verteidigungsministerium, überflüssige Waffen an Polizeieinheiten auf Bundesstaaten- und Countyebene zu transferieren: immer zum Vorzugspreis, manchmal sogar kostenlos. Ein Memorandum des Pentagon von 1994 setzte das Programm in die Praxis um. Durch eine Änderung des Gesetzes zwei Jahre später erhielt die Initiative schließlich den Namen unter dem sie noch heute bekannt ist: „Programm 1033“.

Ziel war es, die Polizei im Kampf gegen Drogenhandel aufzurüsten – ein Anliegen, mit dem die Republikaner in den achtziger und neunziger Jahren immer wieder in Wahlkämpfe zogen. Unter der Reagan-Regierung war es ausgerechnet die Partei von Abraham Lincoln, die den Posse Comitatus Act von 1878, der eine klare Trennung zwischen Militär und Polizei vorschreibt, durch einzelne Gesetze zur Drogenbekämpfung immer weiter aushöhlte. „Das Aufdecken von Produktion, Verkauf und Konsum illegaler Drogen ist eine nationale Sicherheitsmission des Verteidigungsministeriums mit höchster Priorität“, begründete Verteidigungsminister Dick Cheney 1989 die Notwendigkeit der Kooperation. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde das Programm zudem auf Antiterrorismusaktivitäten ausgeweitet.

Das Training der Polizisten ist dabei zwischen städtischen und ländlichen Regionen sehr unterschiedlich. Während die SWAT-Teams in den Großstädten in der Regel eine professionelle Ausbildung erhalten, kommt bei Polizisten in Kleinstädten wie Ferguson oft unzureichende Erfahrung mit dem Einsatzgerät hinzu. Kritiker wie die ACLU (American Civil Liberties Union) bemängeln zudem einen Mangel an öffentlicher Aufsicht. Ist das Kriegsgerät erst einmal in den Händen lokaler Polizeibehörden, müssen diese keine Rechenschaft mehr darüber ablegen, wie sie es einsetzen. Einzige Bedingung: Die Waffen dürfen nicht von der Polizei weiterverkauft werden. Doch genau das passierte.

2012 wurde „Programm 1033“ kurzfristig ausgesetzt, nachdem herauskam, daß das Sheriff-Department von Pinal County (Arizona) einige der durch das Programm erworbenen Handfeuerwaffen weiterverkaufte. Nach den jüngsten Ausschreitungen und einem Treffen mit demokratischen Kongreßabgeordneten Missouris hat der seit 2013 amtierende Verteidigungsminister Chuck Hagel versprochen, das Programm erneut unter die Lupe zu nehmen.

Eindruck, als rüste sich die Polizei zum Bürgerkrieg

Längst witzelten da Reporter vor Ort mit Blick auf das verwendete Equipment, das Pentagon hätte in Ferguson zwar keine Stiefel auf dem Boden („boots on the ground“) , aber dafür Reifen auf der Straße („wheels on the street“). Schaut man sich die Liste der Geräte an, die allein seit Ende der Neunziger vom Militär geliefert wurden, bekommt man leicht den Eindruck, die amerikanische Polizei bereite sich auf einen Bürgerkrieg vor: gepanzerte Fahrzeuge, Hubschrauber vom Typ Black Hawk, Tausende M16 Sturmgewehre, vollautomatische Gewehre, mehrere hundert Granatwerfer, Spezialhelme, Nachtsichtgeräte. Nach Informationen der Huffington Post war unter dem Kriegsgerät auch ein besonderer Schatz, den sich die Polizeidepartments von Richland County (South Carolina) und Maricopa County (Arizona) gesichert haben: Panzer mit 360 Grad drehbaren Maschinengewehrtürmen. Bagdad ist überall! Der Name des Panzers: Peacemaker (Friedensstifter).

Minengeschützte gepanzerte Fahrzeuge, die neu rund je 700.000 Dollar kosten, wechseln bisweilen für nur 2.800 Dollar ihren Besitzer. Seit Beginn des Programms ging Kriegsgerät für etwa 4,3 Milliarden Dollar vom Militär in Polizeibestände über. Allein im Jahr 2013, also im Jahr nach der Reevaluation des Programms durch das Pentagon, war es Gerät im Wert von 450 Millionen Dollar. Aber auch finanzschwache Kommunen kommen dank Zuschüssen für den heimischen Antiterror-Kampf des Departments für Homeland Security in den Genuß ihrer eigenen paramilitärischen Einheiten. Gemäß dem Motto „vom Kriegskämpfer zum Kriminalitätsbekämpfer“ erhielt St. Louis County, zu dem Ferguson gehört, zwischen 2010 und 2013 laut USA Today Gewehre, Nachtsichtgeräte, Schutzanzüge sowie Fahrzeuge vom Militär.

Wieviel Kriegsgerät von der County-Ebene an die einzelnen Polizeistationen geht, schlüsselt das Pentagon nicht separat auf. Auch die MRAP-Fahrzeuge (Mine Resistant Ambush Protected) stammen aus Armeebeständen. Zwar bestreitet der Sprecher der Abteilung für öffentliche Sicherheit des Staates Missouri, Mike O’Connell, daß gepanzerte Fahrzeuge dieses Typs nach St. Louis geliefert wurden. Auf einem Foto, das das Magazin Newsweek veröffentlichte, ist jedoch genau ein solches in Ferguson zu sehen. Die Fahrzeuge wurden entwickelt, um im Irak die Besatzung vor Minen zu schützen.

Polizisten: Tatverdächtige sind auch schwer bewaffnet

„Polizisten sollen ortsansässige Leute sein, Beamte, die den Frieden wiederherstellen, keine Krieger“, kritisierte der frühere Kongreßabgeordnete Ron Paul. Die Überbewaffnung würde Polizisten erst dazu ermuntern, in brenzligen Situationen überzureagieren. Polizeichefs sagen unterdessen, daß das Programm ihnen geholfen habe, trotz eines begrenzten Budgets, ihre Einheiten zu modernisieren und den Gefahren angemessen auszustatten. „Es gibt derzeit viel Aufregung über Departments, die schwere Waffen erhalten haben“, sagt Matthew Schalliol, Polizeichef im St. Josephs County, Indiana. „Es geht dabei nicht darum, uns zu militarisieren. Es dient vielmehr dem Zweck, für jedes Szenario vorbereitet zu sein, das uns über den Weg kommt.“ Schwere Waffen seien notwendig, um – in seltenen Fällen – die Feuerkraft eines Angreifers zu erwidern, argumentiert Schalliol und verweist dabei auf den Mord an dem Polizisten Perry Renn aus Indianapolis am 5. Juli, der bei einem Feuergefecht von einem Verdächtigen mit einer Maschinenpistole getötet wurde. „Es ist schwer, einer Kalaschnikow mit einer Pistole zu begegnen“, meinte Schalliol.

Der Fotoreporter Scott Olson dagegen hält die Militarisierung der amerikanischen Polizei, wie sie sich in Ferguson zeigt, sogar für noch schlimmer als die der ukrainischen Polizei während der Maidan-Proteste, von denen er ebenfalls berichtet hatte: „In der Ukraine ist die Polizei nicht so gut bewaffnet. In Ferguson sind sie überbewaffnet – extrem überbewaffnet.“ Zwar sind es Fälle wie in Ferguson, die für mediale Aufmerksamkeit sorgen. Jedoch sind es in Wahrheit die alltäglichen Hausdurchsuchungen von SWAT-Teams, die der Polizei seitens der hauptsächlich betroffenen schwarzen Bevölkerung Rassismusvorwürfe eingebracht haben.

Es sind Fälle wie der von Tarika Wilson, die den alltäglichen Haß mancher Schwarzer auf den „weißen Polizeistaat“ geschürt haben. Wilson, eine unbescholtene 26jährige farbige Mutter aus dem Bundesstaat Ohio, wurde 2008, ihr 14 Monate altes Kind im Arm haltend, von einem SWAT-Team erschossen. Die Beamten, die ihr Haus stürmten, waren auf der Suche nach ihrem Freund, der des Drogenhandels verdächtigt wurde.

Es sei dieser Kampf gegen Drogen, der es Schwarzen unmöglich mache, nicht den Eindruck zu bekommen, daß ihre Regierung sie gezielt attackiere, meint auch der mögliche republikanische Präsidentschaftskandidat für 2016, Senator Rand Paul aus Kentucky. Das sei, was die Bewohner von Ferguson nach den tödlichen Schüssen auf Michael Brown im Hinterkopf gehabt hätten, als sie auf die Straße gingen.

 

Bunte Truppen

Die historisch begründete Abneigung der Amerikaner gegen einen starken Zentralstaat schlägt sich auch im Aufbau (und Aussehen) der Polizei nieder. Sie ist in aller Regel kommunal organisiert, das heißt, jede Stadt hat ihre eigene Polizei, deren Befugnisse an der Stadtgrenze enden. Auch in den Landkreisen (Countys) gibt es parallel eine Polizei, der häufig ein (von den Bürgern gewählter) Sheriff vorsteht. Die Bundesstaaten verfügen darüber hinaus über (oft recht wenige) Ordnungskräfte, die mal als State Police, State Troopers oder Highway Patrol firmieren und dem Gouverneur unterstehen. Der kann im Notfall – wie in Ferguson geschehen – auch die Nationalgarde (Miliz) einsetzen. Sie besteht zumeist aus Reservisten und darf – anders als die Armee – im Inland polizeiliche Aufgaben übernehmen.

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