© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Die Tochter des Ministers
Sachsen: Auch im Wahlkampf bewegt die Grenzkriminalität die Menschen wie kaum ein anderes Thema
Paul Leonhard

Ginge es nur um die Person, könnte der 31. August ein rabenschwarzer Tag für Markus Ulbig und die Dresdner CDU werden. Denn mit Blick auf die Sicherheitssituation, die Zahl der Autodiebstähle und Wohnungseinbrüche sowie insbesondere den Polizeiabbau müßten die Wähler in den Stadtteilen Pieschen und Friedrichstadt dem sächsischen Innenminister und Ex-Oberbürgermeister von Pirna die rote Karte zeigen.

Es wäre die Chance für die Alternative für Deutschland (AfD) gewesen, die hier aber durch den Rückzug ihres Kandidaten Thomas Hartung nicht mehr antritt. So muß sich Ulbig gegen die Linkspartei behaupten, der Wahlprognosen nur einen hauchdünnen Rückstand von 0,1 Prozentpunkten voraussagen. Ulbigs Name wie der von Ministerpräsident Stanislaw Tillich stehen für eine Sicherheitspolitik, die vor allem in der Leugnung der hohen Kriminalität insbesondere im Grenzgebiet und in einem radikalen Abbau der Polizei unter dem Begriff „Polizei.Sachsen.2020“ besteht.

Die Polizei tue vor Ort ihr Mögliches, um Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, trotzdem habe die Kriminalität „ein Ausmaß angenommen, das für viele Betriebe mehr als nur geschäftsschädigend ist“, sagte Wolfgang Groß, Vizepräsident der IHK Dresden und Geschäftsführer der Fit GmbH Hirschfelde.

Staatsübergreifende Zusammenarbeit

Wenn die CDU in ihrem Wahlprogramm jetzt einen „Einstellungskorridor von mindestens 400 Polizisten“ garantiert, dann hat nicht nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Sachsen „viele weitere Fragen, die zu beantworten und zu klären sind“. So sind allein die Rahmenbedingungen, um zusätzlich 100 zusätzliche junge Polizisten auszubilden, aus Sicht der GdP aktuell nicht gegeben.

Fast ein Vierteljahrhundert haben Bund und Freistaat benötigt, um den Fahndungsdruck auf die in Sachsen aktiven oder über sächsische Autobahnen und Bundesstraßen agierenden Kriminellen so zu erhöhen, daß sich jetzt tatsächlich erste Erfolge einstellen: weil endlich Bundes- und Landespolizei, deutscher Zoll sowie die polnische Polizei gemeinsam und staatenübergreifend agieren dürfen. Trotzdem ist es um die innere Sicherheit so schlecht bestellt, daß alle im Landtag vertretenen Parteien sowie die AfD mit diesem Thema im Wahlkampf zu punkten versuchen.

Die Sozialdemokraten, in ihrer Zeit als Koalitionspartner der CDU selbst am Polizeiabbau (2.241 Stellen) beteiligt, fordern plötzlich, den „von CDU und FDP beschlossenen zusätzlichen Abbau von 800 Stellen im Polizeibereich“ rückgängig zu machen. Die Polizeireform führe zu Stellenabbau und dieser zu einer Arbeitsverdichtung, erhöhtem Krankenstand, Verschärfung der Urlaubssperren oder mehr Sondereinsätzen sowie nachlassender Motivation, sagt Albrecht Pallas, Dresdner SPD-Landtagskandidat und selbst Polizeibeamter.

Die Linkspartei verlangt eine Erhöhung des Einstellungskorridors für Polizeikräfte „sofort auf mindestens 500 pro Jahr“. Linken-Spitzenkandidat Rico Gebhardt erinnert daran, daß es Ergebnis christdemokratischer Sparpolitik sei, wenn Sachsen 2012 mit 6,3 Prozent die höchste Steigerungsrate bei Straftaten Deutschlands zu verzeichnen hatte, und fragt: Was wird passieren, wenn die geplanten 3.000 Polizistenstellen tatsächlich abgebaut sind?

Die Bündnisgrünen konstatieren, daß der stattfindende Polizeiabbau „zu weniger BürgerInnennähe“ führt, und die Liberalen wollen „den Einstellungskorridor für junge Polizisten auf jährlich 400 zu erhöhen“. Verläßliche Grenzkontrollen statt deutsch-polnischer Grenzstreifen, die nur Projektcharakter haben, fordert AfD-Spitzenkandidatin Frauke Petry.

In der CDU findet die vorgebrachte Kritik kaum offene Ohren. Wer Offenheit wolle, bekomme auch Risiko und Kriminalität, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unlängst in Dresden. Dabei durfte der Minister selbst erleben, wie gut die Sicherheitsbehörden sein können. Als im Juli 2010 der von de Maizières Tochter genutzte, aber auf den Minister zugelassene Privatwagen in Dresden gestohlen wurde, bekamen sächsische Polizei und Justiz ihre Chance: Bei einer Razzia auf der Autobahn 4 wurde der Audi A4 Avant gestoppt. Selbst die Nationalität des Fahrers wurde genannt: Es handelte sich um einen 33 Jahre alten Vorbestraften aus dem polnischen Teil von Görlitz, der bereits vier Monate später zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Ohne Bewährung. Ein seltener Fall in Sachsen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen