© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Der Flaneur
Im Park in der Sonne dösen
Paul Leonhard

Sommerpicknick auf der Liegewiese. Kinder spielen Ball, Erwachsene aalen sich in der Sonne. Eine Gruppe ist gerade eingetroffen. Die Frauen weisen die Männer ein, die Decken schütteln und ausbreiten. Dann werden Kuchen, Kaffee, Wasser, Saft aus den Körben geholt. Die Kinder sind längst davongerannt. Eine Mutter schaut etwas alarmiert, als ein Tuten ertönt. Aber die Parkeisenbahn, die aus dem hohen Gras auftaucht, fährt langsam. So winkt die Frau dem Lokführer und den in offenen Wagen sitzenden Besuchern, und diese winken fröhlich zurück. Nach der kleinen grünen Dampflok kommt eine blaue Diesellokomotive, später noch eine rote und dann wieder die grüne.

Die Frau ist tätowiert. Oberhalb des BHs sind Ranken zu erkennen, die nach unten laufen.

Sie sieht das alles nicht. Die junge Frau, die vielleicht 20 Meter von mir auf der Wiese liegt, genießt einfach. Ich verstehe jetzt, was es heißt, ein Sonnenbad zu nehmen: entspannt auf dem Rücken zu liegen und alles um sich herum zu vergessen. Ich könnte das nicht. Aber immerhin, ich probiere es. Aber gleich wird es zu heiß. Ich ziehe ein paar Meter weiter in den Schatten einer Eiche. Dann brummt es, und eine Hummel steuert auf mein Gesicht zu. Als ich erschreckt die Augen aufreiße, dreht sie ab und läßt sich auf einer Kleeblüte nieder, die ob des Gewichts nach unten sackt.

Die Frau ist tätowiert. Oberhalb des Sport-BHs sind Ranken zu erkennen, die nach unten laufen. Den Oberschenkel zieren Blüten. Sie schläft nicht, ihre Finger spielen mit den Grashalmen, reißen einzelne aus. Dann tasten die Finger nach einem schwarzen Viereck. Ein Telefon, denn die Frau spricht plötzlich. Ein einschläfernder Singsang dringt zu mir herüber. Ich döse weg.

Als ich wieder zu mir komme, ist meine Nachbarin verschwunden. Schade.

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