© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Knapp daneben
Risikofreudige Senioren hinter schwedischen Gardinen
Karl Heinzen

Die Zeiten, in denen Menschen mit 60 Jahren zum alten Eisen gehörten, sind vorbei. Auch Polizei und Justiz werden durch die neue Umtriebigkeit von Senioren gefordert. So hat sich an Rhein und Ruhr die Zahl der Gefängnisinsassen im Rentenalter, wie eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion ergab, seit 1990 nahezu vervierfacht. In vielen Haftanstalten finden die ergrauten Delinquenten heute Spezialabteilungen vor, die ihren besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Haltestangen in Toiletten und höhenverstellbare Betten erlauben es ihnen, den Gefängnisalltag sicher zu bewältigen. Das Sportprogramm ist altersgerecht, und die medizinische Versorgung wurde auf die Gebrechen von Senioren ausgerichtet.

Befürchtungen, daß der Zustrom von betagten Straftätern abebben könnte und all diese Investitionen sich damit als nicht nachhaltig erweisen würden, sind unbegründet, konnte doch das Bundeskriminalamt bereits 2013 vermelden, daß die Zahl der tatverdächtigen Senioren binnen eines Jahrzehnts um acht Prozent zugenommen hat.

Die Alten geben damit ihre Antwort auf den Wertewandel. Die Gesellschaft verweigert ihnen den Respekt.

Diese statistischen Schlaglichter sind ein Indiz dafür, daß unsere Gesellschaft die demographische Herausforderung bewältigt. Die Menschen werden immer älter und bleiben länger fit und unternehmungslustig. Auch wer die 60 überschritten hat, kann ungebrochen Freude am Risiko entwickeln, das jede Straftat mit sich bringt. Altersarmut muß daher kein Schicksal sein. Wenn die Rente zu gering ausfällt, es an Nachwuchs mangelt, der aushelfen könnte, und kein Job mehr zu finden ist, steht immer noch der Weg offen, durch illegale Aktivitäten etwas dazuzuverdienen. Schon bald werden an den Grenzen nicht mehr Jugendliche in gammeligen Kleinwagen im Visier der Fahnder stehen. Sie werden statt dessen schicke Reisebusse voller Senioren kontrollieren, weil sie unter ihnen Schmuggler und Drogenkuriere vermuten.

Die Alten geben damit ihre Antwort auf den Wertewandel. Die Gesellschaft verweigert ihnen den Respekt, weil sie zu zahlreich geworden sind. Dafür muß sie in Kauf nehmen, daß sich die Senioren nicht mehr an ihre Spielregeln gebunden fühlen.

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