© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Niedersachsens Sohn auf Albions Thron
Vor 300 Jahren übernahm Kurfürst Georg von Hannover den englischen Thron und begründete eine Personalunion
Jan von Flocken

Als im August 1714 ein reitender Bote auf Schloß Herrenhausen bei Hannover eintraf, sollte das die deutsch-britischen Beziehungen für mehr als 100 Jahre maßgeblich beeinflussen. Die Nachricht lautete zunächst, daß Königin Anna, Herrscherin im seit 1707 vereinigten Großbritannien, ohne überlebende Nachkommen gestorben sei. Hochoffiziell hieß es weiter: „Wir, die geistlichen und weltlichen Lords des Oberhauses, tun hiermit (...) kund und zu wissen, daß der erhabene und mächtige Fürst Georg, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, nun durch den Tod unserer Monarchin seligen Angedenkens unser gesetz- und rechtmäßiger Lehnsherr, Georg von Gottes Gnaden König von Großbritannien und Irland geworden ist.“

Wie aber konnte ein deutscher Fürst auf den britischen Thron gelangen? Die unglückliche Königin Anna hatte innerhalb von 16 Jahren insgesamt 17 Kinder zur Welt gebracht, die alle kurz nach ihrer Geburt starben. Somit stellte sich die Frage nach einer Thronfolge immer dringender, je älter Anna wurde. Schließlich legte das englische Parlament in der „Sukzessionsakte“ (Act of Settlement) fest, daß die deutsche Prinzessin Sophie von der Pfalz und ihre Nachkommen den Königsthron erben sollten. Sie stammte mütterlicherseits von der Stuart-Dynastie ab, die bis 1688 in England und Schottland geherrscht hatte. Sophie starb indes schon zwei Monate vor Anna im Juni 1714 und somit erlangte ihr Sohn Georg die Oberherrschaft über Großbritannien, den man am 12. August 1714 zum König proklamierte. Gelegentlich liest man auch das Datum des 1. August, weil die Engländer in ihrem insularen Starrsinn den alten julianischen Kalender benutzten, der dem heute gebräuchlichen damals um elf Tage hinterherhinkte.

Dienstsitz Downing Street war „Deutsche Kanzlei“

Der 54jährige Georg, seit 1698 Kurfürst von Hannover, traf am 29. September 1714 in seiner Residenz ein, dem Londoner Saint James-Palast. Am 31. Oktober erfolgte die Krönung. Den Engländern war dieser joviale Deutsche mit dem Doppelkinn nicht ganz geheuer. Das Inselvolk verübelte ihm auch, daß er viele Verwaltungsfachleute aus Hannover mitbrachte. Sein persönlicher Freund, der Komponist Georg Friedrich Händel, mußte die Aversionen ausbaden. Er durfte die Musik zu den Krönungsfeierlichkeiten in der Westminster-Abtei nicht aufführen und wurde sogar von dieser Zeremonie ausgeschlossen. George I. wußte sich zu revanchieren und verdoppelte dafür Händels Gehalt, nachdem dieser 1717 die formidable „Wassermusik“ komponierte.

Für einiges Befremden sorgte Georgs quasi familiärer Anhang. Der geschiedene Mann brachte „als Mätressen zwei der häßlichsten Frauen mit, die seine Untertanen je gesehen hatten“, so Eleanor Herman in ihrem Buch „Sex with Kings“ (2004). Melusine von der Schulenburg titulierte man im Volk „maukin“ (Vogelscheuche“). Die andere, Sophie von Kielmansegg, wurde „Elefant“ genannt. Der Politiker Horace Walpole notierte, sie besäße „einen Hektar hellrot bestrichene Wangen, ein Meer von Hals, nicht unterscheidbar von den unteren Regionen ihres Körpers“. Beide Damen, meinte der boshafte Lord Chesterfield, seien „erstaunliche Beweise für den schlechten Geschmack und den robusten Magen des Königs“.

George I. war durchaus sprachgewandt und beherrschte Italienisch, Französisch, Latein und Holländisch. Das englische Idiom jedoch war ihm seltsam zuwider. Da seine einheimischen Minister und Ratgeber die damals international übliche Sprache ihres Erzfeindes Frankreich nicht benutzen wollten, verständigte man sich im Kabinett pragmatisch meist auf latein. Der König erwies sich überhaupt als eine Art früher deutscher Patriot. Seine neue Monarchenwürde blendete ihn keineswegs. Er hielt die Belange seiner Untertanen in Hannover für gleichwertig und besuchte deshalb sechsmal längere Zeit seine niedersächsische Heimat, um dort zu regieren und der Jagd zu frönen.

In London errichtete Georg eine „Deutsche Kanzlei“, die zunächst von Andreas Gottlieb von Bernstorff, ab 1720 von Hans Caspar von Bothmer geleitet wurde. Letzterer verlegte seinen Dienstsitz vom Saint James-Palast in die Downing Street Nr. 10 – bis heute offizielles Domizil aller britischen Premierminister. Die bis 1837 existierende Kanzlei sollte das effiziente Regieren im Kurfürstentum Hannover von London aus ermöglichen.

Den Briten war die Personalunion London-Hannover letztlich sehr willkommen, weil sie dadurch gleichsam einen Fuß in der deutschen Reichspolitik hatten. Im Siebenjährigen Krieg erwies sich das für den Preußenkönig Friedrich den Großen als bedeutsam. Da er mit England verbündet war, konnte er direkt die Kapazitäten des Hannoverschen Heeres nutzen, das ihm im Westen den Rücken gegen die Franzosen freihielt.

Auf dem Feld der Innenpolitik errang der Monarch aus Deutschland Erfolge, indem er zwei Aufstände der Schotten erfolgreich niederwerfen konnte. Unter seiner Ägide begann der systematische Aufbau der britischen Kriegsflotte sowie die Vergrößerung des überseeischen Kolonialreiches. Auch das für zwei Jahrhunderte die Politik prägende Zweiparteiensystem (Tories und Whigs) bildete sich in jenen Jahren heraus.

Nachdem George I. am 22. Juni 1727 beim heimatlichen Besuch nahe Osnabrück gestorben war, betrauerten ihn die Briten zwar nicht übermäßig, aber sie hatten ihren Frieden mit „Lucky George“ geschlossen. Auch wenn er als einziger englischer Monarch nicht auf der Insel beigesetzt wurde.

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