© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Der Marktlogik unterworfen
E-Bücher: Der Streit um Rabatte zwischen Verlagen und Autoren auf der einen Seite und dem Online-Händler Amazon auf der anderen spitzt sich zu
Thorsten Hinz

Gegen den weltgrößten Versandhändler Amazon formiert sich neuer Widerstand. Er geht von den USA aus, wo Amazon bereits die Hälfte des Buchumsatzes kontrolliert und daran arbeitet, den Anteil weiter zu steigern. Dem Verlagskonzern Hachette, gleichfalls ein Branchenriese und „Global Player“, ist diese Entwicklung unheimlich geworden, weshalb er Amazon die verlangten Rabatte für elektronische Bücher – E-Books – verweigerte. Daraufhin griff der Handelsriese zu Repressionen gegen die Autoren des Verlags und verlangsamte oder stornierte die Auslieferung ihrer Bücher. Das wiederum führte zu einer spektakulären Gegenaktion: 909 Schriftsteller – darunter Bestsellerautoren wie Stephen King, Paul Auster, James Patterson und John Grisham – haben in der New York Times in einem Protestbrief die Amazon-Praxis scharf angegriffen.

In Deutschland, dem größten europäischen Markt, wiederholt sich das Verfahren. Hier weigert sich die Bonnier-Gruppe, zu der Verlage wie Piper und Ullstein gehören, ebenfalls, den verlangten Rabatten für E-Books zuzustimmen. Mehr als hundert Autoren haben nun in einem offenen Brief dagegen protestiert, daß Amazon die Bücher bestimmter Autoren nur mit Verzögerung ausliefert und droht, diese von Empfehlungslisten („Kunden haben auch gekauft/angesehen“) zu streichen, womit sie quasi „unsichtbar“ würden.

In seiner Erwiderung macht Amazon sich zum Anwalt der Verbraucher: „Bonnier bietet uns die Mehrheit seiner Titel zu Konditionen an, die es für uns wesentlich teurer machen, eine digitale als die gedruckte Ausgabe desselben Titels einzukaufen. Dies ist eine nicht nachvollziehbare Entscheidung, denn ein E-Book verursacht keine Druckkosten, keine Überbestände, keine Retouren, keine Lagerkosten und keine Transportkosten. Es bedarf keiner Auflagenplanung, und es geht kein Umsatz verloren, weil E-Books nie ausverkauft sind.“

Das ist richtig und doch nur die Hälfte der Wahrheit. Denn Amazon beherrscht in Deutschland ein knappes Viertel des gesamten Online-Handels. Der Buchhandel im Internet befindet sich sogar zu 75 Prozent in seiner Hand, so daß man von einer Monopol-, zumindest von einer marktbeherrschenden Stellung sprechen kann. Der Anteil am gesamten Buchumsatz beträgt 20 Prozent, bei elektronischen Bücher schon 41 Prozent. Das wiegt um so schwerer, weil das E-Book der Zukunftsmarkt ist. Das neueste Indiz ist die Mitteilung von Bertelsmann, das Brockhaus-Lexikon ab sofort nur noch digital zu verlegen.

Wenn es Amazon gelingt, den Verlagen für E-Bücher weiter Rabatte abzuringen, beschleunigt es die Verbreiterung des elektronischen gegenüber dem gedruckten Segment. Was für den Leser ein Vorteil ist, bedeutet für Amazon die Erhöhung des relativen wie auch absoluten Marktanteils. Und hier ist nur von Neuerscheinungen beziehungsweise von Büchern die Rede, deren Rechte bei den Autoren beziehungsweise Verlagen liegen. Darüber hinaus verfügt Amazon über einen riesigen digitalen Speicher mit den lizenzfreien Klassikern der Weltliteratur, die über seine Lesegeräte abrufbar sind. Auch von dieser Seite drohen den Verlagen Umsatzeinbrüche.

Übergang vom gedruckten zum digitalisierten Wort

Es ist nachvollziehbar, daß die Verleger und Buchhändler mittelfristig um ihre Existenz und die Autoren sich vor der Abhängigkeit von einem Amazon-Monopol fürchten. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union verstärken diese Befürchtungen. Die Kulturpolitik der europäischen Länder könnte bald weitgehend der angelsächsischen Marktlogik unterworfen sein. Ein Profiteur steht für diesen Fall schon fest: Amazon.

Doch reichen simple Verteufelungen zur Charakterisierung des Handelsriesen nicht aus. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß Amazon-Gründer Jeff Bezos die Zeichen der Zeit früher als andere erkannt und ein großartiges Geschäftsmodell entwickelt hat. Der Übergang vom gedruckten zum digitalisierten Wort ist unaufhaltsam. Die Technik hat die Digitalisierung ermöglicht, sie wird von vielen Menschen als vorteilhaft empfunden und deshalb angenommen. Frontaler Widerstand dagegen ist so sinnlos wie die Maschinenstürmerei der schlesischen Weber vor 170 Jahren.

Den Vorteilen stehen freilich auch Verluste gegenüber: Der Verzicht auf den taktilen Reiz beim Umblättern der Seiten, das ästhetische Erlebnis des Buchdrucks, des geschmackvollen Einbands usw. Es wird deshalb auch in Zukunft Bücherliebhaber geben und der Buchdruck nicht verschwinden. Nur die Gewichte werden sich weiter verschieben.

Außerdem: Der Amazon-Service ist bequem, umfassend, er erlaubt den Preisvergleich und umfaßt auch Bücher, die aus den Verlagssortimenten längst verschwunden sind. Die Lieferung erfolgt prompt, Reklamationen oder Stornierungen werden schnell und zufriedenstellend bearbeitet. Was von Kritikern als Manko angeführt wird: die fehlende Beratung durch den Buchhandel, wird von Lesern, für die die Frage des Verkäufers: „Kann ich Ihnen helfen?“ eine Drohung darstellt, als positiv empfunden. Im Internet können sie eine ruhige Auswahl treffen. Die Annotationen und Leser-Rezensionen bieten eine gute Handreichung.

Eine Nebenfolge davon ist die teilweise Entmachtung des Rezensionskartells in den Medien und des Literaturbetriebs. Daraus können sich durchaus Chancen für Außenseiter ergeben. Ein herausragendes Beispiel dafür ist Akif Pirinçcis „Deutschland von Sinnen“, das in dem kleinen Manuscriptum-Verlag erschienen ist. In den Medien brach eine regelrechte Kampagne gegen das Buch los, und die Buchhändler weigerten sich lange, es überhaupt anzubieten. Dank Amazon wurde es trotzdem ein Verkaufserfolg im sechsstelligen Bereich.

Auch die Unterzeichner des Protestbriefs wollen auf Amazon nicht verzichten. Zwar ist von „Beugehaft“ und „Geiselnahme“ die Rede, doch gleichzeitig versichern sie, im Streit zwischen Amazon und Bonnier „nicht Partei ergreifen“ zu wollen. „Viele von uns haben ihre Backlist bei Amazon, haben Rezensionen und Beiträge geschrieben.“ Der Konflikt führt ihnen aber vor Augen, wohin Amazons Marktmacht führen könnte: zur Abschaffung des Buchhandels und letztlich auch der Verlage. Das Ziel von Amazon sei, Autoren direkt an sich zu binden und die Verlage auszuschalten: „Eines düsteren Tages wird man womöglich nur noch lesen können, was Amazon genehmigt“, meint Mitunterzeichnerin Nele Neuhaus. Das wäre ein Horror. Das Ergebnis wäre eine geschlossene Kette, die die Produktion, Distribution und den Verkauf der Bücher umfaßt. Die Autoren würden als Lohnschreiber von Amazons Gnaden enden.

Nachteile eines drohenden Monopols überwiegen

Der rechtskonservative Antaios-Verlag lernte Anfang des Jahres die bedrohliche Seite des Giganten kennen. Mehrere seiner Bücher wurden aus dem Sortiment geworfen (JF 11/14), darunter auch das Buch „Vergeßt Broder!“ des Saarbrücker Literaturprofessors und Autors Günter Scholdt (Rezension JF 7/14). Alle Bemühungen des Verlags, wenigstens eine Begründung zu erhalten, prallten an Amazon ab oder verschwanden spurlos im Bermuda-Dreieck der Nichtzuständigkeiten und der über Europa verstreuten Standorte des Konzerns. Eine politische Einflußnahme von dritter Seite kann vermutet werden.

Natürlich kann Amazon sich – wie übrigens auch Antaios – auf die Vertragsfreiheit berufen, doch in der Praxis erinnert das an den Marxschen Ausspruch, daß im Kapitalismus der Arme und der Reiche dieselbe Freiheit besäßen: Beide hätten das Recht, unter der Brücke zu schlafen.

Perspektivisch werden die Vorteile, die Amazon heute bietet, daher von den Nachteilen seines drohenden Monopols überwogen: ökonomisch und mehr noch geistig-kulturell und politisch. Schlußendlich handelt es sich um einen US-Konzern, der den Globalismus praktiziert und an der Verbreitung seiner Ideologie ein ureigenes Interesse hat. Gefordert sind die Kartellbehörden, aber auch die Verlage und der Buchhandel, die ihre Angebote im technischen Sinne erneuern, erweitern und inhaltlich einen Pluralismus praktizieren müssen, der die Leser als Gegenposition zur schleichenden Monopolisierung überzeugt.

Foto: Ein Mitarbeiter von Amazon in der Versandstation in Werne (2010): Protest gegen verzögerte Auslieferungen

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