© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Grüße aus Jerusalem
Stadt des Mißtrauens
Philipp Gracht

Irgendwie unwirklich wirkt Jerusalem dieser Tage. Der Sommer könnte schöner nicht sein. Sonnentag reiht sich an Sonnentag. Restaurants und Cafés der größten Stadt des Heiligen Landes sind voll wie eh und je. Kaum hundert Kilometer weiter derweil, im Südwesten, tobte über Wochen ein erbitterter Kampf zwischen der israelischen Armee auf der einen und Hamas & Co. auf der anderen Seite.

Mag der Höhepunkt der Kämpfe mittlerweile vorüber sein: Ruhe herrscht an Israels südlicher Front noch nicht wirklich. Gewiß, zu Beginn der Auseinandersetzung heulten auch in Jerusalem die Sirenen. Doch das mittlerweile legendäre israelische Abwehrsystem Iron Dome tat auch hier ganze Arbeit. Ohnehin waren die Angriffe der Hamas eher symbolischer Natur. So weit reichen unsere Raketen, wollten die Islamisten aus Gaza damit sagen, ließen die Stadt mit ihrer starken arabischen Bevölkerung und den islamischen Heiligtümern aber in Ruhe.

Jüdische Taxifahrer meiden Araberviertel, Araber besuchen kaum noch jüdische Bezirke.

So ruhig Jerusalem derzeit auch scheinen mag, spurlos geht der Konflikt an der drei Weltreligionen heiligen Stadt natürlich nicht vorbei. Zum einen bleiben die Touristen und Pilger aus. Hotels, Taxifahrer und Fremdenführer stöhnen. Durch die Altstadt, deren enge Gassen sonst mit Besuchern aus aller Welt verstopft sind, sind plötzlich passierbar. Viel deutlicher aber macht sich der Gazakrieg im wachsenden Mißtrauen zwischen Arabern und Juden bemerkbar.

Die Stadt mit ihren etwa 300.000 arabischen und 500.000 jüdischen Einwohnern war noch nie ein Vorbild des Zusammenlebens. Beide Bevölkerungsgruppen lebten allenfalls nebeneinanderher. Doch seit der Entführung der jüdischen Talmudstudenten und deren Ermordung, der die Entführung und Tötung eines palästinensischen Jugendlichen aus Ost-Jerusalem folgte, ist der städtische Friede nachhaltig gestört. Jüdische Taxifahrer meiden die arabischen Viertel, Araber suchen noch weniger als zuvor die jüdischen Teile auf. Nicht umsonst entlud sich nach den Entführungen der Zorn gegen die West und Ost verbindende Straßenbahn. Sie gilt vielen Arabern Jerusalems als Symbol einer forcierten Vereinigung der Stadt.

Höhepunkt der jetzt freigesetzten Spannungen war indes zweifellos die Ermordung eines Juden durch einen arabischen Baggerfahrer. Die Polizei ist seither noch stärker präsent als zuvor. Mit oder ohne Gazakonflikt: Jerusalem bleibt die Frontstadt des israelisch-palästinensischen Konflikts.

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