© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Au revoir, Peter Scholl-Latour
Nachruf I: Zum Tode des großen Journalisten, weisen Weltreisenden, kenntnisreichen Erzählers – und guten Freundes der „JUNGEN FREIHEIT“
Christian Vollradt

Mir wird vorgeworfen, daß ich mich gelegentlich kraß und derb ausdrücke, daß ich mich, wenn mich grimmige Heiterkeit überkommt, nicht an die übliche Salonsprache unserer Medien halte“, schrieb Peter Scholl-Latour einmal. Doch genau das war sein Markenzeichen, sein Alleinstellungsmerkmal in seinen Texten oder Talkshow-Auftritten. Dafür liebten ihn seine Leser, dafür brauchten ihn die Redaktionen: ein realpolitischer Hecht im moralingesättigten Karpfenteich.

Einer, der Sätze sagte wie: „Ich teile die Welt nicht in Gut und Böse ein, aber ich verneine das Böse auch nicht. (...) Das Böse steckt tief im Menschen.“ Oder der zaghaften, naiven deutschen Politikern entgegenhält: „Nukleare Abschreckung ist der Preis für außenpolitische Unabhängigkeit und vielleicht sogar für das Überleben.“ Einer, der das Scheitern der Amerikaner in Afghanistan und im Irak vorhersah und kühl ihr Dilemma analysierte: entweder es gebe dort prowestliche oder demokratisch legitimierte Regime (aber nicht beides zugleich).

Über seine „Besserwisserei“ mokierten sich vor allem die Schlechterwisser. Warum wußte Scholl-Latour so gut Bescheid, wenn es um Krieg und Krisen nicht nur, aber vor allem in Nahost ging? Erstens wegen seiner Bildung und zweitens aus Erfahrung. Der 1924 als Kind elsässisch-lothringischer Elter Geborene wurde von Jesuiten unterrichtet, studierte nach seiner abenteuerlichen Zwischenstation als französischer Fallschirmjäger im Indochinakrieg in Deutschland, in Paris und in Beirut Philologie sowie Orientkunde und wurde an der Sorbonne promoviert. Stationen seiner journalistischen Karriere waren die Korrespondententätigkeit für ARD und ZDF, als Fernsehchef in Köln oder Studioleiter in Paris. Er arbeitete später für fast alle großen Zeitungen in Deutschland. Und er beherzigte als „reisender Chronist“ das, was Leopold von Ranke den Historikern ins Stammbuch geschrieben hatte: große Veränderungen kann man nur verstehen, wenn man persönlich welche erlebt hat.

In den Nachrufen wird Scholl-Latour zu Recht fast einhellig als großer „Welterklärer“ und journalistisches Vorbild gepriesen. Doch so wohlgelitten und unumstritten war er nicht immer oder nicht bei allen: Seine Berufung zum Chefredakteur des Stern (gemeinsam mit Johannes Gross) am 13. Mai 1983 – einem Freitag – sorgte unter den Journalisten dort für pures Entsetzen. Das sei „eine größere Katastrophe als die ‘Hitler-Tagebücher’“, mit denen sich das Magazin gerade bis auf die Knochen blamiert hatte. Die Verlagsvollversammlung zierte ein Transparent mit dem Spruch „Runter von der rechten Spur – weg mit Gross und Scholl-Latour!“ Stern-Verleger Henri Nannen versuchte seine aufgebrachten Mitarbeiter damals mit der Feststellung zu beruhigen, er halte Scholl-Latour „nach wie vor für einen Liberalen“.

Mag sein, daß dies zutraf, naheliegender ist die Einschätzung, der Liebhaber der katholischen Lateinischen Messe war ein Konservativer – aber ein unabhängiger, freier. Ein „deutscher Gaullist“, ein „Westler“ mit viel Verständnis für den Osten. Als solcher kreuzte sich eines Tages sein Weg mit dem der JUNGEN FREIHEIT – aber das ist eine andere, eine längere Geschichte ...

Fotos: Begegnungen: Peter Scholl-Latour bei der Verleihung des Löwenthal-Preises (links) und auf der Buchmesse; Peter Scholl-Latour bei einem Besuch in der JF-Redaktion: „... daß es noch unabhängige Geister gibt“

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