© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

„Wir wollen zweistellig werden!“
Die Unternehmerin Frauke Petry will die Alternative für Deutschland Ende August in Sachsen erstmals in einen deutschen Landtag führen
Moritz Schwarz

Frau Dr. Petry, laut Prognose ist der Einzug der AfD in den ersten deutschen Landtag fast schon geschafft.

Petry: Die Wahrscheinlichkeit, daß wir in Sachsen mit gutem Ergebnis einziehen, ist in der Tat sehr groß. Aber sicher ist gar nichts, solange die Wahl nicht vorüber ist.

So mancher bürgerliche Wähler könnte, Ihre Partei schon „drin“ wähnend, auf die Idee kommen, seine Stimme der FDP zu geben, um zusätzlich die letzte schwarz-gelbe Koalition in Deutschland zu retten. Und dann reicht es für die AfD doch nicht.

Petry: Wir machen nicht den Fehler, die FDP in Sachsen zu unterschätzen, auch wenn diese inhaltlich nichts vorzuweisen hat. Allerdings wird die AfD erfahrungsgemäß von ehemaligen Wählern aller Parteien gewählt, so daß wir eine breite Basis haben und nicht von einer Wählerschicht abhängig sind.

Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow argumentiert, wer AfD wähle, wisse nicht, was er politisch tatsächlich bekomme. Und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer warf Ihnen sogar vor, sich zum „Steigbügelhalter einer Linksregierung“ zu machen.

Petry: Mal sind wir angeblich der Mehrheitsbeschaffer der CDU, mal der Steigbügelhalter einer Linksregierung. Das ist alles Unsinn. Die AfD ist eine eigenständige Kraft und wird sich von niemandem zum Anhängsel machen lassen.

Immerhin haben Sie in einem Interview gesagt: „Wenn Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün stark genug werden, dann kann es auch da eine Tolerierung geben.“

Petry: Das habe ich nicht gesagt!

Sondern?

Petry: Ich habe gesagt, daß es neben dem Modell Koalition noch andere Regierungsmodelle, etwa die Duldung, gibt. Daraus hat dann die Leipziger Volkszeitung fälschlicherweise gemacht, die AfD wolle die Linke dulden.

An wen haben Sie beim Stichwort Duldung denn gedacht?

Petry: An niemanden, das ist eben der Punkt! Es geht darum, daß wir uns von keinem auf etwas festlegen lassen. Grundsätzlich sind wir bereit, nach der Wahl über alles nachzudenken. Das war es, was ich zum Ausdruck bringen wollte.

Alles, außer eine Duldung der Linken?

Petry: Richtig, das werden wir ganz sicher nicht tun.

Aber eine Orientierung müssen Sie doch geben: Womit können Ihre Wähler denn rechnen, wenn der Landtagseinzug gelingt? Wären Sie zu einer CDU/AfD-Regierung bereit, wie verschiedentlich spekuliert wird?

Petry: Wenn wir eine Regierungsbeteiligung prinzipiell ablehnten, dürften wir gar nicht antreten, denn der Bürger wählt eine Partei, damit diese möglichst Verantwortung übernimmt. Andererseits sind wir verpflichtet, darauf zu achten, was langfristig für das Land und für die Stabilität der Partei das Richtige ist – und das werden wir einer kurzfristigen Regierungsbeteiligung sicher nicht opfern.

Und das heißt konkret?

Petry: Daß wir verantwortungsbewußt die Entscheidung erst dann treffen, wenn wir die Situation nach der Wahl kennen.

Damit weiß der Wähler wieder nicht, woran er ist.

Petry: Es gibt inhaltlich genug Punkte, die uns von den anderen Parteien – von der Linken bis zur CDU – absetzen. Die AfD ist also eine eigenständige Kraft, die für sich allein kämpft – und das erwarten unsere Wähler auch, denn sonst könnten sie in der Tat ja gleich eine der anderen Parteien wählen.

Bisher haben Sie sich im Wahlkampf vor allem mit den Liberalen gekabbelt. Warum? Die Sachsen-FDP ist liberalkonservativ und damit der AfD wohl am nächsten.

Petry: Wir haben uns keineswegs nur mit der FDP gekabbelt. Wir haben genauso etwa auf die Versäumnisse der CDU zum Beispiel bei den Themen Bildung oder Innere Sicherheit hingewiesen. Oder daß die schwarz-gelbe Schuldenbremse in der Landesverfassung so viele Ausnahmen enthält, daß keineswegs sicher ist, daß sich künftige Regierungen von dieser wirklich bremsen lassen.

Oder geht es eigentlich nur darum, daß die AfD in ein deutsches Parlament einzieht?

Petry: Nein, die AfD kann nur dann in der Bundespolitik erfolgreich sein, wenn sie sich auch in den Ländern etabliert. Landespolitik ist deshalb genauso wichtig, zumal durch unseren föderalen Aufbau die Länder Einfluß auf die Bundespolitik nehmen. Aber natürlich spielt auch eine wichtige Rolle, daß die AfD – wenn es uns gelingt, in alle drei dieses Jahr noch zu wählenden Landtage einzuziehen – demonstriert, daß sie in der deutschen Politik angekommen ist.

Wie wird die Bundespolitik reagieren, wenn Ihnen das gelingt?

Petry: Langfristig wird den anderen Parteien wohl nichts anderes übrigbleiben, als sich damit abzufinden, daß die AfD ein Faktor ist und in Zukunft Themen einbringt, die bisher gerne ausgeklammert wurden. Deshalb kann ich nur hoffen, daß die anderen möglichst bald ihre Ausgrenzungsstrategie aufgeben und beginnen, konstruktiv mit uns umzugehen.

Wird sich die Politik der Etablierten durch die AfD verändern?

Petry: In der CDU etwa gibt es schon Diskussionen zur AfD, die sich auch durch ein Machtwort der Kanzlerin nicht mehr stoppen lassen. Es gerät also offenbar, wenn vielleicht auch noch kaum bemerkt, etwas in Bewegung. Daß sich folglich in der Politik etwas ändert, kann der aufmerksame Wähler daran erkennen, daß Forderungen aus unserem Programm inzwischen auch bei anderen Parteien auftauchen – natürlich ohne daß diese die Urheberschaft zugeben.

Zum Beispiel?

Petry: Die SPD etwa sprach im Europawahlkampf von einem Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild, ebenso von Volksabstimmungen, wenn das auch wohl leider nicht ernst gemeint war.

Sowohl bei der Bundestagswahl mit 6,8 Prozent als auch bei der Europawahl mit zehn Prozent hat die AfD in Sachsen Ergebnisse weit über dem Bundesdurchschnitt erzielt. Warum kommt die AfD gerade in Ihrem Land so gut an?

Petry: Vielleicht sollten Sie besser fragen, was Sachsen von anderen Bundesländern unterscheidet? Vielleicht, daß die Sachsen etwas wacher sind, etwa weil sie 1989 bereits einen Systemwechsel erlebt haben und deshalb kritischer gegenüber Autoritäten und Etablierten sind.

Andererseits: Zehn Prozent bei der Europawahl, nun aber liegen Sie in Umfragen nur bei fünf bis sechs. Warum können Sie nicht an Ihr Europaergebnis anschließen?

Petry: Eine Landtagswahl ist keine Europawahl. In einer Landtagswahl muß man auch Landesthemen bieten – was wir auch tun. Aber natürlich sind die besondere Stärke der AfD die Europathemen. Leider ist deren Bezug zum Land für den Bürger meist nicht erkennbar – obwohl die Europapolitik ganz klar Auswirkungen auf das Land hat. Allerdings halte ich die bis zu acht Prozent, die uns je nach Umfrage derzeit vorhergesagt werden, noch für ausbaufähig.

Was bedeutet?

Petry: Wir werden versuchen, zweistellig zu werden, um der Stimme der AfD noch mehr Kraft zu verleihen.

Zweistellig? Übernehmen Sie sich da nicht?

Petry: Ab acht Prozent sind wir mit dem Ergebnis zufrieden. Aber wir wollen möglichst noch darüber hinaus – und ambitionierte Ziele motivieren die Mitglieder, besonders engagiert zu kämpfen.

Laut Dimap-Umfrage billigen die Wähler der AfD in Fragen wie Wirtschaft, Bildung, Innere Sicherheit oder Soziale Gerechtigkeit nur geringe Kompetenz zu. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch zu Ihrer vergleichsweise guten Prozentprognose?

Petry: Das hat mich auch gewundert und ich habe bereits nachgefragt, wie die Frage von Dimap formuliert wurde. Leider habe ich keine Antwort erhalten. Natürlich, wir haben bisher noch keine Kompetenz unter Beweis stellen können, und deshalb vielleicht zeigen sich die Wähler in dieser Hinsicht zurückhaltend in ihrer Bewertung. Wie jede neue Kraft müssen wir unsere Kompetenz erst noch demonstrieren, was uns zweifelsfrei auch gelingen wird. Allerdings: Da uns offensichtlich vom Wähler auf europäischer Ebene etwa Wirtschaftskompetenz zugesprochen wird, gibt es eigentlich keinen Grund, uns diese nicht auch auf regionaler Ebene zuzubilligen.

Für Wirbel sorgte Ende Juni der Fall Thomas Hartung, Vize-Vorsitzender der AfD in Sachsen, der auf seiner Facebook-Seite über einen Lehrer mit Down-Syndrom geschrieben hatte: „Ich spreche jemandem mit Trisomie 21 die Befähigung ab (...) den Hochschulberuf eines Lehrers zu ergreifen (...) als Nichtbehinderter (möchte ich) von ihm nicht unterrichtet werden.“

Petry: Thomas Hartung hat eingeräumt, daß die Art und Weise, wie er sich ausgedrückt hat, falsch und mißverständlich war. Er hat sich entschuldigt und ist vom Amt des Landesvize zurückgetreten.

Was hat er denn tatsächlich gemeint?

Petry: Herr Hartung wollte keineswegs die Leistung des genannten Lehrers in Abrede stellen. Es ging ihm vielmehr darum, den Leistungsverfall unseres Bildungssystems zu kritisieren, in dem die Anforderungen immer weiter gesenkt werden. Aufgrund seiner ungeschickten Ausdrucksweise hat er aber viele Menschen beleidigt, die mit einer Behinderung leben oder familiär damit zu tun haben. Das hat Herr Hartung eingesehen. Gleichwohl bleibt er in der Sache bei seiner Meinung: Die Inklusion führt zu einer Nivellierung der Standards, was langfristig im Verfall des Bildungsstandorts Deutschland münden muß. In diesem Punkt steht die Partei auch hinter ihm. Und so sehr die Partei jenseits der Sache seine Wortwahl kritisiert hat, zollt sie ihm Respekt dafür, daß er seinen Fehler sofort eingesehen und – anders als viele andere Politiker – Konsequenzen zog und zurückgetreten ist. Thomas Hartung steht nach eigenen Angaben inzwischen vor ernsten finanziellen Problemen, weil er trotz Entschuldigung und Rücktritt keine Aufträge als Dozent mehr bekommt. Ein Schicksal, das er mit etlichen AfD-Mitgliedern teilt, die aus politischen Gründen sozial ruiniert werden, weil sie keine Aufträge mehr erhalten oder nicht mehr eingestellt werden.

Für Kritik sorgt auch die Einladung der AfD Leipzig an den FPÖ-Publizisten Andreas Mölzer.

Petry: Kandidaten aus Leipzig haben ihn ohne Abstimmung mit uns eingeladen, wir distanzieren uns davon.

Warum?

Petry: Mölzers Vokabular und Vergleiche provozieren in einem für uns nicht vertretbaren Maß.

Zum Beispiel?

Petry: Etwa, das Dritte Reich im Vergleich mit der EU liberal zu nennen.

Mölzer hat nach eigenen Angaben gesagt, daß der Reglementierungswahn der EU in Alltagsfragen größer sei, als in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

Petry: Wir wollen im Wahlkampf nicht über die Frage solcher Vergleiche, sondern über die Themen sprechen, die wichtig für die Zukunft Sachsens und Deutschlands sind. Das aber wird durch solche Auftritte behindert.

Ebenfalls für Schlagzeilen hat Ihre Firmen- und Privatinsolvenz gesorgt. Verträgt sich so etwas mit dem Anspruch, als Bundes- und Landeschefin eine Partei zu führen, die für sich in Anspruch nimmt, besondere Finanzkompetenz zu haben?

Petry: Hier sind die Fakten: Neben einer Familie mit vier Kindern habe ich ein Unternehmen gegründet, investiert, Menschen Arbeit gegeben und jahrelang meine Kredite bedient und dafür selbst zeitweise auf Gehalt verzichtet – so wie viele Mittelständler. Als Gründerin habe ich zudem persönlich für Firmenkredite gehaftet. In der Insolvenz habe ich dafür privat die Verantwortung übernommen und mich immer an Recht und Gesetz gehalten. Meine Investoren haben mich mit der Fortführung des Unternehmens betraut. Die Beurteilung überlasse ich gern Mitgliedern und Wählern – bitte aber zu bedenken, daß wir ohne genau diesen Typ mittelständischer Unternehmer in Deutschland viel schlechter dastünden. Diese Erfahrungen spreche ich den meisten aktuellen Politikern ab und betrachte sie daher nicht als Makel.

 

Dr. Frauke Petry, die Landeschefin und Spitzenkandidatin der Alternative für Deutschland in Sachsen ist außerdem Mitbegründerin und Bundesvorsitzende der Partei. Mit Bernd Lucke, Konrad Adam und Frauke Petry wird die AfD von drei gleichberechtigten Parteivorsitzenden – „Sprecher“ genannt – geführt. Die Mutter von vier Kindern wurde 1975 in Dresden geboren, studierte Chemie und führte sieben Jahre die von ihr gegründete Chemie-Firma PURinvent in Leipzig, deren Geschäftsführerin sie nach Insolvenz und Verkauf nun ist. Petry erhielt diverse Unternehmerpreise, und 2012 bescheinigte ihr Bundespräsident Joachim Gauck „besondere Courage und Tatkraft in Forschung und Entwicklung“, als er ihr die Verdienstmedaille des Bundesverdienstkreuzes verlieh.

Foto: AfD-Landesvorsitzende Frauke Petry: „Ich halte die bis zu acht Prozent, die uns je nach Umfrage für die Wahl vorhergesagt werden, durchaus für ausbaufähig“

 

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