© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Der Elfenbeinturm steht verwaist
Forschungsprojekte der DFG: Klimawandel und NSA-Skandal versetzen Wissenschaftler mitten ins Leben
Christoph Keller

Lange mußte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sich gegen den Verdacht wehren, mit ihrem milliardenschweren, vom Steuerzahler finanzierten Etat zu viele realitätsferne Projekte zu finanzieren. Ein Vorwurf, der um so plausibler klang, je weniger naturwissenschaftliche Laien den Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung und ihrem Anwendungsbezug durchschauten.

Nun haben die sich in der globalisierten Welt vollziehenden natürlichen und sozialen Prozesse binnen kurzem dafür gesorgt, diesen Zusammenhang deutlich zu machen und den von der DFG geförderten „Wissenschaftsstandort Deutschland“ vom Elfenbeinturm-Image zu befreien, ohne daß in der Bonner Zentrale dafür ein Strategiewechsel erforderlich gewesen wäre.

IT-Sicherheit – erst abgetan, jetzt der Renner

Denn die durch Risiken und Nebenwirkungen des „Anthropozän“ gestiftete engste Verbindung zwischen Theorie und Praxis springt fast in jedem Kapitel des gerade ausgelieferten DFG-Jahresberichts 2013 in die Augen. Wissenschaft vermag neuerdings sogar locker auf tagesaktuelle Herausforderungen zu reagieren.

Wie das Beispiel der seit 2011 von der DFG an der Ruhr-Universität Bochum geförderten Kryptologen beweist. Es habe Zeiten vor dem NSA-Skandal gegeben, in denen Christopher Wolf wegen seines „Missionierungseifers“ in Sachen Datensicherheit belächelt worden sei. Heute leitet er eine Forschungsgruppe im Bereich der „Public-Key-Kryptologie“ und befaßt sich mit alternativen mathematischen Methoden, mit deren Hilfe sich die elektronische Post signieren und verschlüsseln läßt.

Der Mittdreißiger Wolf ist damit rechtzeitig auf einen jetzt kräftig an Fahrt gewinnenden Zug gesprungen. Die Zahl der Lehrstühle für Kryptologie und IT-Sicherheit steigt. Das Fach, so stellt Wolfs Kollege Christof Paar mit Blick auf 600 BA-Studenten im Bochumer Studiengang IT-Sicherheit fest, sei „extrem attraktiv“ geworden. Allein an der Ruhr-Uni offeriere man ergänzend drei Masterstudiengänge zu ähnlichen Themen. Auch Paar, bei dem sich wie bei Wolf die Unternehmensanfragen stapeln, forscht mit DFG-Unterstützung, um Maßnahmen gegen Angriffe auf Chipkarten, Bankkonten, Zugangskontrollen oder Musikdateien zu entwickeln.

Auf verwandtem Gebiet wird am Siegener Zentrum für Sensornetze seit 2000 Grundlagenforschung zum Thema Sicherheit betrieben. 2009 startete dort auch das DFG-Graduiertenkolleg „Multimodale Bildakquisition und Analyse für Anwendung in der Zivilen Sicherheit“. Hier befassen sich Jungforscher etwa mit der Terahertz-(Thz)-Kamera (besser bekannt als „Nacktscanner“), die sich in den neuen Sicherheitsschleusen der Flughäfen findet. Terahertz-Strahlung ermittelt außerdem den chemischen Fingerabdruck von Sprengstoffen – „sogar durch Verpackungen hindurch“. Zu den Paradestücken Siegener Sensortechnologie zählt eine 3-D-Kamera, die Entfernungen mit hoher und räumlicher Auflösung ermittelt. Doktoranden arbeiten derzeit an Sensoren, die die Kamera für komplexere Erkennungsaufgaben aufrüsten, um Personen auch in schwierigen Situationen zu identifizieren und problematische Eingriffe in die Privatsphäre zu vermeiden. Um den Nachwuchs auf diesem Forschungsfeld, das Datenschützer hellhörig macht, entsprechend zu konditionieren, stehen in Siegen Pflichtkurse zum Thema „Ethik in der Wissenschaft“ auf dem Lehrplan.

Einen Aktualitätsschub von ungleich größerer Wucht als in den Ingenieurswissenschaften spiegelt die Jahresbilanz der DFG-Forschungsunternehmen in den biologischen Disziplinen wider. Ausgelöst wurde er vom Klimawandel, dessen „Ick bün all doa“ selbst reichlich esoterisch formulierten Projekttiteln Rückenwind verleiht. Ganz unmißverständlich vom Kampf gegen den „Treibhauseffekt“ beflügelt werden hingegen Untersuchungen der Freiburger Biologin Alexandra-Maria Klein zum weltweiten Bienensterben, von der Universität Würzburg aus geleitete Forschungen über Biodiversität am Kilimandscharo oder Bemühungen einer interdisziplinären Marburger Gruppe um die Wahrung des ökologischen Gleichgewichts in den tropischen Bergwäldern Südecuadors.

Im Vergleich der lebenswissenschaftlichen Projekte lieferte die Bienen­expertin Klein und ihr internationales, auf niedersächsischen Erdbeerfeldern ebenso wie in kalifornischen Mandelplantagen operierendes Team vielleicht die sicherste Grundlage für umweltpolitische Sofortmaßnahmen. Kleins Mannschaft konnte zweifelsfrei belegen, daß Artenvielfalt in Agrarlandschaften der beste Garant für ertragreiche Ernten ist. Auf naturnahen Flächen tummeln sich bis zu 32 Wildbienenarten, auf weitflächigen Monokulturen fand sich indes überhaupt keine Wildbiene. Zugleich widerlegte Klein die Annahme, allein die Bestäubung durch die europäische Honigbiene reiche aus, um hohe Agrar­erträge zu sichern.

Handfeste Resultate lassen auf sich warten

Sich parallel zum Klimawandel vollziehende Rückwirkungen schwindender Artenvielfalt von Pflanzen, Insekten und Wirbeltieren auf komplizierte Ökosystemprozesse beschäftigen auch das deutsch-tansanische Gemeinschaftsprojekt am höchsten Berg Afrikas, wo immer mehr artenreiche Lebensräume Monokulturen weichen müssen. Ebenso wie in Ecuador, dem Staat mit der stärksten Abholzungsrate Südamerikas, wo Marburger Ökologen sich an der Quadratur des Kreises versuchen, da sie die den Treibhauseffekt verstärkenden Rodungen des Regenwaldes stoppen, der landhungrigen Bevölkerung aber nicht die Existenzgrundlage entziehen wollen.

Mit handfesten Resultaten nach dem Vorbild der Biologin Klein können beide exotische Unternehmen, am Kilimandscharo und im lateinamerikanischen Berg-Regenwald, zwar derzeit nicht aufwarten. Daß ihre langfristig angelegten Projekte in absehbarer Zeit an Aktualität einbüßen, das öffentliche Interesse und die Nachfrage nach dem von ihnen generierten Wissen sinken könnte, müssen die Forscher trotzdem nicht fürchten – der Klimawandel ist schließlich keine Eintagsfliege.

Foto: Terahertzkamera (l.), Erkenntnisse zum Bienensterben (M.), Abwehr von Angriffen auf Chipkarten: Praxistaugliche Erfolge staatlicher Förderung

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