© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Augustus schrieb Geschichte
Vor zweitausend Jahren starb der Begründer des römischen Kaisertums / Sozialgeschichtliche und gendertheoretische Ansätze versagen bei seiner Person
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 767 ab urbe condita, also seit der vermeintlichen Gründung Roms – nach heutiger Zählung handelte es sich hingegen um das 14. Jahr nach der Geburt von Jesus Christus – starb der römische Kaiser Augustus in Nola nahe Neapolis an der Diarrhoe. Zum Zeitpunkt seines Todes, der auf den 19. Tag des Monats fiel, der nach ihm benannt worden war, führte der 76jährige folgende Namen und Titel: Imperator Caesar Divi filius Augustus, Pontifex maximus, Consul XIII, Imperator XXI, Tribuniciae potestatis XXXVII, Pater patriae; zu deutsch: Imperator Caesar, Sohn des Vergöttlichten, der Erhabene, Höchster Oberpriester, 13maliger Konsul, 21maliger Imperator, 37maliger Inhaber der tribunizischen Gewalt, Vater des Vaterlandes. Und das verrät viel über die Biographie und Lebensleistung des Mannes, der am 23. September 63 v. Chr. als Gaius Octavius das Licht der Welt erblickte:

Uneingeschränkte Macht über das Römische Reich

So nahm Octavius 44 v. Chr. den Namen Caesar an, nachdem ihn sein Großonkel Gaius Iulius Caesar auf testamentarischem Wege adoptiert hatte, und fügte nach dessen Apotheose im Jahre 42 v. Chr. das „Divi filius“ hinzu. Außerdem erzwang er am 19. August 43 v. Chr. seine erstmalige Wahl zum Konsul und die Ächtung der Caesar-Mörder. Deren Verfolgung und Vernichtung zog sich bis 36 v. Chr. hin, wobei der Erbe des Gemeuchelten im Verlaufe der Kämpfe seine beiden Vornamen Gaius und Iulius durch den symbolträchtigen Begriff „Imperator“ ersetzte, der bis dahin überhaupt kein Name, sondern ein Titel gewesen war, welcher erfolgreichen Feldherrn auf dem Schlachtfeld per Akklamation zuerkannt wurde.

Ebenso übernahm er dann nach dem Triumph über Pompeius die Amtsgewalt des Volkstribunen, womit nicht zuletzt das Privileg einer sakrosankten Stellung verbunden war. Dem schloß sich der Machtkampf mit dem einstigen Bundesgenossen Marcus Antonius an, den der nunmehrige Imperator Caesar schließlich mit seinem Sieg in der Seeschlacht von Actium und der nachfolgenden Einnahme Alexandrias im Sommer des Jahres 30 v. Chr. gewann, womit die Epoche der fatalen Bürgerkriege endete, welche das Römische Reich ein Jahrhundert lang erschüttert hatten. Dafür verlieh ihm der Senat am 16. Januar 27 v. Chr. den Ehrennamen Augustus, das heißt „Erhabener“, was auf eine gezielte Gleichstellung mit dem Stadtgründer Romulus hinauslief.

Zu einer weiteren Auszeichnung kam es dann 12 v. Chr., als dem Caesar-Erben nun auch noch das Amt des Pontifex maximus, also des obersten Priesters des römischen Staatskultes, übertragen wurde. Von noch größerer politisch-symbolischer Bedeutung war freilich die Verleihung des Titels Pater patriae im Jahre 2 v. Chr. Damit nämlich kam zum Ausdruck, daß Augustus nunmehr die gleiche uneingeschränkte Macht über alle Menschen im Reich innehatte wie ein Familienoberhaupt über die Angehörigen seines Hauses.

Spätestens mit diesem Akt hatte sich die neue Regierungsform des Prinzipats durchgesetzt, welche den Beginn der fast fünfhundertjährigen Geschichte der römischen Kaiserzeit markiert: Augustus legte zwar in der entscheidenden Senatssitzung vom 13. Januar 27 v. Chr. nach der Beendigung des Ausnahmezustandes des Bürgerkrieges die Macht in die Hände des Senates und des Volkes zurück, womit die Republik wiederhergestellt schien, bekam aber sofort wieder zahlreiche singuläre Amtsbefugnisse verliehen, die der „Erste unter Gleichen“ virtuos nutzte, um zum Alleinherrscher über ein zentral gelenktes Imperium und damit zum Begründer der julisch-claudischen Kaiserdynastie aufzusteigen.

Alle Bezugspersonen von Ausgustus waren Männer

Bezeichnenderweise focht diese Umwandlung der Republik in eine Monarchie kaum jemanden an, denn Augustus gelang es auf bisher nie dagewesene Weise, für innere Stabilität, Wohlstand und Rechtssicherheit zu sorgen. So schrieb ein Zeitgenosse: „Die Äcker fanden wieder Pflege, die Heiligtümer wurden geehrt, die Menschen genossen Ruhe und Frieden und waren sicher im Besitz ihres Eigentums.“ Hierfür wurde später der Begriff Pax Augusta geprägt. Dennoch führte der Kaiser ab 25 v. Chr. weitere Kriege zur Vergrößerung des Imperiums – so gliederte er nach dem wohlhabenden Ägypten auch noch die nördliche Iberische Halbinsel und Zentralanatolien sowie weite Gebiete an Donau und Rhein ins Römische Reich ein. Dabei wurde um 15 v. Chr. auch die Stadt Augusta Vindelicorum, das heutige Augsburg, gegründet.

Die Umwälzungen zur Zeit des Augustus können als Musterbeispiel dafür dienen, daß der einstmals von Heinrich von Treitschke formulierte, aber inzwischen extrem verpönte Leitsatz „Männer machen die Geschichte“ eben doch gilt, womit gleich zwei Lieblingsparadigmen der modernen Geschichtswissenschaft widerlegt wären.

Zum ersten nämlich führt es zu absolut keinem historiographischen Erkenntnisgewinn, von der angeblich „androzentrischen“ Geschichtsschreibung abzuweichen und zusätzlich auch die damalige Rolle der Frauen zu thematisieren oder gar hervorzuheben, wie das verfehlte Werk „Gender, Domesticity, and the Age of Augustus“ beweist, in dem Kristina Milnor genau das versucht. Als der Imperator Caesar das Römische Reich über die sogenannte Augusteische Schwelle hob, womit gemeint ist, daß er es von einem instabilen in einen langfristig stabilen Zustand überführte, wurde pure „Männergeschichte“ geschrieben.

So waren zum Beispiel sämtliche wichtigen Berater und Bezugspersonen, aber auch Gegner von Augustus Männer: angefangen von seinem politischen Mentor und Adoptivvater Caesar über die rundum unverzichtbaren Freunde Agrippa und Maecenas bis hin zur Phalanx der Todfeinde um Cassius Longinus, Marcus Antonius, Marcus Iunius Brutus und Sextus Pompeius. Allerdings bietet dies genausowenig Anlaß, die Jahre zwischen 63 v. und 14 n. Chr. nun durch die Brille der „kritischen Männerforschung“ mit ihrem Glauben an „patriarchale Dividenden“, „hegemoniale Männlichkeit“ und ähnlichen Hokuspokus zu betrachten. Diese genderideologischen Bemühungen, geschlechtsspezifische Erklärungen oder gar Determinanten für historische Abläufe zu finden, sind samt und sonders unwissenschaftlich. Ja, beim genaueren Hinsehen eröffnen sich hier sogar bezeichnende Parallelen zur ebenfalls monokausal orientierten Geschichtsphilosophie nationalsozialistischer Ideologen vom Schlage eines Alfred Rosenberg, nur daß der in seinem „Mythus des 20. Jahrhunderts“ postuliert hatte, die Rasse sei der entscheidende historische Faktor gewesen.

Augustus veränderte die Strukturen des Reiches

Zum anderen führt die Biographie von Augustus aber auch die Hauptprämisse der Sozial- und Strukturgeschichte ad absurdum, welche lautet, daß nicht der Wille von Einzelpersonen den Geschichtsverlauf bestimme, sondern die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie überindividuellen Ideen, welche der jeweiligen Epoche inhärent seien. Das Leben und Wirken des ersten Kaisers des Imperium Romanum ist schließlich ein geradezu perfektes Exempel dafür, wie es einem Einzelnen doch sehr wohl gelingen kann, Weltgeschichte zu schreiben, ohne dabei Sklave irgendwelcher Strukturen oder sozialer Zwänge zu sein, die ihm nur ganz bestimmte Optionen offenlassen.

Augustus fügte sich eben gerade nicht in die vorhandenen Rahmenbedingungen ein und bemaß danach seinen Handlungsspielraum, sondern gestaltete beziehungsweise veränderte die Strukturen des Römischen Reiches nach seinen Vorstellungen und in Abhängigkeit von seinen Zielen. Das heißt, er „machte“ tatsächlich Geschichte und agierte keinesfalls bloß als Vollstrecker derselben. So war das Klima republikanischer Nostalgie und senatorischer Emanzipationsbemühungen, welches zum Ende der Bürgerkriege herrschte, kaum dazu geeignet, ein Kaisertum hervorzubringen, weshalb wohl niemand anders, eingeschlossen Augustus’ brutale oder mediokre Nachfolger Tiberius, Caligula, Nero und Claudius, etwas ähnliches hätte erreichen können.

Vergessen wir also die Thesen von Sozialgeschichtlern wie Jürgen Kocka, Reinhart Koselleck oder Hans-Ulrich Wehler – und erst recht natürlich die „Erkenntnisse“ der Gender-„Forscher_innen“ –, wenn wir des 2000. Todestages des ersten römischen Kaisers gedenken.

Foto: Statue Via Labicana Augustus im römischen Nationalmuseum; Inschrift auf dem Markttor von Ephesos mit der offiziellen Titulatur des Augustus (u.): Alleinherrscher über ein zentral gelenktes Imperium

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