© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Westliche Armeen
Schmusekatzen
Martin van Creveld

Seit nunmehr einigen Jahrzehnten sind die Streitkräfte des Westens – die sich nach wie vor damit brüsten, die am besten ausgebildeten, organisierten, ausgerüsteten und geführten in der Geschichte der Menschheit zu sein – in Schmusekatzen verwandelt worden. Und so kam es denn auch, daß sie von Niederlage zu Niederlage schritten. Zugegeben, 1999 gelang es ihnen, Serbien ihren Willen aufzuzwingen, dies aber lediglich, weil es sich bei diesem Gegner um ein kleines, schwaches Land handelte (damals wurden die durch einen langen Bürgerkrieg geschwächten serbischen Streitkräfte im weltweiten Vergleich auf Rang 35 verortet), und auch unter diesen Bedingungen nur deshalb, weil das Land in der Luft praktisch wehrlos war. Dasselbe galt für Libyen 2011. Der Großteil der Kämpfe am Boden wurde von einheimischen Kampfgruppen bestritten, die auch sämtliche Verluste zu erleiden hatten. In beiden Fällen galt: Wenn es um den Einsatz von Bodentruppen ging, um den Kampf Mann gegen Mann, war der Westen, mit den USA an der Spitze, schlicht und ergreifend am Ende seiner Kräfte.

Bei anderen Gelegenheiten lagen die Dinge noch schlechter. Westliche Streitkräfte versuchten, in Somalia Recht und Ordnung wiederherzustellen, und wurden von den „Skinnies“, wie sie ihre mageren, aber zähen Gegner nannten, aus dem Land gejagt. Sie versuchten, die Taliban in Afghanistan zu schlagen, und zogen wieder den kürzeren. Sie versuchten, dem Irak die Demokratie zu verordnen (und sich den Zugriff auf das irakische Öl zu sichern), und mußten sich mit eingezogenen Schwänzen wieder davonmachen. Die Kosten dieser närrischen Abenteuer sollen sich allein für die Vereinigten Staaten auf ungefähr eine Billion – 1.000.000.000.000 – Dollar belaufen haben. Und als nun diese Streitkräfte aufgefordert waren, dem Bürgerkrieg in Syrien ein Ende zu setzen, war es da nach einer solchen Folge von Niederlagen verwunderlich, daß sie und die Gesellschaften, denen sie dienen, vorzogen, die Greueltaten ungestört weiterlaufen zu lassen?

Der bei weitem wichtigste Grund für die wiederholten Niederlagen ist, daß es sich bei all den genannten Einsätzen um Luxuskriege gehandelt hat. Unter dem Schutz der Atomwaffen, durch die massive Angriffe verhindert werden, hat seit 70 Jahren kein westliches Land einen ernsthaften (und schon gar keinen existentiellen) Kampf gegen einen mehr oder weniger ebenbürtigen Gegner geführt. Da die Soldaten gegen Feinde kämpften, die wesentlich schwächer waren als sie selbst – oft in Gegenden, von denen sie nie etwas gehört hatten, und oft aus Gründen, die niemand außer ein paar Politikern verstand –, sahen sie keinen Grund, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, was unter den gegebenen Umständen auch der Gipfel der Dummheit gewesen wäre. Jedoch sind seit der Niederlage der Perser bei Marathon 490 vor Christus gegen die zahlenmäßig unterlegenen Griechen bis in die Gegenwart Soldaten, deren Hauptanliegen darin besteht, nicht getötet zu werden, nie in der Lage gewesen zu kämpfen, geschweige denn zu gewinnen.

Die westlichen Gesellschaften ehren ihre Soldaten nicht, im Gegenteil: Während der Ausbildung und der Kasernierung unterliegen sie zahllosen Vorschriften, die sie daran hindern, das zu tun, was für jeden Zivilisten das Normalste der Welt ist.

Man sollte nun annehmen, daß die Politiker und die Gesellschaften, die die Soldaten unter solchen Umständen so leichten Herzens in den Kampf schicken, alles in ihren Kräften Stehende tun, um sie wenigstens anderweitig schadlos zu halten – zum Beispiel, indem sie ihnen ermöglichen, das Leben etwas zu genießen, bevor eine Bombe explodiert und sie in Stücke reißt, oder indem sie denen, die sie ins Feuer schicken, freie Hand bei der Erfüllung ihrer Aufträge geben, ihnen gestatten, stolz auf ihre Leistungen zu sein, sie bei ihrer Rückkehr feiern und ihnen allerlei Privilegien einräumen. Hat nicht schon Plato vorgeschlagen, denen, die im Kriege Heldentum bewiesen hatten, im Namen der Republik das Vorrecht einzuräumen, zu küssen und geküßt zu werden? Schließlich waren es in jedem Bereich menschlichen Handelns, vom Fußball bis zur Buchführung, immer diejenigen, denen ihre Tätigkeit Freude bereitet hat, die die besten Ergebnisse erzielten. Und im Gegenzug waren es immer die Meister in einer Disziplin, die die größte Freude an ihrer Tätigkeit hatten. Gibt es irgend­einen Grund, warum das bei Krieg und Kampf anders sein sollte?

Statt dessen ehren oder achten die westlichen Gesellschaften ihre Soldaten in keiner Weise, im Gegenteil: Während der Ausbildung und der Kasernierung unterliegen sie zahllosen Vorschriften, die sie daran hindern, das zu tun, was für jeden Zivilisten das Normalste der Welt ist. Dazu gehören bei Amerikanern, die jünger als 21 Jahre sind, der Kauf einer Büchse Bier und das Trinken ihres Inhalts. Während der Feldzüge sind ihnen die Hände durch Einsatzvorschriften gebunden, die sie häufig zum Gespött ihrer Gegner machen, sie daran hindern, sich zu verteidigen, zu unnötigen Verlusten führen und deren Verletzung bestraft wird. Jeder, der öffentlich sagt, daß er stolz sei auf sein tödliches Geschäft – wie es zum Beispiel der legendäre und inzwischen pensionierte Generaloberst der US-amerikanischen Marineinfanterie Jim Mattis einmal getan hat –, erhält, wenn er Glück hat, die Empfehlung, den Mund zu halten, wenn er Pech hat, wird er disziplinarisch bestraft.

Amerikanische Soldaten, die von einem Einsatz zurückkehren, müssen sich auf eine posttraumatische Belastungsstörung hin untersuchen lassen. Einige von ihnen leiden ohne Zweifel tatsächlich unter einer solchen PTBS, aber die gesamte Geschichte zeigt, daß es schlicht und ergreifend nicht wahr ist, daß Kämpfen, Töten und das Miterleben von Tod und Verwundung zwangsläufig Traumata verursachen. Angenommen, das römische Heer hätte PTBS so behandelt, wie wir es heute tun: Hätte es dann die Welt erobert? Und außerdem ist es im Gegensatz zu landläufigen Meinungen nicht wahr, daß der Kampf in vergangenen Zeiten weniger schrecklich war als in seiner gegenwärtigen Form. Möglicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall, da damals die Kontrahenten einander wortwörtlich Auge in Auge gegenüberstanden, die Schreie hörten, das Blut spritzen sahen und die zerschmetterte Hirnmasse auf ihrer Haut spürten.

Wie ich bereits vor Jahrzehnten in „Kampfkraft“ schrieb, liegt die wahre Ursache der PTBS in einem Personalverwaltungssystem, das die Soldaten aus Gründen der Verwaltungseffizienz wie austauschbare Produktionsfaktoren behandelt, sie isoliert und sie daran hindert, Bindungen aufzubauen. Dabei sind die erwähnten psychologischen Untersuchungen erniedrigend: Durchgeführt mit dem Gedanken, eventuellen Haftungsverpflichtungen Genüge tun zu müssen, krönen sie eventuelle Traumata noch durch eine Beleidigung. War es nicht Friedrich der Große, der sagte, daß lediglich der Stolz in der Lage sei, Männer dazu zu bewegen, auf die Mündungen der auf sie gerichteten Kanonen zuzumarschieren? Aber damit nicht genug: Weit davon entfernt, die Tapferkeit und die Opfer der Soldaten zu ehren, behandelt die Gesellschaft sie häufig als „beschädigtes Material“. Und es ist sogar so weit gekommen, daß die Gesellschaft automatisch davon ausgeht, daß sie beschädigt sind.

Eine wichtige Rolle bei all dem spielen weibliche Soldaten und der Feminismus allgemein. In jeder bekannten menschlichen Gesellschaftsordnung seit Anbeginn der Dinge galt eine Behandlung, die für Männer als angebracht erschien, als zu hart für Frauen.

Eine wichtige Rolle bei all dem spielen weibliche Soldaten und der Feminismus allgemein. In jeder bekannten menschlichen Gesellschaftsordnung (und sogar, soweit wir das beurteilen können, in einigen tierischen Sozialordnungen) seit Anbeginn der Dinge galt eine Behandlung, die für Männer als angebracht erschien, als zu hart für Frauen. Im Gegenzug galt es für Männer als Gipfel der Erniedrigung, wie Frauen behandelt zu werden. Indem die westlichen Streitkräfte so auf der Geschlechtergleichheit bestehen, wie es heute der Fall ist – indem man sogar „Gleichstellungsbeauftragte“ installiert hat, deren Aufgabe es ist, jeden Mann zu verfolgen, der es gewagt hat, eine Frau zu „beleidigen“ –, ziehen sie den Stolz ihrer Männer in den Schmutz. Dies um so mehr, als es nach wie vor die Männer sind, die den Löwenanteil der Kampftätigkeit leisten, wie man an der Verteilung der Verluste ablesen kann. Gleichzeitig stellen die Streitkräfte an Frauen oft Anforderungen, die deren Kräfte übersteigen. Der Beweis: Wesentlich mehr weibliche als männliche Soldaten leiden an PTBS.

Wäre dieses System mit dem Zweck erdacht worden, die Kampfkraft der Armeen des Westens zu schwächen, dann wäre es nahezu vollkommen. Und hier stellt sich unbedingt die Frage: Cui bono? Wer hat Nutzen davon? Darauf gibt es mehrere Antworten. Zunächst sind da die Tausenden von Psychologen und Psychiatern zu nennen, die dafür bezahlt werden, die betreffenden Personen zu behandeln. Wie die Psychologin in Philip Roths Roman „Der menschliche Makel“, die einen Veteranen des Vietnamkrieges befragt, ob er jemals einen Menschen getötet habe (als Maschinengewehrschütze in einem Hubschrauber hatte er Hunderte, wenn nicht Tausende erschossen), wissen die meisten von ihnen nicht einmal, wie ein MG-Geschoß aussieht. Dann folgen die Unternehmen, die alle möglichen Arten von Psychopharmaka herstellen. (Die Standardbehandlung von PTBS erfolgt mit Medikamenten.) Und schließlich sind da die Medien. Immer bereit, den ersten Stein zu werfen, ist es wieder und wieder ein gefundenes Fressen für sie, die Betroffenen einem lechzenden Publikum zu verkaufen. Gemeinsam verdienen diese drei Gruppen Milliarden an dem Geschäft.

Und nicht zuletzt sind da die feministischen Organisationen, die stets und ständig auf der „Gleichstellung“ (im Klartext: der Privilegierung) der Frauen bestehen, auch wenn dies bedeutet, über die Leichen zahlreicher „Schwestern“ zu gehen und das Militär ihrer jeweiligen Länder zugrunde zu richten.

Abschließend sind noch zwei Punkte anzumerken: Zum einen haben, wie ihre zahlreichen Siege deutlich machen, die Taliban, ihre Waffenbrüder in anderen Ländern und die Gesellschaften außerhalb der westlichen Welt im allgemeinen gut erkannt, daß es nicht ratsam ist, dem Westen auf seinem selbstzerstörerischen Weg zu folgen. Zum anderen sind Gesellschaften, die ihre Kampfkraft verlieren, indem sie ihr Militär so behandeln wie der Westen, zum Untergang verurteilt. Früher oder später wird jemand mit einem scharfen Schwert daherkommen und ihnen den Kopf abschlagen.

Wer Ohren hat zu hören, der höre.

 

Prof. Dr. Martin van Creveld, Jahrgang 1946, gilt als einer der weltweit führenden Militärtheoretiker“ bzw. als „einer der renommiertesten Militärhistoriker der Gegenwart“ (Die Welt). Von 1971 bis zu seiner Emeritierung lehrte er Theorie des Krieges an der Hebräischen Universität Jerusalem. Für die JUNGE FREIHEIT schrieb er zuletzt über Frauen in den US-Streitkräften („Wie man eine Armee ruiniert“, JF 7/13).

Foto: Spielzeugsoldaten: Soldaten, deren Hauptanliegen darin besteht, nicht getötet zu werden, sind nie in der Lage gewesen zu kämpfen, geschweige denn zu siegen

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