© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Die peinlichsten GEZ-Manipulationen
Erst ZDF, jetzt NDR: Die Enthüllungen über getürkte Abstimmungen und gefälschte Ranglisten reißen nicht ab
Ronald Gläser

Es ist seit Jahren Bestandteil der PR-Dauerbeschallung auf ARD-Konferenzen, wenn das Thema Quoten und Konkurrenten wie RTL zur Sprache kommt. Die immer wiederkehrende Botschaft führender ARD-Größen lautet: Wir kämpfen um die Zuschauer, lassen uns aber nicht auf das Niveau der privaten Konkurrenz herab. NDR-Chef Lutz Marmor hat es auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche 2011 so ausgedrückt: „Scripted Reality und andere Krawallformate haben bei uns keinen Platz. Das wird auch so bleiben!“ Einen Monat später sendete der NDR die Hitliste „Die bedeutendsten Norddeutschen“ aus. Bei einer Wiederholung ein Jahr später wurde Loriot auf Platz acht einfach durch Loki Schmidt ersetzt. Laut NDR hatte es Streit um die Ausstrahlungsrechte eines Loriotfilms gegeben. Da haben die Redakteure die Rangliste kurzerhand geändert.

Diese Manipulation war kein Einzelfall. NDR-Redakteure haben regelmäßig so gehandelt. Das Ganze weitet sich nun zum Skandal aus. Ein Rundfunkrat-Mitglied prognostiziert: „Das wird hundertprozentig noch Ärger geben.“ Auch deswegen ist Marmor die Flucht nach vorne angetreten.

In diesen Unterhaltungsshows mit diversen Ranglisten verdichtet sich alles, was die Öffentlich-Rechtlichen an den Privaten kritisieren: Sie sind seichte Unterhaltung, bringen aber hohe Quoten. Die letzte „ultimative Chartshow“ bescherte RTL am vergangenen Freitag eine Einschaltquote von 7,5 Prozent (1,7 Millionen Zuschauer). Und das war ein schwacher Wert.

Nur eine Simulation von Demokratie beim NDR

Als Oliver Geissen dieses Format 2003 groß rausgebracht hat, hat kaum ein Programmdirektor damit gerechnet, daß es so erfolgreich und langlebig sein würde. Elf Jahre sind eine Ewigkeit in einer Zeit, in der Privatsender neue Serien wie „Suits“ (Vox) nach nur wenigen Folgen absetzen, weil die Quoten in den Keller gehen.

Kein Wunder, daß die öffentlich-rechtlichen Sender, die gerne Erfolgsgeschichten der Privaten nachahmen, nun selbst ein Sammelsurium an Rankingshows produziert haben. Das höhere Maß an Seriosität der Öffentlich-Rechtlichen wurde zur Grundlage für Serien wie „Deutschlands Beste“ im ZDF und eine Vielzahl von ähnlichen Sendungen in den Dritten. Mit Sendungen über unsere schönsten Landgasthöfe, Parks oder Oldies lassen sich ganze Nachmittage im Programm von RBB, SWR und Co. füllen.

Doch die Glaubwürdigkeit der Sender ist jetzt erschüttert, weil herausgekommen ist, daß die Ranglisten nach Herzenslust von den zuständigen Produzenten verändert wurden. Offenbar eine gängige Praxis. Das ist besonders deshalb ärgerlich, weil dem Fernsehpublikum – anders als bei RTL – vorgegaukelt wird, es könne über die Plazierung entscheiden. Leser der Hörzu und Besucher der ZDF-Internetseite waren aufgefordert worden, die „50 besten Deutschen“ zu benennen. Doch die Antworten der Zuschauer wanderten in den Papierkorb. Obendrein wurden die Ergebnisse einer Umfrage, die dann als Grundlage für die Sendung herangezogen wurde, manipuliert: So rückte Claus Kleber nach vorne, und sein Konkurrent Peter Kloeppel wurde degradiert. Kleber ist beim ZDF, Kloeppel bei RTL.

Wegen der ZDF-Enthüllungen begann auch der NDR seine Sendungen zu überprüfen und förderte Erstaunliches zutage: Gleich in zehn Fällen räumte der Sender ein, Ranglisten der Zuschauer verändert zu haben. Betroffen sind unter anderem die Sendungen „Die beliebtesten Partyhits“, „Die schönsten Mühlen Norddeutschlands“ oder die „Top Flops“-Finalshows.

Mögen die Gründe für die Manipulationen auch nachvollziehbar sein – es ging teilweise um fehlende Bilder oder Bildrechte –, so sind diese Eingriffe dennoch verheerend für den guten Ruf der Sender. Wer GEZ-Steuern einsammeln läßt und suggeriert, die Zuschauer hätten einen Einfluß auf die Programmgestaltung, der entlarvt sich als Gauner, wenn er die Meinung seiner Kunden so eiskalt übergeht.

Auch weil die Dinge heimlich geschahen. „Nicht hinnehmbar“, urteilte daher auch Senderchef Lutz Marmor über die Vorgänge in seinem Sender. Er kündigte an, in Zukunft werde der NDR „alles dafür tun, selbst geringfügige Abweichungen zu vermeiden und offen darzulegen, wenn sie im Ausnahmefall redaktionell geboten sind.“ Soll heißen: Keine Scripted Reality mehr beim NDR. Diesmal wirklich.

Foto: NDR-Chef Lutz Marmor; Logo einer der manipulierten Sendungen: „Scripted Reality und andere Krawallformate haben bei uns keinen Platz“

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