© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Leidenschaft bringt Leiden
Tiroler Festspiele: Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in 24 Stunden gepreßt im Passionsspielhaus in Erl
Sebastian Hennig

Für die Tiroler Festspiele Erl sind neben Mozart, Bruckner und Richard Strauss vor allem zwei musikalische Gestalten grundlegend. Der Nachruhm des einen verwandelt sich in den Kult um den andern. Der 24-Stunden-„Ring“ ist ein wagnerianisches Hochamt mit der willkürlich erzeugten Transsubstantiation des musikdramatischen Giganten Richard Wagner in den dramatisch-musikalischen Titanen Gustav Kuhn.

Der in Salzburg geborene Dirigent, Intendant und künstlerische Gesamtleiter wird von den Mitwirkenden „der Gustav“ und vom Publikum „Maestro Kuhn“ geheißen. Als der geniale Choleriker 1985 in Bonn den Intendanten öffentlich ohrfeigte, katapultierte er sich damit in eine neue Umlaufbahn. Bald danach entstand die Konzeption der Accademia di Montegral als eines Treibhauses für die Opernelite. 1992 erfolgte die Gründung, und seit 2000 gibt es einen festen Sitz im klösterlichen Convento dell’Angelo über der toskanischen Stadt Lucca.

Inmitten dieser musisch-ästhetischen Sekte wirkt der korpulente Gralshüter durchaus etwas klingsorhaft. Denn für die Künstler, Sänger, Musiker welche sich den Montegral-Exerzitien unterziehen, wird die „erbarmungslose Logik des Marktes“ und das „von Bürokratismus gelähmte System“ ersetzt durch die Autokratie eines Maestro, des „Erl-König“ Gustav Kuhn. Das ist auch nicht jedermanns Sache.

Doch wie immer die Ergebnisse zustande kommen mögen, sie bleiben verblüffend. 1998 wurden die ersten Tiroler Festspiele mit „Rheingold“ eröffnet. Das Passionsspielhaus bietet Sitzplätze für anderthalbtausend Personen. Soviel Einwohner hat Erl. Die stählerne Dornenkrone, das schmerzliche Symbol der Teilung des Landes Tirol, wurde nach dem Innsbrucker Umzug von 1959 am Passionsspielhaus in Erl aufgestellt.

Geburtstagsgeschenk für den Mäzen

Als 2004 Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ das erste Mal komplett in der halbszenischen Aufführung stattfand, wurde die Aufmerksamkeit des Bayreuth-Besuchers Hans-Peter Haselsteiner erweckt. Der vorläufige Höhepunkt der Männerfreundschaft und eines Kulturkampfbündnisses zwischen einem Bau- und einem Opernunternehmer war die Eröffnung des Winterfestspielhauses im Dezember 2012. Dessen versenkbarer Orchestergraben ist um einiges größer als jener der Wiener Staatsoper. In diesem Jahr wurden zum ersten Mal beide Häuser bespielt.

Tirol hat kühne Kolonisten in die Welt gesandt und den modernen Typus des Extremsportlers hervorgebracht. Das Unterfangen, Wagners anspruchsvolle Tetralogie ohne Ruhetage durchzupeitschen, paßt zu solcher Gipfelstürmerei. Die tollkühne und rücksichtslose Bewirtschaftung der Hochkulturalm markiert den spektakulären Gipfel in der kurzen Geschichte der Erler Festspiele.

Diesen August wurde er als Geburtstagsgeschenk für den Mäzen ein weiteres Mal aufgeführt. Bevor die ersten Klänge des Vorabends ertönten, nahmen die Mitwirkenden Aufstellung und skandierten: „Hans-Peter Haselsteiner, wir widmen dir diesen Ring.“ Und die drei zartgliedrigen japanischen Rheintöchter, die sich dann im Stück dem Alberich (Thomas Gazheli) gegenüber so spröde zeigen sollten, huschten flugs durch die Reihen, um den großen Kapitalisten symbolisch zu umschmeicheln.

Fasolt und Fafner bauten in Erl ein wagnerisches Walhall. Sie wölbten dem irdischen Publikum einen Regenbogen den zu überschreiten doch die Kraft armer Sterbliche übersteigt. Die Musiker sollen zwar alle auch die „Götterdämmerung“ überlebt haben. Doch die physische Krisis von Publikum und Darstellern war im letzten Akt von „Siegfried“ in der vorletzten Stunde des Sonnabends nicht mehr zu leugnen.

Wie eine der großen Felswände die den Ort umstehen, erhebt sich gegenüber dem Publikum das Massiv des Festspielorchesters, gekrönt von den sechs Harfen, geht es herunter über das Blech bis zu den Geigen. Vor dem transparenten Vorhang werden die Handlungsorte nur angedeutet. Eine Atmosphäre von Baumarkt, Sport- und Campingplatz umgibt die Götter-, Riesen- und Zwergenwelt. Effekte sind wichtig.

Dabei wird auch durchgängig großartig gesungen. Als Wotan (Michael Kupfer) und Loge (Johannes Chum) absteigen ins Nibelungenreich, betreten achtzehn Perkussionisten mit Stirnlampen den Saal und traktieren seitlich der Sitzreihen aufgestellte Ambosse. Fasolt (Franz Hawlata) ist ein Football- und Fafner (Andrea Silvestrelli) ein Hockeyspieler. Auf Plateausohlen mit gewaltiger Schulterpolsterung und Armierungsstücken stampfen sie einher. Froh (Ferdinand von Bothmer) fuchtelt göttlich mit seinem Golfschläger, und als Donner (Frederik Baldus) in der Schlußszene die Wolken auflöst, schwingt er einen echten Wurfhammer und schleudert ihn zeitgleich mit dem Paukenschlag auf den Boden.

Wagnerianer huldigen eigenen Begierden

Diese wilde Wirtschaft geht so weiter. Metallische Walküren kreuzen auf silbernen Bergfahrrädern, Hunding (Raphael Sigling) trägt schwarze Motorradlederkluft. Die rotledern gewandete Fricka wurde grandios wiederum von Hermine Haselböck gegeben, während in anderen Rollen die Dreifachbesetzungen voll ausgeschöpft wurden und so drei verschiedene Brünnhilden nacheinander zu erleben waren. Da hier aber die drei Tage in 24 Stunden gepreßt wurden, wirkte der Wechsel seltsam irreführend.

Um das Verständnis über tagelange Pausen sicherzustellen, sah sich Wagner zu vielen gesungenen Wiederholungen der geschehenen Handlung genötigt. Notfalls wären die Stücke einzeln in sich abgeschlossen. In der gedrängten Form des eiligen „Rings“ von Erl hätte man diese Stellen in musikalische Zwischenspiele kürzen sollen, was gewiß ein barbarisches Sakrileg ist. Aber damit wäre eine Barbarei der anderen wert gewesen. Denn die hartgesottenen Wagnerianer huldigen mit derartigen Gewaltsamkeiten weniger dem Meister als ihren eigenen maßlosen Begierden.

Trotz der übermenschlichen Anstrengungen endete der vierteilige Opernwahnsinn mit großem Schwung am Sonntag nachmittag. Besonders Mona Somm als Brünnhilde wurde zu Recht begeistert gefeiert. Den Widmungsträger der Aufführung leiteten die Rheintöchtern auf die Bühne, wo er sich vor den Galeerensklaven des Wagnerschen Gesamtkunstwerks auf die Knie niederließ.

An diesem Freitag findet im neuen Haus die letzte von drei Vorstellungen mit dem spanischen Startenor José Carreras (67) in der Titelrolle der Uraufführung der Oper „El Juez“ von Christian Kolonovits statt. Zu den Winterfestspielen gibt es am 26. und 27. Dezember mit „Cosi fan tutte“ und „Fidelio“ wieder zwei Opernpremieren, und der „Erl-Ring“ wird auch 2015 in drei Tagen mit einem Vorabend stattfinden. 2019 finden dann in Erl wieder die Passionsspiele in der Jubiläumsfassung von Felix Mitterer statt.

Foto: Walküren, Wotan (Vladimir Baykov) und Brünnhilde (Bettine Kampp): Drei verschiedene Brünnhilden

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