© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Der Irokesenhäuptling der Internetgemeinde, Sascha Lobo, läuft – wie meist um diese Zeit – in einer Art Watschelgang durch die Gegend. Wahrscheinlich nennt er es Arbeit: die Ohren verstöpselt, in der einen Hand den Kaffeebecher, in der anderen das seinen Blick absorbierende Smartphone, mit dem er offenbar eine eigentümliche Symbiose eingeht. Diesmal erscheint sein roter Hahnenkamm, als er den Weg über den Helmholtz-Platz nimmt. Für den desillusionierten Lobo, der sich jüngst angesichts der Internet-Überwachung in eine Reihe mit den großen Kränkungen der Menschheit – Kopernikus, Darwin, Freud – stellte, wäre ein Gemälde beim Gang über diesen Platz vielleicht das passende philosophische Bild, vor dem Hintergrund des physikalischen und physiologischen Pioniergeists Hermann von Helmholtz’.

Ausstellungseröffnung zum zehnjährigen Bestehen vom Berghain, des zuletzt attraktivsten Berliner Nachtclubs und der – vor allem – homosexuell-heroischen Hedonismus-Kathedrale mit ihren zahllosen grobschlächtigen Verrichtungsboxen. In der angrenzenden Halle, einst Heizkraftwerk der Stalinallee, sind die Werke namhafter, mit dem Klub verbundener Künstler zu sehen, wie Norbert Bisky, Marc Brandenburg, Carsten Nicolai oder Sven Marquardt, des weltbekannten, über und über gepiercten und tätowierten Türstehers. Letzteren hatte ich unlängst für die JF angesprochen, „die zweitgrößte Wochenzeitung der Republik“. Darauf Marquardt, dessen gerade im Ullstein-Verlag erscheinende Autobiographie den Titel „Die Nacht ist Leben“ trägt: „Wieso kenne ich die dann nicht?“

Der in Danzig geborene Künstler Piotr Nathan hat unter anderem alte Klo-Türen aus den neunziger Jahren zu Sitzbänken umgearbeitet. Auffällig sind hier die vielen Kontaktanzeigen, in denen die Penetration durch Araber und Türken gesucht wird. Bemerkenswert ist die religiöse Dimension des Körperkultes in den zum Berghain-Jubiläum exponierten Artefakten. Die Künstlerin Sarah Schönfeld hat in den Arbeiten zu „Hero’s Journey“ die Ausscheidungen der Berghain-Besucher in eine „Archäologie der Ekstase“ überführt. In der vier Meter langen, beleuchteten Glasvitrine („Lamp“) leuchtet der Urin in diffusem Rot, während die samtenen Schweißtücher („Towels“) – sichtbar gemacht mit einem chemischen Kontrastmittel – einen violetten Balken abbilden, dessen „Teststreifen“ zugleich Assoziationen zum Turiner Tuch und zur katholischen Lehre eröffnet, in der die Farbe Violett sinnbildlich für Phasen des Übergangs und der Verwandlung steht.

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