© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Pankraz,
Shinzo Abe und die Generation der Enkel

Nächsten Monat (21. September) wird Japans Regierungschef Shinzo Abe sechzig Jahre alt. Er und die deutsche Bundeskanzlerin Angelika Merkel (geboren am 17. Juli 1954) sind faktisch gleichaltrig. Beide gehören der sogenannten „Enkelgeneration“ an, die das politische Schicksal ihrer Länder zu prägen beginnt. Vorausgegangen waren ihr nach dem Zweiten Weltkrieg die „Wiederaufbaugeneration“, deren Angehörige noch vor dem Krieg sozialisiert wurden, und die Generation der „Kulturrevolutionäre“, die in den sechziger Jahren ihr dröhnendes Meta-Regime aufrichtete.

Ein genauerer Vergleich der „Enkel“ Merkel und Abe scheint überfällig. Das Thema „Deutschland – Japan“ stand jahrzehntelang ganz oben auf der Themenliste der Politologie. „Wer hat sich schneller aus der Katastrophe der Niederlage wieder erhoben?“, wurde allenthalben gefragt, „wer macht seine Sache besser, wer hat die größeren Ertragszahlen?“ Die deutsche Wiedervereinigung und der rasante wirtschaftliche und politische Aufstieg Chinas haben solche Fragen in den Hintergrund gedrängt, aber heute melden sie sich offenbar zurück, fokussiert auf die Frage: Wer ist besser, Merkel oder Abe?

Beide sind in ihren Ländern sehr beliebt, ihre Sympathiewerte liegen weit über denen der von ihnen geführten Regierungen und Parteien. Bei den internationalen Ökonomen und Politologen freilich genießt Merkel einen erstaunlichen Platzvorteil. Sie wird zwar wegen ihrer angeblich übertriebenen Sparsamkeit und Inflationsangst oft ermahnt, andererseits aber auch sehr bewundert, Abe hingegen sitzt ganz tief im Keller der Kritik. Er gilt außerhalb Japans fast nur noch als „gefährlicher Deflationist“ (Wall Street Journal), der die Preise mit allen Mitteln künstlich tief hält und dadurch sämtliche Investoren abschreckt.

Man kann sich über solche Urteile nur wundern. Denn bei Lichte betrachtet ist der wirtschaftspolitische Kurs der beiden Länder nach wie vor sehr ähnlich; es ist der Kurs erfolgreicher, mittlerweile weitgehend saturierter Volkswirtschaften, deren Wachstum sich immer mehr von der bloßen Quantität hin zur gezielten Qualität wandelt. Gewiß gibt es dabei Krisen, Unterbrechungen, unerwünschte Aufenthalte. die Zuwachsraten sinken, der Export gerät quartalsweise ins Stocken, es herrscht mitunter empfindlicher Mangel an qualifizierten Fachkräften für wichtige Spezialbereiche.

Aber merkwürdig, nur dem Japaner Abe werden die momentanen Rückschläge hämisch unter die Nase gerieben. Ein seichter Populist sei er, heißt es. Was in Japan unter Abe praktiziert werde, seien keine „economics“ mehr, sondern nur noch „Abenomics“. Die Wirtschaft werde von ihm zur Magd der Politik, insbesondere der Außenpolitik gemacht. „Was Abe wirklich interessiert“, wetterte kürzlich ein deutscher Korrespondent, „ist, Japan von den Greueltaten seiner Geschichte im letzten Krieg reinzuwaschen und dem erstarkenden China ein militärisch aufgerüstetes Japan entgegenzusetzen.“

Liegt hier des Pudels Kern? Abe, so will man offenbar anklagend suggerieren, kümmere sich nicht hinreichend um die Renditen von Investoren, ihm gehe es ausschließlich um das Wohl des von ihm regierten Volkes; nicht immer müssen beide Absichten ja deckungsgleich sein. Und Abe weiß offenbar, daß die Wirtschaft nicht alles ist, daß zur Politik auch die Sorge um das geistige Wohlergehen des Volkes zählt sowie die Sorge um dessen militärische Sicherheit. Man muß die Machtdemonstrationen des großen Nachbarn China doch zumindest ernst nehmen und darauf angemessen reagieren!

Und was die Sorge um das geistige Wohlergehen betrifft, so gehört dazu zweifellos der Wille, lange zurückliegende Kriege zwischen heutigen guten Nachbarn, vielleicht sogar Verbündeten, endlich ehrlich zu historisieren, das heißt die Erinnerung an sie von jeglichen Schuld- und Rachegefühlen zu reinigen und die Erforschung damaliger Realitäten mit „heiliger Objektivität,“ sine ira et studio, voranzutreiben, die überlieferten Fakten vor allen Lügen und Übertreibungen zu schützen.

Shinzo Abe verhält sich in diesem Belang bisher absolut angemessen und in jeder Hinsicht vorbildhaft. Er erweist sich darin als typischer Vertreter der oben erwähnten Enkelgeneration, der es schon längst – besonders natürlich in den ehemaligen Niederlagenländern, also in Japan und Deutschland – buchstäblich zum Halse heraushängt, sich schon von früher Kindheit an als Angehörige eines „ewigen Schuldvolkes“ eingestuft zu sehen und danach faktisch ihr ganzes Leben, Rhetorik wie Mimik, ausrichten zu sollen.

Angela Merkel hat es in Sachen Schuldkomplex zugegebenermaßen schwerer als ihr japanischer Kollege, sowohl in geopolitischer als auch in geistespolitischer Hinsicht. Das Land, dem sie vorsteht, ist keine glückliche Insel, die zudem noch durch höchst eigenwillige Sprach- und Traditionsschranken vor allzu intensiver Einwanderung geschützt ist, sondern es liegt mitten in Europa, in ihm kreuzen sich tausenderlei wirtschaftliche, finanzielle und kulturelle Interessen, und es ist bedroht von riesigen Strömen integrationsunwilliger Immigranten.

Zudem wird sein Schuldkonto zusätzlich vom Vorwurf des Holocausts belastet, ein gräßlicher Fluch hängt über ihm und kann offensichtlich durch nichts besänftigt werden. Während Shinzo Abe manchmal wie selbstverständlich buddhistische Schreine besucht, wo japanischer Staatsmänner und Offiziere gedacht wird, welche von amerikanischer oder chinesischer Seite als „Kriegsverbrecher“ bezeichnet werden, erscheint Merkel regelmäßig als Gast bei den ehemals alliierten Mächten, wenn diese mit Getöse ihren Sieg über die „deutschen Kriegsverbrecher“ feiern.

Dafür mag es mancherlei Gründe geben, aber der Enkelgeneration, der sowohl Merkel als auch Abe angehören, gefällt es nicht; da sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Das wird auch die deutsche Bundeskanzlerin lernen müssen, hoffentlich bald und nicht auf unser aller Kosten.

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