© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Zerfall einer Partei
Bayern: Die Affäre um Staatskanzlei-Chefin Christine Haderthauer ist nur ein Symptom für die tiefgreifende Krise der CSU
Paul Rosen

Bewohner Bayerns kommen langsam in Schwierigkeiten, wenn sie die Affären des Kabinetts Horst Seehofers und der CSU in der richtigen Reihenfolge aufsagen sollen. Der Spielplan des bayerischen Polit-Kommödiantenstadls ist jedenfalls gut gefüllt und vor allem abwechslungsreich: Vom damaligen Fraktionschef Georg Schmid und der Verwandtenaffäre über den unschuldig in der Psychatrie eingesperrten Gustl Mollath und weiter über die Pkw-Maut und die Bayerische Landesbank bis hin zur Modellauto-Affäre um Staatskanzlei-Chefin Christine Hader-thauer. Selbstreinigungskräfte, die sie zu Zeiten der Amigo-Affäre des damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl noch hatte, sind der CSU offenbar abhanden gekommen. Und zu politischer Aktion ist die gelähmt wirkende Partei nicht mehr fähig.

Ein aktuelles Beispiel zeigt, daß sich die CSU aus der großen Politik abgemeldet hat. Unter ihren Vorsitzenden Franz Josef Strauß, Theo Waigel und Edmund Stoiber erhob sie einen bundespolitischen und internationalen Anspruch. Strauß wäre angesichts des internationalen Konflikts um die Ukraine längst nach Moskau und Kiew geflogen und hätte selbst am Steuerknüppel der Maschine gesessen. Der heutige Parteichef Seehofer hat nicht nur keinen Pilotenschein: Selbst in Brüssel kennt man den Mann nicht.

Mit Seehofer – das wäre Strauß oder Stoiber nie so ergangen – setzen sich inzwischen nur noch zweitrangige Politiker aus anderen Parteien auseinander, was den Machtverfall und Machtzerfall der früheren Staatspartei eindrucksvoll zeigt. So nannte der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, ein außerhalb seines Landes wenig bekannter Mann, Seehofer das „Rumpelstilzchen aus München“.

In der Modellauto-Affäre fällt das wochenlange Zögern Seehofers auf, der sich von der wie er selbst aus Ingolstadt stammenden Staatskanzlei-Chefin Haderthauer offenbar noch nicht trennen will, obwohl dies dringend notwendig wäre. Erst am vergangenen Wochenende gab es eine erste Distanzierung, als Seehofer erklärte, Haderthauers Stellungnahme zur Gründung eines Unternehmens zur Vermarktung von Modellautos, die in der Psychiatrie untergebrachte Straftäter herstellten, sei „nicht sehr hilfreich gewesen“. In der Partei wird gefragt, warum Seehofer so lange damit zögert, Haderthauer aus dem Amt zu entfernen.

Ein anderes Beispiel macht gut klar, daß Seehofers Position erschüttert ist: In Berlin drohte er mit Koalitionsbruch, falls die von seinem Verkehrsminister Alexander Dobrindt geplante Pkw-Maut nicht beschlossen werde. Darauf reagierten weder Koalitionspartner noch Opposition. Generalsekretär Andreas Scheuer verkämpfte sich in einem unnötigen Streit mit der Bundestagsverwaltung über ein angeblich fehlerhaftes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zur Ausländermaut. Nicht nur die Frankfurter Rundschau spottete, die CSU habe doch immer vom Wissenschaftlichen Dienst profitiert, zum Beispiel in Gestalt ihres damaligen Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Doktorarbeit sich in wesentlichen Teilen aus Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes zusammensetzte.

Zulauf für konservative Partei-Rebellen

Ebenso verhallten Seehofers Warnungen vor einem Stopp aller Rüstungsexporte ungehört. Daß Seehofer nicht mehr ernst genommen wird, liegt nicht nur an seiner Gewohnheit, die Meinung manchmal täglich zu wechseln. Mit einem feinen Gespür für Zusammenhänge haben andere Berliner Politiker auch aus anderen Parteien längst mitbekommen, daß die Macht des Ministerpräsidenten verfällt, wenn zum Beispiel dessen Innenminister Joachim Herrmann mit der Maut das zentrale Projekt und den Wahlkampfschlager der Partei ungestraft in Frage stellen kann. Und ausgerechnet in der CSU gründet sich eine Basisbewegung „konservativer Aufbruch“, die sich regen Zulaufs erfreut (JF 27/14). Das wundert nicht, weil Seehofer trotz Chamäleon-Eigenschaften mit konservativen Positionen noch nie in Verbindung gebracht wurde. Von Haus aus ist er Sozialpolitiker und diente unter Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU). Strauß pflegte solche Leute als „Herz-Jesu-Sozialisten“ zu verspotten. Angesichts der Affären seiner Partei, wo Verwandte zu hohen Gehältern auf Staatskosten beschäftigt wurden, und einer persönlichen Affäre (aus der ein Kind hervorging) wirkt es selbst für viele Parteifreunde nur noch peinlich, wenn Seehofer den Wert der Familie betont und das Betreuungsgeld verteidigt.

Erstmals deutlich sichtbar wurden die Risse in der CSU nach dem für die Partei schlechten Europawahlergebnis. Spitzenkandidat Markus Ferber warf Seehofer vor, in der Bundespolitik die falschen Anliegen zu verfolgen. „Mütterrente oder Ausländermaut sind keine Kernanliegen Bayerns“, stellte Ferber fest. Ex-Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, der von Kanzlerin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre aus dem Amt gedrängt wurde, wobei Seehofer tatenlos zusehen mußte, bemängelte, daß die CSU ihre Ziele nicht mehr durchsetze: „Seit Jahren ist die Beseitigung der kalten Progression im Steuerrecht ein Kernanliegen der CSU. Unsere Wähler verstehen nicht, warum sich die CSU in Berlin auf einmal nicht mehr dafür einsetzt.“ Der frühere CSU-Chef Erwin Huber warf Seehofer das Begehen „politischer Todsünden“ vor. Seehofers Fehlen auf der Berliner Bühne ist nicht das einzige Problem: Auch die CSU-Minister sind – von Dobrindt abgesehen – der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt.

„Es herbstelt um den Patriarchen“, glaubt der Tagesspiegel. Das trifft zu, aber trifft nicht den Kern. In Wirklichkeit ist der Herbst der CSU angebrochen.

Foto: Staatskanzlei-Chefin Christine Haderthauer, CSU-Chef Horst Seehofer: Franz Josef Strauß wäre schön längst nach Moskau und Kiew geflogen

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