© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Hauptproblem ist die Verschwendung
Könnte der ökologische Landbau die Welt satt machen? Nur wenige Studien widmen sich dieser strittigen Frage
Heiko Urbanzyk

Die moderne industrielle Landwirtschaft bringt Probleme mit sich wie Monokulturen, immer höheren Verbrauch an Kunstdünger, Pestiziden und Herbiziden sowie die in Europa äußerst unbeliebte Gentechnik. Insbesondere letztere stellt die Nahrungsversorgung unter die Kontrolle weniger Weltkonzerne. Die Bauern verlieren ihr ureigenstes Recht, eigenes Saatgut selbst für das kommende Jahr zurückzuhalten. Wäre nicht eine Landwirtschaft erstrebenswert, die nicht unser Wasser verunreinigt, Böden auslaugt, keine Gifte in der Nahrung hinterläßt und das ganze Jahr über Feldblumen und Feldtieren ein Überleben erlaubt? Eine solche Landwirtschaft wird sich nur durchsetzen, wenn sie einen guten Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung leisten kann – und sie kann es. Vermutlich.

Mit uralter Reis-Fischzucht-Wirtschaft Malaria bekämpft

Studien zu dem Thema muß man suchen. Selbst bei Naturschutzverbänden stößt man bei der Frage nach ihnen mitunter auf Achselzucken: „Studien? Sind uns nicht bekannt.“ Doch es gibt sie.

Jules Pretty und Rachel Hine von der Universität Essex untersuchten 2001 im Auftrag von Greenpeace, Brot für die Welt und dem britischen Department for International Development 208 ökologisch ausgerichtete Agrarprojekte in 52 Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens. 8,9 Millionen Bauern erfaßte die Untersuchung, die eine Fläche von fast 300.000 Quadratkilometern bewirtschafteten. Es handelte sich in der Regel um kleinbäuerliche Betriebe mit 1,5 Hektar Land. Nach der Umstellung auf nachhaltigere Bewirtschaftungsmethoden konnten Getreidebauern ihre Erträge an Reis, Hirse und Mohrenhirse von 2,33 auf 4,04 Tonnen pro Haushalt und Jahr erhöhen. Kartoffel- und Maniokbauern konnten die Ernte von 11,02 auf 27,5 Tonnen mehr als verdoppeln.

Diese Erfolge gingen auf nur geringe Veränderungen traditioneller Anbauweisen zurück. So konnten Bauern in Afrika die für Maniok bedrohliche Mehlwanze ohne Pestizide durch eine parasitische Wespe eindämmen. In China stellten Reisbauern wieder auf die uralt überlieferte Reis-Fischzucht-Wirtschaft um, die im Zuge der „Grünen Revolution“ durch neue Reissorten und das düngerverseuchte Wasser nicht mehr möglich war. Die Reiserträge steigerten sich ohne Dünger und Gifte, die Bauern erhielten zusätzlich Fisch, und die Malaria wurde bekämpft, da die Fische die Mücken fraßen.

Im Jahr 2007 ermittelten Forscher um Catherine Badgley (Universität Michigan) in der Studie „Kann Ökolandbau die Welt ernähren?“, daß diese Frage zu bejahen ist. Die Arbeit verglich weltweit die Produktionsraten des konventionellen mit dem ökologischen Landbau, indem wiederum 293 Einzelstudien dazu analysiert wurden. Als ökologisch galt dabei auch einfache traditionelle Landwirtschaft, die zwar ohne Siegel eines Bioverbandes auskommt, aber an sich ohne Dünger, Gifte und Gentechnik arbeitet. Die Erträge der ökologischen Landwirtschaft lagen dabei in Industrieländern oft etwas niedriger als die der konventionellen.

Innovativ sein und Produktivität steigern

Die Verhältniswerte multiplizierte Badgley mit der seinerzeitigen Weltlebensmittelproduktion, was die theoretisch mögliche Lebensmittelproduktion bezogen auf sämtliche Landwirtschaftsflächen weltweit ergab. Im Ergebnis könnte ökologischer Ackerbau ohne eine Ausdehnung der Anbauflächen weit mehr als die derzeitige Kalorienversorgung der Welt decken.

Badgley folgerte: „Es ist an der Zeit, die Debatte darüber zu beenden, ob die ökologische Landwirtschaft einen substantiellen Teil zur Welternährung leisten kann oder nicht. Sie kann – sowohl lokal als auch global.“ Diese im Magazin Renewable Agriculture and Food System (RAFS) veröffentlichte Studie wurde bereits in derselben Ausgabe wegen der Hochrechnungsmethode von anderen Forschern als völlig inakzeptabel und unwissenschaftlich kritisiert. Das Magazin gab jedoch zu, daß man Badgley keine Gelegenheit gab, sich zu diesen Vorwürfe zu äußern. RAFS-Herausgeber John W. Doran distanzierte sich vorsorglich vorab von sämtlichen Ansichten.

„Daß [der Ökolandbau] wirkungsvoll Boden, Klima und Artenvielfalt schont, erkennt heute auch der agrarwissenschaftliche Mainstream an“, stellt Urs Niggli im Zeit-Interview fest (22. Mai 2014). Der Direktor des Forschungsinstituts für ökologischen Landbau in Frick (Schweiz) kratzt dennoch an einem Tabu. Man könne sich von der Überzeugung verabschieden, der Ökolandbau könne die Welt ernähren, wenn sich die Bewegung nicht Innovationen öffne und produktiver werde. „Warum sollen sich die Praktikanten auf dem Ökohof weiter Rückenschmerzen beim Jäten holen, wenn eine Maschine die mühsame Arbeit übernehmen kann?“ GPS-gesteuerte Geräte könnten bereits heute Salatfelder von Unkraut befreien. Schließlich gehe es vor allem um Anbau ohne Giftstoffe. Gentechnik sei für ihn lediglich „bislang“ nicht überzeugend.

Beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ist man überzeugt, daß die Welternährung ohne industrielle Landwirtschaft mit Gift und manipulierten Genen möglich ist. Dazu müsse die Verschwendung enden, teilt Joyce Moewius auf Anfrage der JF mit. Die Hälfte der Agrarerzeugnisse würde im Westen in der Mülltonne landen, und „die Länder des Süden erleiden starke Nachernteverluste, da es an Lager- und Transportmöglichkeiten sowie einer ausgebauten Infrastruktur fehlt. Diese Hausnummer zeigt, wo wichtige Reserven liegen.“

Foto: In hohem Bogen in die Mülltonne: In den westlichen Ländern wird annähernd die Hälfte der landwirtschaftlichen Erzeugnisse weggeworfen

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