© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Uni-Prekariat mit Tagesfreizeit
Wikipedia: PR-Agenturen und Ideologen beeinträchtigen den Ruf der Online-Enzyklopädie als seriöse Quelle
Tobias Dahlbrügge

Daß Wikipedia wegen seiner Linkslastigkeit auch „BolscheWiki“ genannt wird, kommt nicht von ungefähr. Die zweifelhafte Qualität vieler Quellen, die tendenziöse Subjektivität insbesondere bei politischen und historischen Themen sowie die kindischen Editierschlachten narzißtischer Autoren haben den Ruf des Online-Lexikons erodieren lassen. Einige große Unternehmen haben ihren Mitarbeitern das Recherchieren bei Wikipedia als alleiniger Quelle untersagt.

Der Wirtschaftsjournalist Michael Brückner hat diese „dunklen Seiten der Gutmenschen-Enzyklopädie“ in seinem neuen Buch „Die Akte Wikipedia“ kompakt dargestellt. Das Kompendium ist nicht sehr umfangreich (128 Seiten) und enthält nicht viele Neuigkeiten.

Doch Brückners Extrakt illustriert das Wikipedia-Dilemma plastisch an konkreten Fällen. So zeichnet er nach, wie Marketingabteilungen und PR-Agenturen die Einträge über Unternehmen aufhübschen.

Den meisten Nutzern ist vermutlich kaum bekannt, daß der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales kein idealistischer Visionär ist, sondern ein ehemaliger Börsenhändler, der inzwischen Multimillionär ist und Spenden von US-Großkonzernen wie Google bekommt. Sein Autorenheer besteht dagegen größtenteils aus Uni-Prekariat mit Tagesfreizeit.

Darunter nicht wenige Neurotiker, die sich untereinander Löschkriege liefern oder die Artikel ihrer Konkurrenten absichtlich mit Unfug vollschreiben. So machte die Popgruppe „Söhne Mannheims“ die Erfahrung, daß sie es nicht schaffte, den vor Fehlern wimmelnden Beitrag über sich zu korrigieren, weil ihre Änderungen immer wieder von Wikipedia-Platzhirschen getilgt wurden.

Das größte Problem ist aber, wie Brückner schildert, daß zahllose Journalisten täglich bei Wikipedia abschreiben, ohne die Inhalte kritisch zu betrachten. Damit verbreitet sich allgemein eine lässige Haltung zur Objektivität. Die Nutzer konsumieren Wikipedia als Fast-Food-Wissen. Bildung ist aber keine Konsumware, sondern muß erarbeitet werden.

Michael Brückner: Die Akte Wikipedia. Falsche Informationen und Propaganda in der Online-Enzyklopädie. Kopp-Verlag, Rottenburg 2014, gebunden, 128 Seiten, 12,95 Euro

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