© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Ratsch, die Klappe ist zu
Bilder aus der psychiatrischen Anstalt: Das Militärhistorische Museum Dresden zeigt Werke zum Thema „Krieg und Wahnsinn“ aus der Sammlung Prinzhorn
Paul Leonhard

Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Versailler Vertrag hat Edmund Träger auf seine ganz eigene Art künstlerisch verarbeitet: Eine Zeichnung zeigt, wie Germania mit wallendem blonden Haar ein Grab für ihre Rüstung schaufelt, eine andere illustriert die deutschen Gebietsverluste. Spott und Hohn empfand dagegen Rudolf Heinrichshofen, als er sich im Alter von 60 Jahren mit dem Waffenstillstand 1918 auseinandersetzte. Er malte drei die Siegernationen verkörpernde Personen, die dabei sind, einen selig eine Frau namens „Freiheit“ anhimmelnden deutschen Michel mit Zipfelmütze in einem Käfig einzusperren. Auf seine Zeichnung schrieb Heinrichshofen: „Der beschissene Tugendbündler und Freiheitsheld. Die Freiheit ist tot, es lebe die Freiheit. So, nun hat er seine Ruh, Ratsch, man schiebt die Klappe zu.“ Und von Adam Ginand stammt eine Zeichnung mit einer apokalyptischen Kriegsvision mit zentraler Teufelsfigur und ein Bild des Friedens mit einer von Engeln umgebenen und auf einem Esel reitenden Lichtgestalt.

Alle drei Männer vereint, daß sie Insassen psychiatrischer Anstalten waren. In der Ausstellung „Krieg und Wahnsinn – Kunst aus der zivilen Psychiatrie zu Militär und I. Weltkrieg“ werden Werke aus der Heidelberger Sammlung Prinzhorn gezeigt. Diese besitzt Tausende von Bildern, die Insassen psychiatrischer Anstalten geschaffen haben. Der Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn hatte von 1890 bis 1930 fast 6.000 dieser Werke archiviert. Sie zeigen die künstlerischen Reaktionen der Patienten auf Militarismus und Krieg und vermitteln eine ganz eigene Sicht auf die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ .

In der Schau, die bis zum 7. September im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden zu sehen ist, sind mehr als hundert Werke ausgestellt. „Diese lassen in mehrfachen Brechungen die militärverliebte, technikbegeisterte Gesellschaft des deutschen Kaiserreiches 1871 bis 1918 faßbar werden, entziehen sich aber auch immer wieder historisch eindeutigen Zuschreibungen“, schreibt Thomas Röske, Leiter der Prinzhorn-Sammlung. „In den Bildern stecken dunkle Vorahnungen, Sehnsüchte und Ängste. Am Ende verschwimmt in den Werken der ‘normale’ Wahnsinn der Zeit um den Ersten Weltkrieg mit den eigenen Wahnvorstellungen der Künstler.“

In vielen Ausstellungsstücken kommt die Faszination von Uniformen, Orden und Militärtechnik, aber auch der Respekt vor der Obrigkeit zum Ausdruck. So gibt es Porträts, die teilweise grotesk Bismarck, Kaiser Wilhelm II. und dem sächsischen König Friedrich August III. huldigen. Von Carl August Ernst Weber stammt eine Zeichnung, in der sich Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph, beide im Profil gemalt, einander mit großen Augen ansehen. Johann Baptist Kuhbandner malte auf drei Pflanzenblätter Kriegsszenen, die die Waffenbrüderschaft Österreichs, Bulgariens, Deutschlands und der Türkei feiern.

Andere Zeichnungen sind schwer interpretierbar, so das von einem „Fräulein Schosnosky“ 1925 mit Blei- und Farbstiften sowie Pastellfarben auf Papier gemalte Bild „Der Feldzug 1914“. Am Rande ihres Werkes hat die Patientin notiert: „Die erste Granate auf Holland“. Da über die Zeichnerin keine biographischen Informationen vorhanden sind und die Niederlande im Ersten Weltkrieg neutral und in keine Kriegshandlungen verwickelt waren, vermuten die Ausstellungskuratoren, daß sie vielleicht Belgien meinte oder auf das Asyl anspielte, das der deutsche Kaiser nach Kriegsende in den Niederlanden erhielt.

Künstlerische Arbeit habe den Insassen der psychiatrischen Anstalten des frühen 20. Jahrhunderts eine gute Beschäftigung geboten, sagt Röske. Damals gab es für psychische Erkrankungen keine Medikamente oder Therapien, „wer als geisteskrank eingestuft wurde, blieb in den Kliniken für den Rest seines Lebens“. So drücken einige der Zeichnungen auch die Hoffnung der Insassen aus, im Krieg selbst zum Militär eingezogen zu werden, um so der Anstalt zu entkommen.

Die teils konventionellen, teils eigenwilligen und originellen künstlerischen Werke spiegeln Stimmungen und Themen nicht nur der Gesellschaft im deutschen Kaiserreich wider, sondern auch in Österreich-Ungarn und Frankreich. Zumindest zwei der ausgestellten Arbeiten sind Patienten zuzuordnen, die in Anstalten in Wien beziehungsweise Paris untergebracht waren. Die Kuratoren schreiben: „Letztlich muß jeder Betrachter selbst entscheiden, wo der ganz normale kriegerische Wahnsinn des wilhelminischen Zeitalters aufhörte, wo individuelle Wahnvorstellungen anfingen und wo einfach wunderschöne, verblüffende und auch verstörende Kunstwerke zu entdecken sind.“

Die Ausstellung wird in etwas veränderter Form unter dem Titel „Uniform und Eigensinn. Militarismus, Weltkrieg und Kunst in der Psychiatrie“ ab 2. Oktober im Heidelberger Museum Sammlung Prinzhorn gezeigt. Hoffentlich gelingt es den Gestaltern dort, die Ausstellungsstücke besser als in Dresden zu präsentieren. Im Bundeswehr-Museum sind viele Details mangels Licht nur schwer zu erkennen.

Die Ausstellung „Krieg und Wahnsinn“ ist bis zum 7. September in Dresden im Militärgeschichtlichen Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, Mo. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 0351 / 823 -2803 www.mhmbw.de

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