© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Fund einer großen, fünftausend Jahre alten Tempelanlage auf den Orkneys bestätigt nicht nur, daß sich im Norden Europas früh eine hochstehende Kultur entwickelt hat, die mehr oder weniger kontinuierlich vom Neolithikum bis in die Bronzezeit reichte, sondern auch eine Tendenz neuerer archäologischer Forschungsergebnisse, die bloß wenige auf den richtigen Nenner zu bringen wagen: „Das steht völlig im Widerspruch zur gängigen Auffassung, alles Kulturelle müsse aus dem vornehmen Süden gekommen sein, um den barbarischen Norden zu zivilisieren“ (Roy Towers, Orkney College).

Was die Zukunft des Kulturteils der FAZ angeht, kann man nur hoffen, daß es kein böses Omen ist, wenn im meinungsführenden Feuilleton nun schon Texte erscheinen, die aus Versatzstücken von Wikipedia-Artikeln gebastelt werden und in der Mischung aus Unkenntnis und bösem Willen ihresgleichen suchen (Jochen Zenthöfer, „Wo Hitler Zuhörer war“, in der Ausgabe vom 15. Juli).

Die Debatte über den neuen Antisemitismus ist deshalb so fruchtlos, weil sie außer moralisierenden Plattheiten nichts zu bieten hat und von lauter falschen Voraussetzungen ausgeht, als da wären: a) Judenfeindschaft ist ursachenlos; b) der Antisemit macht sich „den Juden“, weil er ihn braucht, es könnte auch eine andere „Minderheit“ sein; c) Israel und die Juden außerhalb Israels haben nichts miteinander zu tun; d) man darf überrascht sein, daß sich Einwanderer aus muslimischen Regionen dem hier geltenden Comment verweigern.

Das westfälische Wewelsburg genießt samt gleichnamigem Schloß einen gewissen Bekanntheitsgrad als Ort für „Himmlers Camelot“, das Projekt eines Weltanschauungszentrums und einer Kaderschmiede der SS. Wer in den achtziger Jahren dort hinkam, fand die völkischen Dekorationen an Häusern des Dorfes fast unverändert, im Schloß war eine Jugendherberge untergebracht, außerdem gab es eine kleine Ausstellung zur Geschichte und jeder konnte ungehindert die „Krypta“ und den „Gruppenführersaal“ im Nordturm besichtigen. Heute hat man die Runenschnitzereien kaschiert oder läßt sie verrotten, der Wewelsburg selbst wurde ein Besucherzentrum von atemberaubender Dimension vorgeschaltet, mit ausführlicher Darstellung zur Geschichte des in der Nähe gelegenen Konzentrationslagers, und im letzten Raum erwartungsgemäß ein Transparent „gegen Rechts“. Dann führt der Weg durchs Freie zur Turmanlage. Im „Gruppenführersaal“ ist die „Schwarze Sonne“ (ein Ornament aus Hakenkreuz und Sig-Runen) mit gelben Plastiksitzsäcken verdeckt, in der „Krypta“ sind großformatige Bilder von Häftlingen zwischen die Säulen gestellt. Alles, um die Optik zu brechen. Ganz sicher scheint man der Wirkung aber nicht zu sein. Denn sollte der Besucher auch nur eine verdächtige Bewegung mit dem Mobiltelefon machen, ertönt sofort eine dröhnende Stimme über Lautsprecher, die im Befehlston erklärt, daß hier Fotografieren verboten sei.

Bildungsbericht in loser Folge LXI: Erstaunlich ist die wachsende Kritik der Inklusion. Es scheint, als könnte man doch nicht jeden Irrsinn ungestraft auf die Spitze treiben.

Was soll man von Gerhard Schröders Bekenntnis halten, die Politik habe seine Seele beschädigt? Nachhaltigen Eindruck hinterläßt es nicht, keinesfalls den von Machiavellis „Ich liebe mein Vaterland mehr als meine Seele.“

Vielleicht ist die veränderte Lage in Wewelsburg mit Reifeschwund zu erklären: In der Nachkriegszeit war das Volk noch so gefestigt, daß sich Ansichtskarten des Ortes vertreiben ließen, auf denen auch die „Walhalla“ des Schloßturms als Attraktion gepriesen wurde, wohingegen heute zu fürchten ist, daß bloß politisch-pädagogische Engführung den Plebs davor bewahrt, dem Bann der NS-Ästhetik anheimzufallen und den Marsch ins Vierte Reich anzutreten. Sollte auch diese Deutung fehlgehen, bleibt nur der Rekurs auf die Religionswissenschaft, etwa James George Frazers (1854–1941) klassische Deutung des Tabus. Alles Tabuierte, so der schottische Ethnologe und Philologe Frazer, werde tabuiert, weil es gefährlich sei und in Gefahr bringe; solche Gefahr erscheine dem modernen Menschen vielleicht „spukhaft oder schemenhaft und daher eingebildet … Die Gefahr ist indessen nicht weniger wirklich, weil sie eingebildet ist. Die Einbildung wirkt auf den Menschen so stark wie die Schwerkraft und vermag ihn so sicher wie eine Dosis Blausäure zu töten.“

Man muß nicht zwanghaft aufs Negative fixiert sein, um die globale Sympathiewelle nach dem Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft skeptisch zu betrachten und auch der Prognose eines „deutschen Jahrhunderts“ (Newsweek) mit Vorbehalt gegenüber zu stehen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 22. August in der JF-Ausgabe 35/14.

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