© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Der Widerstand gegen die kalte Progression wächst
Trippelschritte
Christian Schwießelmann

Das deutsche Steuerrecht gleicht einer Anhäufung von Ungerechtigkeiten in rund 33.000 Paragraphen. Eine dieser Ungerechtigkeiten hängt mit dem progressiven Einkommensteuertarif zusammen, der mit der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Steuerzahler begründet wird und den ein „Professor aus Heidelberg“ (Gerhard Schröder über Paul Kirchhof) im Bundestagswahlkampf 2005 schlichtweg abschaffen wollte. Erhalten Angestellte Lohnerhöhungen, die lediglich die Teuerung ausgleichen, müssen sie dank der Progression höhere Steuern zahlen und haben in realer Kaufkraft gemessen weniger Einkommen als zuvor.

Diese heimlichen Steuererhöhungen zugunsten des Fiskus nennt der Fachmann kalte Progression. Auf der Basis des Tarifs von 1958 hat der Staat beispielsweise 2001 dadurch rund 127 Milliarden D-Mark mehr eingenommen, als ihm zustand. Deshalb rief das Karl-Bräuer-Institut – die finanzwissenschaftliche Forschungsabteilung des Bundes der Steuerzahler – bereits 2002 dazu auf, den „Tarif auf die Räder“ zu stellen und an die Einkommensentwicklung zu koppeln. Ohne Erfolg. CDU und FDP scheiterten in ihrer letzten Regierungskoalition an der rot-grünen Blockademehrheit im Bundesrat.

Daß nun ausgerechnet der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel die kalte Progression abschaffen will, ist ein durchschaubares parteitaktisches Spielchen. Der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler will einen Keil zwischen die zudauernde Merkel, ihren Adlatus Schäuble im Finanzministerium und den Wirtschaftsflügel der Union treiben, der bereits einen entsprechenden Antrag für den kommenden CDU-Parteitag gestellt hat. Das kompromißschwangere Klein-Klein der GroKo ist symptomatisch für den bundesrepublikanischen Politikbetrieb, der für die einfachste Steuerrechtsreform Jahrzehnte braucht und an den gigantischen Klippen der Währungs- und Staatsschuldenkrise zu zerschellen droht. Trippelschritte vor dem Abgrund.

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