© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Der Schatz des Hauses Wettin
Sachsen: Nach zähen Verhandlungen haben der Freistaat und das sächsische Königshaus ihren Streit um wertvolle Kunstwerke beigelegt
Paul Leonhard

Der Streit zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Haus Wettin Albertinische Linie über Zehntausende von Kunstgegenständen scheint nach langem Ringen endlich beigelegt. Anfang Juli unterzeichneten beide Seiten in Dresden eine abschließende Einigung zu Restitutions- und sonstigen Ansprüchen. Der Freistaat wird rund 4,8 Millionen Euro an das ehemalige Herrscherhaus zahlen und 1.312 wertvolle Bücher aus seinen Beständen abgeben. Bei den Büchern handelt es sich um Dubletten, deren Herausgabe keinen unwiederbringlichen Verlust darstellt. Außerdem werden elf Gegenstände aus dem Kunstgewerbemuseum in Pillnitz und der Dresdner Rüstkammer, darunter eine Prunkkutsche, an die Wettiner zurückgegeben.

Laut dem Vertrag sind damit alle Ansprüche der Wettiner auf „sonstige bewegliche Gegenstände“ abgegolten. Verhandelt worden war über rund 10.000 Gegenstände, davon etwa 8.000 Bücher und Handschriften mit Schwerpunkt in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und Gegenstände der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, insbesondere aus der Gemäldegalerie Alte Meister, der Galerie Neue Meister, dem Grünen Gewölbe, dem Kunstgewerbemuseum, dem Kupferstich-Kabinett und der Rüstkammer.

Sachsen ging einen Sonderweg

Damit endet ein jahrzehntelanger Rechtsstreit, der dem Ansehen der Wettiner in der sächsischen Bevölkerung sehr geschadet hat. Denn nach der friedlichen Revolution und dem Wiederentstehen Sachsens waren die in Bayern lebenden Nachkommen des letzten Sachsenkönigs insbesondere in Dresden sehr willkommen gewesen. Als in Moritzburg Teile des von der Familie Wettin auf der Flucht vor den Russen vergrabenen Kunstgutes gefunden wurden, versprach Prinz Albert von Sachsen ein eigenes Wettin-Museum zu gründen. Daraus wurde nichts, stattdessen wurden immer neue Rückgabeforderungen gestellt, deren Berechtigung nicht in allen Fällen offensichtlich war.

Die rechtliche Grundlage dafür bildete das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994. Es sah vor, zwischen 1933 und 1945 Enteigneten eine Entschädigung für ihre Immobilien zu zahlen, mobiles Inventar aber zurückzugeben. Im Fall des ehemaligen Königshauses entschloß sich die sächsische Staatsregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) für einen Sonderweg. Der Freistaat wollte direkt verhandeln, setzte auf finanzielle Entschädigung, um möglichst viele Kunstwerke weiterhin in den Museen zeigen zu können. Dabei bezog sich die Staatsregierung auch auf den nach der Abdankung des letzten Königs 1918 geschlossenen „Auseinandersetzungsvertrag“, der den Mitgliedern der ehemaligen Herrscherfamilie auch ohne Thron ein angemessenes Leben ermöglichen sollte. Sie erhielten Immobilien und Ländereien wie die Schlösser Moritzburg und Dresden-Wachwitz sowie zahlreiche Kunstwerke und wertvolle Einrichtungsgegenstände. Mit der Besetzung Sachsens durch die Rote Armee wurden 1945 schließlich alle Immobilien und das in ihnen befindliche Inventar der Wettiner enteignet. Die beweglichen Gegenstände wurden zum Teil, wie der Gesamtbestand der ausgelagerten Dresdner Kunstschätze, als Kriegsbeute in die Sowjetunion transportiert. Ein Teil wurde später an die DDR zurückgegeben, anderes befindet sich bis heute in der Ukraine, Rußland oder anderen aus der UdSSR hervorgegangenen Staaten.

Ein 1999 geschlossener Vertrag sah schließlich vor, daß die Wettiner neben Grundstücken und Ausgleichszahlungen rund 18.000 Gegenstände aus den Kunstsammlungen Dresden zustanden. 12.000 davon wurden anschließend vom Freistaat erworben und konnten so in den Museen bleiben. Da damals nicht ausgeschlossen werden konnte, daß sich weitere Kunstgegenstände aus Wettiner Besitz in den Sammlungen befinden, erhielt der Vertrag eine Öffnungsklausel. Von dieser wurde sechs Jahre später Gebrauch gemacht, als die Anwälte der Wettiner Ansprüche auf zehn große, wertvolle Meißner Porzellantiere aus der Porzellansammlung im Zwinger erhoben. Zu Recht wie sich herausstellte. Nach gründlicher Prüfung wurden fünf restituiert.

Ein Jahr später forderten die Wettiner auf Hinweislisten zu Tausenden Stücke aus fast allen Sammlungen zurück. Dies sei für die Staatlichen Kunstsammlungen eine große Herausforderung gewesen, sagt der heutige Generaldirektor Hartwig Fischer, da es „zu einem relevanten Teil des Bestandes, der seit 1933 in die Sammlungen gekommen war, nur unzulängliche Unterlagen gab, die Fragen zur Provenienz offenließen“. Einige Museen verfügten durch die Beschlagnahme der Sammlungen durch die Sowjetrussen nicht einmal mehr über durchgängige Inventare.

Verhandlungen sicherten Dresden viele Kunstschätze

Nach der systematischen Untersuchung des Bestandes konnte beispielsweise bei den Porzellanen nachgewiesen werden, daß von mehr als 3.600 geforderten Stücken bei lediglich rund 300 ein Anspruch des Hauses Wettin bestand. Letztlich zahlte der Freistaat 4,2 Millionen Euro, damit die Mehrzahl der Porzellane im Museum bleiben konnte.

Auch als 2007 die Rückgabe von 139 Gemälden verlangt wurde, stellte sich heraus, daß es sich um „Luftbuchungen“ der Anwälte handelte. Die meisten Objekte befanden sich nicht einmal im Besitz der Dresdner Kunstsammlungen. „Wir hätten sie natürlich gern“, sagte der damalige Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister. Weit über die sächsischen Grenzen sorgte für Verärgerung, daß die Wettiner vier zurückerhaltene Porzellane, so ein 1732 von Gottlieb Kirchner geschaffenes Löwenpaar oder zuvor schon Dinglingers Mohrenkopf, umgehend versteigern ließen.

Daß nun eine abschließende Einigung erzielt wurde, löst Erleichterung aus. Von einem „Schlußstein der langjährigen Verhandlungen“ sprach Sachsens Kunstministerin Sabine von Schorlemer. Der Verbleib von hochwertigen Kulturgütern im Freistaat sei gesichert, sagte Finanzminister Georg Unland: „Die kulturelle und geschichtliche Bedeutung bleibt für die zukünftigen Generationen erhalten.“ Auch Generaldirektor Fischer ist froh, daß die rund 1.700 Bände umfassende Privatbibliothek König Johanns (1801–1873) in Dresden bleiben kann.

Letztlich kostete der Vermögensstreit zwischen Sachsen und den Wettinern den Steuerzahler wohl rund 22 Millionen Euro. Dafür darf er in Dresden weiterhin die prächtigen Kunstschätze bewundern, die das Haus Wettin in den Jahrhunderten seiner Herrschaft zusammengetragen hat.

 

Die Wettiner

Neben den Welfen gelten die Wettiner als eines der ältesten deutschen Adelsgeschlechter. Der Stammbaum läßt sich bis 908 zurückverfolgen. Nicht nur in Deutschland, wo die Wettiner unter anderem jahrhundertelang über Sachsen und Thüringen herrschten, haben sie ihre Spuren hinterlassen. Auch in Polen, Belgien, Portugal und Bulgarien saßen oder sitzen Mitglieder der weitverzweigten Adelsfamilie auf dem Thron. Derzeit hängt bei den Wettinern allerdings der Haussegen schief. Die Familie streitet darüber, wer Chef des Hauses ist. Hintergrund: Der deutsche Adelsrechtsausschuß hat die Königslinie der Wettiner für erloschen erklärt. Neues Oberhaupt der Familie sei damit Prinz Michael-Benedikt von Sachsen-Weimar-Eisenach und nicht Prinz Alexander von Sachsen, der vom 2012 verstorbenen Chef-Wettiner Markgraf Maria Emanuel adoptiert worden war.

Foto: Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, Hartwig Fischer (M.), sowie der Anwalt der Wettiner, Gerhard Brand (l.), und Landesbibliotheks-Chef Thomas Bürger nach dem Vergleich: Von den sowjetischen Besatzern 1945 enteignet

 

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