© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Nahost-Konflikt auf dem Kudamm
Antisemitismus: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erreicht die deutsche Innenpolitik
Christian Schreiber

Es sind seltsame Allianzen, die sich derzeit in der Bundesrepublik bilden. Sicherheitsbehörden äußerten sich am vergangenen Wochenende zunehmend besorgt über einen neuen Antisemitismus in Deutschland. Bei Demonstrationen gegen das Vorgehen Israels im eskalierenden Nahost-Konflikt seien Neonazis sowie radikale Linke Seit’ an Seit’ mit radikalen Moslems marschiert, teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem Politiker und auch Journalisten derzeit wandeln. „Ist Kritik an der Politik Israels möglich, ohne gleich als Judenfeind eingestuft zu werden“, fragte die Frankfurter Allgemeine, und der Chefredakteur der Bild, Kai Diekmann, bemühte sich, eine Antwort zu geben. „Aufgrund der deutschen Geschichte steht es uns nicht zu, Israel Ratschläge zu erteilen.“

Junger Palästinenser verübt Anschlag auf Synagoge

Wie aufgeheizt die Stimmung ist, zeigen Äußerungen von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern. Als Holocaust-Überlebende müsse sie erleben, daß Antisemitismus in Deutschland nicht nur wieder salonfähig, sondern sogar „Mainstream“ sei, sagte Knobloch bei einer Kundgebung in München. Die Kritik an Israel im Nahost-Konflikt diene oft nur als Vorwand. „Der neue, alte Judenhaß – er ist da“, sagte die 82jährige.

Sie frage sich, warum die vielzitierten „Wutbürger“ nicht gegen Hetze und Gewalt gegen Juden in Deutschland protestierten. Briefkästen und E-Mail-Postfächer seien voll: „Wir werden beschimpft, beleidigt, bedroht und auch körperlich angegriffen“, wird Knobloch von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. „Doch bis auf wenige Ausnahmen verharrt die Masse schweigend.“ Im Schlepptau der Islamisten wetterten die Extremisten von links und rechts „sowie leider auch nicht wenige aus der Mitte der Gesellschaft“.

Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser kritisierte dagegen im Deutschlandfunk auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland und Frankreich. „Das Schlimme ist die ständige totale Identifikation mit Israel, auch wenn Israel momentan große Kriegsverbrechen begeht“, sagte der französische Politologe, selbst Sohn eines jüdischen Arztes.

Der Nahost-Konflikt ist zum Zankapfel der deutschen Innenpolitik geworden, auch weil radikale Muslime in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind. In Berlin skandierten Demonstranten: „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein.“ In Essen wird wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf die Synagoge ermittelt. In Hannover und Hamburg wurden proisraelische Demonstranten mit Tritten und Schlägen angegriffen, und in der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken wehte tagelang die Flagge der für den tausendfachen Mord an Kindern, Frauen, Zivilisten und Andersgläubigen im Irak und Syrien verantwortlichen Terror-Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) von einem Balkon.

Eine neue Qualität erreichte die Auseinandersetzung in der vergangenen Woche, als die Synagoge in Wuppertal Ziel eines versuchten Brandanschlags wurden. Drei Männer warfen nach Angaben der Polizei mehrere Molotowcocktails in den Eingangsbereich und flüchteten. Verletzt wurde niemand. Auch die Synagoge wurde nicht beschädigt. Als Haupttatverdächtiger wurde ein 18 Jahre alter Palästinenser ermittelt.

Seitdem schieben sich der Zentralrat der Juden sowie der Zentralrat der Muslime gegenseitig die Schuld für die Eskalation in der Bundesrepublik zu. Dieter Graumann, oberster Repräsentant der deutschen Juden, warf den muslimischen Verbänden vor, nicht genug gegen Antisemitismus zu tun. „Sie versprechen es, aber konkrete Schritte muß man mit der Lupe suchen“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der Zentralrat der Juden habe sich stets für Muslime in Deutschland eingesetzt. Eine Solidarisierung von Muslimen mit Juden bleibe nun aber aus. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland reagierte umgehend. Der Vorsitzende Aiman Mazyek sagte, in den Freitagsgebeten und im Austausch mit Jugendlichen setzten sich die islamischen Gemeinden sehr wohl mit Antisemitismus auseinander. Mazyek mahnte eine klare Unterscheidung zwischen Kritik an der israelischen Kriegspolitik und Antisemitismus an. Zusätzlich Öl ins Feuer goß ausgerechnet die Bild, Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung. Das Springer-Blatt, traditionell dem Existenzrecht Israels stark verbunden, veröffentlichte einen scharfen islamkritischen Text. Nach öffentlichen Protesten sah sich Chefredakteur Diekmann zu einer Entschuldigung genötigt.

Die teilweise unverhohlenen Solidaritätsadressen der deutschen Linken Richtung Hamas wurden in der Bundesrepublik bislang kaum thematisiert. Dem Jüdischen Weltkongreß sind sie aber nicht verborgen geblieben. Petr Papuosek, Vizepräsident der Organisation, hält den linken Antisemitismus gar für gefährlicher als den rechten. „Der linke Antisemitismus kommt nicht nur getarnt daher, er ist auch weitgehend akzeptiert als Teil der Universitäten, der Politik und der öffentlichen Debatte. Und das ist das gefährliche am linken Judenhaß: Man ist Antisemit und fühlt sich trotzdem ganz modern und aufgeklärt“, sagte er der Neuen Zürcher Zeitung.

Foto: Anti-israelisches Propaganda-Plakat auf einer Demonstration in Berlin: Islamverbände unter Druck

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