© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Tugend und Terror
Auswüchse des Geistes von 1789: Vor 220 Jahren stürzte der französische Revolutionär Maximilien de Robespierre
Mario Kandil

Ohne daß er dies beabsichtigt hatte, bereitete der schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau mit den Gedanken, die er in seinem Werk „Du contrat social ou principes du droit politique“ (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, 1762) entwickelte, der Tugenddiktatur der Jakobiner und Robespierres ideologisch den Boden.

Ansatzpunkt dafür war der „allgemeine Wille“ (volonté générale), der laut Rousseau stets der richtige ist und auf das allgemeine Beste abzielt. Genau diesen „allgemeinen Willen“ zu kennen, behaupteten Robespierre und seine Partei, welche er jedoch nicht als Partei ansah. Schließlich bekämpfte er rigoros alle Parteiungen, um die volonté générale für das Gemeinwohl (salut public) durchsetzen zu können. Indem nur er und seine Kaste elitärer Hohepriester der Revolution die „volonté générale“ zu kennen vorgaben, sahen sie sich als berechtigt an, sie auch zu vollstrecken. Dabei nahmen sie in Kauf, Ströme von Blut zu vergießen. So forderte Jean-Paul Marat, einer ihrer Exponenten, in seinem „Ami du Peuple“ (Volksfreund) „100.000 Köpfe“. Eine Ironie, daß Marat am 13. Juli 1793 selbst ermordet wurde!

Für Robespierre war die Revolution weit weniger durch einen Krieg gegen die Mächte des „Ancien régime“, des alten Europa, gefährdet. Daher sprach er sich gegen den Beschluß des Nationalkonvents vom 20. April 1792 aus, mit dem dieser dem „König von Böhmen und Ungarn“ (das heißt dem deutschen Kaiser) den Krieg erklärte und so die Revolutionskriege (bis 1815) eröffnete. Die größere Gefahr sah der vor der Revolution als Rechtsanwalt tätige Robespierre in den Helfern König Ludwigs XVI. und den Konterrevolutionären.

„Man macht keine Republik mit Schonung“

In der aufgeheizten Atmosphäre der Massaker vom September 1792 in den neuen Nationalkonvent gewählt, war es für Robespierre nur folgerichtig, im Hochverratsprozeß gegen den am 10. August 1792 gestürzten König für die Todesstrafe zu stimmen. Denn ein lebender König war für die Revolution eine Gefahr, und so verurteilte der Konvent ihn am 17. Januar 1793 zum Tode. Vier Tage später warf die Revolution das Haupt eines Herrschers von Gottes Gnaden Europas Fürsten vor die Füße.

Das Europa der Könige und Kaiser bekriegte nun die Republik (sie war es seit 21. September 1792). Da sich das „Vaterland in Gefahr“ befand, war aus Sicht der Revolutionäre jegliches Opfer gerechtfertigt. Jetzt war die Stunde Robespierres und Georges Jacques Dantons gekommen. Die Galionsfiguren der Revolution, die bald Todfeinde sein sollten, setzten den Terror auf die Agenda.

Am 10. März 1793 drückte Danton die Errichtung eines außerordentlichen Gerichtshofs, des späteren Revolutionstribunals, durch, das durch seine grausame „Rechtsprechung“ eine Unzahl von Unschuldigen aufs Schafott schickte und Frankreich in Blut ertränkte. Damit nicht genug, wurde am 6. April 1793 der Wohlfahrtsausschuß (Comité du salut public) gegründet, dessen erster Leiter Danton war (bis 10. Juli 1793) und in den am 27. Juli auch Robespierre gewählt wurde. Er billigte alle Schritte gegen „Feinde der Revolution“, denn: „Man macht keine Republik mit Schonung.“

Anfang Juni 1793 erzwangen Robespierre und seine „Bergpartei“ (die im Konvent oben sitzenden und daher so genannten Montagnards) den Sturz der Partei der Girondisten (sie wollten nach dem Sturz der Monarchie die Revolution beenden). Zwar schloß sich Danton zunächst Robespierre an, mäßigte aber schon bald seine politische Einstellung. Warum? Danton verfolgte – mit Abstrichen – zwar die Ideale die Französische Revolution, war aber immer zu praxisnahen Zugeständnissen bereit. Anders als Robespierre war er nicht bereit, den revolutionären Grundsätzen alles zu opfern.

Zusammen mit Camille Desmoulins führte Danton die gemäßigte Abspaltung der Cordeliers an, die von Robespierre verächtlich so bezeichneten Nachsichtigen (Indulgents). Diese wollten den Terror im Innern ebenso beenden wie nach außen den Ersten Koalitionskrieg. Das trug ihnen den Haß der ultraradikalen Cordeliers um den Publizisten Hébert ein, die selbst Robespierre zu radikal waren. Er ließ daher die Anführer der Hébertisten Mitte März 1794 verhaften und nach einem Schauprozeß am 24. März 1794 köpfen.

Schnell folgte die Ausschaltung der Gruppe um Danton, dem Robespierre seinen angeblichen Verrat an den Prinzipien der Revolution nicht verzieh. Eine publizistische Attacke Dantons gegen die von Robespierre gelenkte Politik des Wohlfahrtsausschusses hatte in der Nacht vom 29. auf den 30. März die Verhaftung von Danton, Desmoulins und anderen Köpfen der Indulgents zur Folge. Für das Revolutionstribunal aber wurde es schwer, den Schauprozeß im von Robespierre gewünschten Sinne zu führen: Danton ließ sich nicht mundtot machen. Um dem ein Ende zu setzen, drückte Robespierres treuester Gefolgsmann Saint-Just im Konvent ein Dekret durch, dem zufolge jeder, „der die nationale Justiz beleidigt oder ihr widersteht, auf der Stelle außer Verhandlung gesetzt wird“. So verdammte das Tribunal Danton zur Ohnmacht und verkündete das Todesurteil gegen die Dantonisten, die am 5. April 1794 enthauptet wurden.

Hinrichtung als „Todestag eines Tyrannen“ gefeiert

Doch Robespierre überspannte den Bogen und steigerte den Terror. Das Gesetz vom 10. Juni 1794 erleichterte die Verurteilung und Exekution von Feinden der Revolution weiter. In den sieben Wochen seiner Geltung starben in Paris an die 1.400 Menschen auf der Guillotine – mehr als in der ganzen Zeit seit Gründung des Revolutionstribunals. Als Robespierre am 26. Juli im Konvent ohne Nennung von Namen eine neue Säuberungswelle ankündigte, mußte jeder Abgeordnete um sein Leben bangen. Das trieb den Konvent dazu, tags darauf die Verhaftung von Robespierre, Saint-Just und Couthon, einem anderen Getreuen, zu beschließen.

Doch befreite die Pariser Kommune die drei aus ihrer Haft im Rathaus, woraufhin im Auftrag des Konvents der spätere Direktor Barras dieses mit Truppen angriff und einnahm. Ohne Widerstand der Pariser Kommune wurden Robespierre und seine Leute in der Nacht zum 28. Juli 1794 verhaftet. Noch am selben Tag fand dann die Hinrichtung des schwer verletzten Robespierre und 21 seiner Anhänger statt, einen vorherigen Prozeß ersparten sich Barras‘ Soldaten. Im Konvent rief der Abgeordnete Tallien unter dem frenetischen Jubel seiner Kollegen aus: „Das Haupt der Verschwörer ist gefallen! (…) Der Todestag eines Tyrannen ist ein Fest für die Brüderlichkeit!“

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