© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Vielschichtige Beweggründe
Einblicke in die Lebenswelten der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 Jens Jessen, Kurt von Plettenberg und Paul von Hase
Oliver Busch

Die zeithistorische Forschung hat mit Ger van Roons umfassender Untersuchung über den Kreisauer Kreis („Neuordnung im Widerstand“, 1967) und Peter Hoffmanns „Widerstand, Staatsstreich, Attentat“ (1969) relativ früh magistrale Werke zur Geschichte der zivilen und militärischen Opposition gegen das nationalsozialistische Herrschaftssystem vorgelegt. Richtig in Schwung gekommen ist die Widerstandsforschung jedoch erst nach 1980, als in Berlin die Einrichtung einer Gedenkstätte im einstigen „Bendlerblock“ der Wehrmacht beschlossen worden war, und als parallel dazu Wolf Jobst Siedler seinen noch jungen Verlag für eine von Karl Otmar von Aretin, Hans Mommsen und Ger van Roon herausgegebene Reihe „Deutscher Widerstand 1933–1945“ öffnete.

Erst die bei Siedler erschienenen Bände, darunter herausragend Friedrich Hiller von Gaertringens Neuedition der 1946 erstmals publizierten Tagebücher Ulrich von Hassells („Aufzeichnungen vom Anderen Deutschland“, 1988), gaben den Frondeuren ein individuelles Profil, da sich die Darstellungen auf neuerschlossene Quellen, zumeist aus Familienbesitz stützten. „Zeitzeugnisse und Analysen“ hieß die Reihe daher im Untertitel. Briefe, vor allem wie die des Generals Hellmuth Stieff, des Verwaltungsjuristen Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg sowie die des Lübecker Sozialdemokraten Julius Leber, Dokumente wie Helmuth James von Moltkes völkerrechtliche Entwürfe oder der mit vielen unbekannten Fotos bestückte „erzählende Bildband“ von Ulrich Cartarius trugen entscheidend dazu bei, einer breiten Öffentlichkeit erstmals einen Eindruck von der Vielschichtigkeit der Widerstandsbewegung zu vermitteln.

Wegen der Konspiration erst später enttarnt und verhaftet

Seit zwanzig Jahren ist nicht nur die Geschichtswissenschaft auf diesem Weg fortgeschritten. Vielfach waren es „Seiteneinsteiger“ wie die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, die noch 2010 aus überraschend zahlreichen, in Privathand überlieferten Papieren ein komplexes Charakterbild des fast vergessenen ostpreußischen Adeligen Heinrich Graf von Lehndorff komponierte, der mit seiner Frau Gottliebe auf seinem nahe dem Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ gelegenen Schloß Steinort ein „Doppelleben im Widerstand“ führte.

Auf die bewährte Mischung aus Zeitdokumenten und wissenschaftlicher Analyse setzen denn auch die beiden jüngsten Werke zur Anti-NS-Opposition, der Sammelband Friedrich-Wilhelm von Hases, der die Folgen des Attentats für die Familien der Verschwörer thematisiert, sowie Eberhard Schmidts Biographie Kurt von Plettenbergs, die in erfreulich ausführlichen Briefzitaten ihren Helden zu Wort kommen läßt.

Von Hase, 1937 geborener Sohn des am 8. August 1944 hingerichteten Berliner Stadtkommandanten Paul von Hase, dessen Lebensweg und das Schicksal seiner Familie im Mittelpunkt des Bandes stehen, vermag im ersten Teil, der Zeugnisse der vom Regime verfolgten Ehefrauen und Kinder versammelt, zwar wenig Neues zu bieten. Aber die zeithistorischen Ergänzungen zu Fragen der „Sippenhaft“, des Fahneneids oder der Bedeutung des christlichen Glaubens als Handlungsmotiv der Hitler-Gegner gewinnen aus dem teilweise bekannten Zeitzeugenmaterial neue Deutungsfacetten.

So räumt Johannes Salzig endgültig mit der vielfach in der Familienfama kolportierten Legende auf, Hitler und Himmler hätten die „Sippen“ der Attentäter „bis ins letzte Glied“ auslöschen oder zumindest deren Kinder per Zwangsadoption unter SS-Familien „aufteilen“ wollen. Tatsächlich hätten sich die meisten der nach dem 20. Juli 1944 verhafteten Familienmitglieder aber im Herbst 1944 wieder auf freiem Fuß befunden.

Mehr als ein Detail ist auch Roland Kopps Hinweis auf die Schwierigkeiten der Bundeswehr im Umgang mit dem Erbe des Widerstands. Aufgrund eines MGFA-Gutachtens über die „problematische“ Gerichtsherren-Tätigkeit Paul von Hases hat man es 1998 nicht einmal mehr gewagt, auch nur den Tagungssaal einer Berliner Kaserne nach ihm zu benennen: „Dabei blieb es bis heute.“

Zu von Hases Umfeld zählte auch der in diesem Band kurz berücksichtigte Kurt von Plettenberg, ein ausgesprochener „Schattenmann“ des Widerstands. Als Generalbevollmächtigter des ehemaligen preußischen Königshauses verfügte er über glänzende Kontakte im aristokratischen Milieu, hielt sich jedoch von allen Beteiligten wohl am strengsten an die Regeln der Konspiration, so daß er erst im Februar 1945 als Mitverschwörer enttarnt und verhaftet wurde. Um die Freunde nicht zu verraten, sprang Plettenberg am 10. März 1945 aus dem vierten Stock des Reichssicherheitshauptamtes in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße in den Tod.

In enger Zusammenarbeit mit der Familie Plettenberg hat der Oldenburger Politologe Eberhard Schmidt den Lebensweg dieses Offiziers und Forstbeamten, der in den 1920ern den Dönhoffschen Waldbesitz in Ostpreußen verwaltete, und der beinahe den damals recht spröden Backfisch Marion Gräfin Dönhoff geehelicht hätte, minutiös rekonstruiert und unverdienter Vergessenheit entrissen.

Gerade der Vergleich mit Schmidts nie die Autorität der Quellen mißachtenden Arbeit offenbart die Schwächen einer Darstellungsform, wie sie der dänische Journalist Søren Flott für sein Lebensbild des Nationalökonomen Jens Jessen gewählt hat. Wie Plettenberg war Jessen lange kaum schemenhaft bekannt. Erst Klaus Scholders, 1982 ebenfalls von Siedler verlegte Edition der Protokolle der Berliner „Mittwochs-Gesellschaft“ änderte dies, indem sie die bewundernden Urteile von Mitkämpfern und Sympathisanten wieder in Erinnerung rief.

Jessen sei ein „guter Hasser“ gewesen. In seinem Abscheu gegenüber dem NS-Führungspersonal habe er selbst Ulrich von Hassell „wesentlich“ übertroffen, wie der Publizist Paul Fechter notierte. Als der Nordschleswiger Bauernsohn Ende 1939 in diesen elitären Kreis von Gelehrten, hohen Beamten und Offizieren aufgenommen wurde, mußte er von den nationalkonservativen Mitgliedern wie von Hassell, Johannes Popitz oder Ludwig Beck nicht erst für den Widerstand rekrutiert werden.

Denn bald nach 1933 wandelte sich der brillante Nationalökonom, der lange der NSDAP als Berater gedient hatte, zum Kritiker des Regimes. Seit 1935 Ordinarius in Berlin, zählte „Nordmann“, wie von Hassells Deckname für ihn lautete, ab 1939 zu den unerbittlichsten Befürwortern eines gewaltsamen Umsturzes. Zu Leben und Werk Jessens liegt seit 2001 Regina Schlüter-Ahrens’ gründliche Monographie vor (JF 11/02). Dieser wissenschaftshistorischen Arbeit stellt Flott nun eine eher lockere, den volkswirtschaftlichen Theoretiker vollständig ausblendende Nacherzählung der Biographie zur Seite, die bestenfalls einen Anreiz gibt, sich mit Jessen intensiver zu beschäftigen.

Søren Flott: Der Mann, der Hitler töten wollte. Jens Peter Jessen – Ein vergessener Verschwörer. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2014, broschiert, 190 Seiten, 14,95 Euro

Eberhard Schmidt: Kurt von Plettenberg. Im Kreis der Verschwörer um Stauffenberg. Herbig Verlag, München 2014, gebunden, 272 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Friedrich-Wilhelm von Hase (Hrsg.): Hitlers Rache. Das Stauffenberg-Attentat und seine Folgen für die Familien der Verschwörer. Verlag SCM Hänssler, Holzgerlingen 2014, gebunden, 368 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

Fotos: Paul von Hase am 8. August 1944 vor dem Volksgerichtshof: Neue Deutungsfacetten; Fey von Hassell (o.) und Kurt von Plettenberg mit Kindern: Betroffen von der NS-Sippenhaft

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