© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Händler, Helden und die Ideen von 1789
Kriegsbegründungen im Wandel der Zeit: Geistige Mobilisierung funktioniert in der unmittelbaren Gegenwart anders als 1914
Felix Dirsch

Integraler Bestandteil der Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges, über die jüngst Ernst Piper eine inspirierende Studie vorgelegt hat, sind die intensiven Debatten über die „Ideen von 1914“. Bereits am Anfang der im nachhinein als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichneten Auseinandersetzungen erkennen der Staatswissenschaftler Johann Plenge und der schwedische Geograph Rudolf Kjellèn tiefere Ursachen der Kampfhandlungen.

Diese seien weder durch bloße „Schlafwandler“ (Christopher Clark) herbeigeführt worden, schon gar nicht durch den Jahrzehnte später kolportierten „Griff nach der Weltmacht“ (Fritz Fischer), sondern letztlich bedingt durch verschiedene kultur- und ideenpolitische Hintergründe und Entwicklungen: Die Ideale der Humanität, des Individualismus und des Kosmopolitismus, die allesamt eng mit der „Welt von 1789“ verbunden sind, stehen in diametralem Gegensatz zur deutschen „Welt von 1914“.

Diese ist charakterisiert durch eine genuine „nationale Sozialorganisation“ (Plenge) sowie eine einzigartige effiziente „Konzentration des Staatslebens“. Stichwortartig beschreibt der Historiker Stefan Bruendel diesen Kontrast wie folgt: „Deutsche Freiheit“ statt „Freiheit“; „Kameradschaft“ statt „Gleichheit“; „Nationaler Sozialismus“ statt „Brüderlichkeit“; „Geschlossener Handelsstaat“ statt „Welthandelsstaat“; „Führer“ statt „Beamte“; „Gesamtgesellschaftliche Integration“ statt „Zerstrittenheit“ und so fort. Der bekannte Wirtschaftshistoriker Werner Sombart markiert den Unterschied zwischen „Händlern und Helden“, andere – wie der frühe Thomas Mann – heben die Differenz zwischen westlicher Zivilisation und deutscher Kultur hervor.

So sehr diese Kontroversen von der Kriegszieldiskussion nach dem Kriegsausbruch 1914 mit teilweise hegemonialen Ansprüchen nicht isoliert werden können, so sehr ist es doch falsch, sie darauf zu reduzieren. Doch die Protagonisten der Debatten haben richtig gesehen, daß der Verlauf der deutschen Geschichte wenigstens partiell ein anderer ist als der der westlichen Mächte – eine Vorstellung, die früh und nicht selten einseitig das Theorem vom deutschen Sonderweg bestimmt.

Der Westen diktiert heute Debatte über Kriegsgründe

Freilich ist es kaum zu vermeiden, daß die Teilnehmer am „Kulturkrieg“ (Barbara Beßlich), ob willentlich oder nicht, die Rechtfertigung von Kriegshandlungen betreiben. Auch heute können Kriege nicht begründungslos geführt werden. Die letzten leidenschaftlichen Debatten in Mitteleuropa und darüber hinaus über die Legitimität von Angriffen finden zur Zeit des Eingreifens von Nato-Truppen im Kosovo 1999 statt, später – noch eine Stufe heftiger – im Vorfeld der US-Invasionen in Afghanistan und Irak. Angesichts der drastischen politischen Umbrüche im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert ist die starke Veränderung des Argumentationsrepertoires nicht verwunderlich. Seinerzeit fühlen sich etliche europäische Staaten noch als Großmächte. Die Aufteilung des Globus scheint ihnen recht zu geben. Das „amerikanische Jahrhundert“ steht damals noch bevor. Um 2000 jedoch, nachdem die „einzige Weltmacht“ (Brzezinski) aufgrund der Implosion des östlichen Imperiums den Zenit der Macht erreicht, ist längst klar, wer die Vormachtstellung besitzt.

Die riesige mediale Propagandamaschinerie der westlichen Supermacht diktiert nach wie vor die Debatte über Kriegsbegründungen. Selbst in Deutschland, wo man dem Phänomen Krieg nach 1945 überwiegend skeptisch gegenübersteht, gibt es ein lebhaftes Echo. Westliche Kriegsbegründung steht – auch hierzulande – in der Tradition der „Ideen von 1789“. Man argumentiert abstrakt-universalistisch. Üblicherweise müssen die Menschenrechte dafür herhalten. In der Praxis läuft das darauf hinaus, daß „sich ein einzelner Staat mit seinen Vasallen zum Geschäftsträger der Menschenrechte auf Erden macht und sie auslegt, wie es ihm paßt“ (Kurt Flasch). In Deutschland bemühen etliche Politiker, so auch der frühere Außenminister Joschka Fischer, den Holocaust, dessen Neuauflage es durch beherztes Nato-Eingreifen zu verhindern gilt.

Die Argumentation des Hegemons ist doppelbödig

Besonders im Vorfeld des Irak-Konfliktes fungiert der islamisch-islamistische Partikularismus als Feind eines globalen Humanitätsideals. Die Bush-Administration steht in der Tradition von US-Präsidenten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die „humanitäre Kriege“ (Carl Schmitt) gegen „Menschheitsfeinde“ wie Deutschland und Japan führen wollen, während maßgebliche amerikanische Politiker Jahrzehnte später das „Reich des Bösen“, die Sowjetunion, moralistisch stigmatisieren. Unter der Decke der universalistisch-ethischen Rhetorik ist freilich das eigene Interesse mit Händen zu greifen.

Häufig sind materielle Ziele, etwa Erdöl, ein wichtiger Grund für militärische Interventionen, aber auch strategische Vorteile wie verbesserte Sicherheit für Israel. Wird einst das (zumeist nur imaginäre) Feindbild des preußischen Militarismus gegeißelt, so stößt gegenwärtig das islamische Lebensmodell der „Hingabe an Gott“, das sich individualistisch-kapitalistischer Prädominanz widersetzt, auf Ablehnung. Wie doppelbödig der Noch-Hegemon Stellung nimmt, zeigt nicht zuletzt die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofes. Dieser stellt ein auf weltweite Gültigkeit abzielendes Gremium dar und könnte somit universalistischen Idealen noch am ehesten entsprechen. Nur ist man sich in Washington, auch in der Ära Obama, bewußt, daß dieses Tribunal zu Schauprozessen gegen eigene Soldaten instrumentalisiert werden kann. Wieder einmal ist das sprichwörtliche Hemd näher als der Rock.

Foto: Der Soldat beschützt das Kind vor dem bösen Feind; Sowjetisches Ehrenmal in Berlin-Treptow: Geschäfts-träger der Menschen-rechte auf Erden

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