© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Bei den Mächtigen machte sie sich nicht beliebt
Nationalkonservative Töne: Die Dichterin Ricarda Huch glaubte an Gott und Vaterland, begeisterte sich für die Romantik
Felix Dirsch

Ricarda Huch, die anläßlich ihres 60. Geburtstages von keinem Geringeren als Thomas Mann zur „ersten Frau Deutschlands“ erkoren wurde, war es nicht vergönnt, Hätschelkind von Literaturhistorikern und Archäologen emanzipatorischer Verhaltensweisen zu sein. Der Grund für diese Zurückhaltung läßt sich unschwer benennen. Die Autorin sah in der Literatur kein Vehikel progressiver Absichten. Trotz ihrer Opposition gegen den Nationalsozialismus wiesen Kritiker immer wieder auf nationalkonservative Töne hin, von denen ihr Werk durchzogen wird. Weiterhin war manchen Lesern ihre Präferenz für die (auf Luther Bezug nehmende) urchristliche Gemeinschaftsidee ein Dorn im Auge. Ihre Skepsis gegenüber dem Frauenwahlrecht machte sie ebenso suspekt wie ihre Befürwortung eines traditionellen Verhältnisses von Mann und Frau gemäß der göttlichen Schöpfungsordnung.

Auf den ersten Blick wirkt die aus gehobenen Verhältnissen stammende Huch – ihr Bruder war der konservative Zeitkritiker und Satiriker Rudolf Huch, ihr Vetter der Schriftsteller Friedrich Huch – wie eine außergewöhnlich moderne Frau. Die 1864 in Braunschweig geborene Bürgerstochter ging zum Studium in die Schweiz, da deutsche Universitäten in den 1880er Jahren Frauen zumeist ablehnten. Sie promovierte dort mit einem historischen Thema, was ihr späteres publizistisches Wirken grundlegte. Die zweimal verheiratete Frau, deren Ehen beide scheiterten, und Mutter einer Tochter lebte an verschiedenen Orten, über einen längeren Zeitraum in München. Dort knüpfte sie zu wichtigen Persönlichkeiten der Zeit Kontakte, etwa zu Thomas Mann und zu dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin.

Aus ihrem ebenso umfangreichen wie vielschichtigen Œuvre, das in einer elfbändigen Werkausgabe zugänglich ist, ragen neben lyrischen und poetischen Texten die literaturhistorische Abhandlung über die Romantik, die noch ganz der geisteswissenschaftlichen Methode verpflichtet ist, sowie die Schrift „Der große Krieg in Deutschland“ heraus, ferner Darstellungen über Luther sowie über den Freiherrn vom Stein. Huch schrieb primär für Menschen, „denen der Glaube an Gott und damit an den Menschen zu entschwinden droht“ (Cordula Koepcke).

Huchs ideenpolitische Vorstellungswelt gilt heutigen Interpreten als heikel. In vielen Anspielungen verband sie einen mythisch aufgeladenen politischen Reichsbegriff mit dem Gottesreich und geriet so in die Nähe von Konzeptionen Edgar J. Jungs und Wilhelm Stapels aus den 1920er Jahren. Das Ziel einer „ethisch erneuerten abendländischen Einheit unter deutscher Führung“ (Claudia Bruns) machte sie sich zu eigen.

Noch problematischer aus Sicht gegenwärtiger Kommentatoren ist ihre Affirmation eines ständisch-gegliederten Aufbaus der Gesellschaft. Ihre Bevorzugung des Ständewesens mag ihrer Vorliebe für romantische Gedankengänge entsprochen haben, die sie mit Othmar Spann teilte. Selbst einige „völkische Elemente“ (Bruns) hat man herausgearbeitet, die mit antimodernen Affekten der konservativ-revolutionären Bewegung übereinstimmten. Dazu passen auch die Ablehnung der kapitalistischen Entwicklung und die Hoffnung auf deren Überwindung durch einen „romantischen Sozialismus“.

Huch wurde nach dem Ersten Weltkrieg Ehrenbürgerin Münchens, Mitglied der Abteilung Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste sowie Trägerin des Goethepreises der Stadt Frankfurt. Thomas Mann forderte sogar den Nobelpreis für die mittlerweile berühmte Dichterin, die sich weder in der Weimarer Republik noch im Dritten Reich bei den Mächtigen beliebt machte. Sie empfahl die kritische Schrift von August Winnig „Das Reich als Republik“ als Schullektüre. Das brachte ihr Anfeindungen überzeugter Republikaner ein.

Von dem NS-Regime hielt sie sich fern

Am Anfang des Dritten Reiches trat Huch aus der Preußischen Akademie der Künste aus, was als Opposition gegen die neuen Regierenden ausgelegt wurde. Sie hielt sich von jeder Betätigung für das Regime fern. Ihr Schwiegersohn, der Wirtschaftswissenschaftler Franz Böhm, gehörte den Freiburger Widerstandskreisen an.

Nach 1945 wurde die inzwischen über Achtzigjährige Ehrenvorsitzende des demokratischen Frauenbundes Deutschlands. In einer aufsehenerregenden Kontroverse mit ihrem Dichterkollegen Hermann Hesse bestritt sie, daß es nunmehr notwendig sei, auf Begriffe wie „Liebe zum Vaterland“ und auf Nationalgefühl zu verzichten. Warum sollten die Deutschen sich kollektiv anders verhalten als andere Völker, so ihr Einwand gegen diese Forderung.

Zuletzt arbeitete die „Praeceptrix Germaniae“ (Ina Seidel) noch an einer Publikation über die deutsche Widerstandsbewegung, die aufgrund ihres Todes 1947 unvollendet blieb. Es bleibt zu hoffen, daß Huchs Werk in den nächsten Jahren stärker rezipiert wird als in den vergangenen Jahrzehnten.

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