© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Im allgemeinen löst die Walhalla bei Donaustauf nur spöttische Bemerkungen aus. Das heißt, sie kommt vor als leicht ironisierbares Ziel von Dampferfahrten und Ausflugsangeboten, die sich an ältere Bevölkerungsteile richten, oder gilt als fehlplazierter architektonischer Kitsch. Unbegründeterweise muß man sagen. Denn wenn man den schneeweißen, klassizistischen Tempel im Grün des Waldes oberhalb des Flußlaufs sieht, dann weiß man, wie der Ausgleich von Deutschtum und Hellenentum Gestalt annehmen sollte, oder der Traum des Preußen Friedrich Schinkel vom idealen Bau in der Natur durch den (Wahl-)Bayern Leo von Klenze verwirklicht wurde.

Anmerkung zum Nachruf von Jürgen Habermas auf Hans-Ulrich Wehler: Die beiden waren befreundet, man erwartet keine Kritik, aber vielleicht doch etwas mehr Deutlichkeit, ein letztes farewell des einen „Theoretikers der reeducation“ (Peter Sloterdijk über Habermas) für den anderen.

Bildungsbericht in loser Folge LX: Der „Arbeitskreis Lesbenpolitik“ der GEW Baden-Württemberg hat als „Handreichung“ für den Unterricht einen „Heterosexuellen Fragebogen“ (6. Auflage, 2013) entwickelt. Demgemäß sollen Schüler der Mittelstufe zu folgendem begründet Stellung nehmen: „Laut Statistik kommen Geschlechtskrankheiten bei Lesben am wenigsten vor. Ist es daher für Frauen wirklich sinnvoll, eine heterosexuelle Lebensweise und so das Risiko von Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft einzugehen?“ Und: „Ist es möglich, daß deine Heterosexualität von einer neurotischen Angst vor Menschen gleichen Geschlechts kommt?“ Sowie: „Ist es möglich, daß deine Heterosexualität nur eine Phase ist und daß du diese Phase überwinden wirst?“

Mitten im katholischen Bayern, vor dem ehrwürdigen Dom, steht eine junge Frau, schwarz gekleidet, bodenlang, dazu Kopftuch und Schleier. Der Betrachter stutzt einen Augenblick, wägt die Möglichkeiten und kommt endlich zum Schluß, weil zwei quengelnde Kinder mit Migrationshintergrund auf sie zulaufen, die sie an den Händen nimmt.

Verschwiegene Leiden: „Monotonieintoleranz“.

Die Attacken von Margot Käßmann auf Hillary Clinton sind ein erstaunliches Beispiel von unbegründetem Selbstbewußtsein. Außerdem: In bezug auf die notwendige Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik hat Max Weber darauf hingewiesen, daß es Meinungen gibt, die nur einem Heiligen zustehen. Der auf ihr Äußeres und ihre Wirkung bedachten Ex-Bischöfin stehen sie jedenfalls nicht zu.

Beim Durchblättern eines Stapels alter Nummern von Kristall, jener „außergewöhnlichen Illustrierten“, die in der Nachkriegszeit mit dem Anspruch auftrat, diese Art Zeitschrift konservativ zu variieren, sieht man sofort die Schwierigkeiten, die das mit sich bringen mußte: Man konnte zwar durchaus Akzente setzen, in der Wahl der Mitarbeiter wie der Themen, aber wenn man die Leserschaft halten wollte, ging es nicht ohne Sensation, nicht ohne höheren Klatsch und nicht ohne „Sex-Appeal“.

Anmerkung zum Nachruf von Patrick Bahners auf Wehler: Wie kann man jemanden als „großen Historiker“ apostrophieren, der das Buch „Das deutsche Kaiserreich“ geschrieben hat, allen Ernstes behauptete, Bismarck sei ein Imperialist gewesen und wissenschaftliche Auseinandersetzungen als ideologische betrieb, bei denen es nicht um richtig oder falsch, wahr oder unwahr, sondern um die Durchsetzung von Meinungsmacht ging? Was war entlarvender als Wehlers „Wir haben gewonnen“, sein letztes Wort zum Historikerstreit?

Das Hin und Her bei der Frage, ob die AfD der konservativen Fraktion im Europäischen Parlament nun beitritt oder nicht, erinnert an die alte Tatsache, daß der Konservative eben zuerst an das Wohl seines Vaterlandes denkt, was auch bedeutet, daß es für dieses Wohl vielleicht gar nicht förderlich ist, wenn das Nachbarland auch gut konservativ regiert wird.

Wenn etwas Kritik verdient, dann nicht das Äußere, sondern das Innere der Walhalla. Und die zielt nicht auf die naiv-romantische Erweiterung des Kreises deutscher Helden um den Ostgoten Theoderich, den Westgoten Alarich, um Wilhelm von Oranien, Begründer des „niederländischen Freistaats“, oder um den Kriegerkönig Karl XII. von Schweden. Einwände richten sich vielmehr gegen die Personalauswahl nach dem Zweiten Weltkrieg – warum um alles in der Welt Sophie Scholl und nicht ihr Bruder oder gar Stauffenberg, fragt sich der Besucher – und die Entschlossenheit, mit der man die stilistischen Vorgaben der Anfangszeit korrigiert durch modernistischen Schnickschnack oder Abweichung in der Proportion.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 8. August in der JF-Ausgabe 33/14.

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