© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Gebt uns ein Leitbild
Studie zur Familienpolitik: Undurchdachte Regierungsarbeit, überforderte Mütter und schlechte Rahmenbedingungen verhindern positive Entwicklungen
Christian Schreiber

Die Familie spielt für drei Viertel der Deutschen, für die aktuelle und potentielle Elterngeneration, nach wie vor eine sehr wichtige Rolle, auch wenn ihre Bedeutung über die Jahre abgenommen hat.“ Zu diesem Ergebnis kam bereits im Jahr 2011 das Meinungsforschungsinstitut Allensbach.

Ausgehend von dieser Erkenntnis befragte das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung 5.000 Menschen im Alter von 20 bis 39 Jahren nach ihren Vorstellungen von Familie.

Die Resultate wurden nun in einer Studie mit dem Namen „Familienleitbilder in Deutschland“ veröffentlicht. Dabei standen folgende Aspekte im Mittelpunkt: Welche Vorstellungen, Leitbilder haben junge Leute heute von Familie. Wie stellen sie sich Familie vor? Welche Idealvorstellungen haben sie von einer Familie? Bestehen typische kulturelle Muster für ein Familienleben in Deutschland? Interessanterweise äußerten 85 Prozent der Befragten, daß eigene Kinder „wichtig oder sehr wichtig“ seien. Dies steht in krassem Widerspruch zu der seit Jahren sehr geringen Geburtenquote in der Bundesrepublik.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander

Als Familienleitbilder gelten Vorstellungen, wie Familienleben normalerweise aussieht oder idealerweise aussehen sollte. Die Autoren der Studie gingen davon aus, daß diese Vorstellungen nicht nur Veränderungsprozessen unterliegen, sondern auch kulturell und sozial höchst unterschiedlich sind. Die klassische Familie bestehend aus Vater, Mutter und Kindern sei aber auch im Wandel der Zeit die häufigste Lebensform in Deutschland geblieben.

Die Ergebnisse der Studie sind dabei ernüchternd, vor allem für die Regierungspartei CDU, der die Konrad-Adenauer-Stiftung nahesteht. „Es gibt keine positiv besetzten Familienleitbilder in Deutschland“, erklärt Norbert Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung und Autor der Studie. Jedes Leitbild beinhalte sofort eine Negativ-Folie: „Der klassischen Mutter und Ehefrau, die sich um Haushalt, Mann und Kinder kümmert, wird vorgehalten, daß sie es sich gutgehen lasse oder daß man sie gut ausgebildet habe und sie diese volkswirtschaftlichen Kosten nun verschwende. Die berufstätige Mutter hingegen ist mit dem Gegenteil konfrontiert.“ Der Aussage „Ein Kleinkind leidet, wenn die Mutter berufstätig ist“ stimmen der Studie zufolge teils mehr als 60 Prozent der Befragten in Polen, Italien, Österreich – und Westdeutschland zu. Im Osten Deutschlands sind es nur 34 Prozent, dies sei eine Folge der als „normal“ empfundenen Berufstätigkeit von Frauen in der DDR.

Obwohl Leitbilder und Wunschvorstellungen relativ stabil erscheinen, sei ein Wandel im Laufe von wenigen Jahrzehnten durchaus möglich. Die Autoren nennen hier die sogenannte „wilde Ehe“, das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein als Beispiel. Bis 1972 war die Vermietung von Wohnungen an nicht verheiratete Paare ein Straftatbestand, fiel unter den Kuppeleiparagraphen. Das Spektrum der Familienformen habe sich demnach erweitert. Alle Lebensformen mit Kindern werden von mehr als 80 Prozent der Befragten als Familie angesehen. Zwar gehört das verheiratete Ehepaar (100 Prozent) mit Kindern immer noch zu den grundsätzlichen Vorstellungen von Familie, doch genießt das unverheiratete Paar (97 Prozent) mit Kindern eine fast ebenso große Akzeptanz. Homosexuelle Paare (88 Prozent) mit eigenen Kindern werden etwas häufiger als Familie definiert als Patchworkfamilien (85 Prozent) oder als die alleinerziehende Mutter (82 Prozent).

Kinder seien zwar selbstverständlicher Bestandteil im Lebenskonzept der Mehrheit junger Menschen, dennoch gingen Wunsch und Wirklichkeit im Laufe der Jahre stark auseinander. Zwar wünsche sich die überwiegende Mehrheit (85 Prozent) der jungen Menschen eigene Kinder, doch beobachten Forscher bei der Gruppe der 30jährigen eine „Kultur des Zögerns“ und eine Angst sich festzulegen. Die Folge: Während Akademikerinnen im Mittel 32,7 Jahre alt sind bei der ersten Geburt, bekommen Frauen mit Hauptschulabschluß ihr erstes Kind im Durchschnitt mit nur 24,6 Jahren.

Angesichts der Schwierigkeit für viele Akademikerinnen, Partnerschaft, berufliche Karriere und Kind zu leben, würde die Familiengründung immer weiter nach hinten geschoben. Mehr als 30 Prozent der Akademikerinnen blieben mittlerweile kinderlos, dies sei „gesellschaftlich auch akzeptiert“.

Für viele Paare sei auch heute die Ehe eine Voraussetzung für die Gründung einer Familie. Sie gelte als Symbol dafür, daß sich die Partner ihrer Verantwortung gegenüber der Familie bewußt sind. Das bedeute jedoch nicht, so die Studie, daß zum Leitbild einer normalen Familienbiographie „nicht auch eine Phase des nichtehelichen Zusammenlebens vor der Ehe gehört“. Auch wenn die Ehe als Leitbild an Bedeutung abgenommen habe, so sei das Scheitern einer Ehe keine Abkehr von der Ehe als Orientierungspunkt, denn oft folge auf eine Scheidung eine Wiederverheiratung.

Der Gesetzgeber habe diesen „Brüchen“ aber in der Vergangenheit zuwenig Rechnung getragen. So profitiere eine kinderlose Ehe vom Ehegattensplittung, nicht aber die nichteheliche Stieffamilie. Nachdem lange Zeit latent das klassische Bild der Hausfrauenehe bestimmend war, müßten nun Wege gefunden werden, die Wünsche von Vätern nach mehr Familienleben und jene von Müttern nach mehr Berufstätigkeit zu fördern. „Das bisherige Konzept ist nicht mehr zeitgemäß“, schreiben die Autoren.

„Nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen“

Im Mittelpunkt der heutigen Familie stehe das Kind und dessen Entwicklung. Dies habe Auswirkungen auf das Leitbild der guten Mutter. Die Anforderungen an Mütter haben sich nicht nur erhöht, sondern seien auch spannungsreicher geworden. „Mütter befinden sich in einem Spagat unterschiedlicher Anforderungen. Wie die Untersuchung verdeutlicht, steht das Leitbild der Mutter in dem Zwiespalt, daß sie (finanziell) unabhängig und erwerbstätig sein soll, aber auch nachmittags die Kinder schulisch unterstützen soll. Diese zum Teil widersprüchlichen Erwartungshaltungen tragen nicht selten zur Überforderung der Mütter bei“, heißt es. Die Erwartungshaltung an Väter habe sich in den letzten Jahren vom Familien-ernährer hin zum aktiven Erziehenden gewandelt. Zwar gehöre die Verantwortung für die materielle Absicherung für einige Männer noch zu ihrem Selbstbild als Vater, doch überwiege die Vorstellung, daß beide Geschlechter für Erwerbsarbeit und Kindererziehung gleichermaßen zuständig sind.

Die Geburtenarmut in Deutschland erklären die Autoren mit wirtschaftlich-emotionalen Prozessen. Gut ausgebildete Akademikerinnen seien bestrebt, einen Partner zu finden, für den die Karriere nicht unbedingt im Mittelpunkt stünde, der auch bereit sei, aktiv an der Erziehung des Kindes mitzuwirken.

Demgegenüber seien viele Männer immer noch auf der Suche nach einer Frau, die die Rolle der „klassischen Mutter“ ausfülle. Diese unterschiedlichen Erwartungshaltungen führten dann dazu, daß der Anteil der Kinderlosen steige. Zudem habe der Staat in der Familienpolitik in den vergangenen Jahren die falschen Zeichen gesetzt. „Die Familienpolitik läßt keine strategische Ausrichtung erkennen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es wenig eindeutige und teilweise widersprüchliche Signale.“ Die Familienpolitik sei zudem zersplittert: „Mehr als 150 Maßnahmen und unübersichtliche Zuständigkeiten erschweren die Inanspruchnahme zustehender Leistungen.“

Wirtschaftliche Interessen stünden dabei deutlich vor denen der Familien: „Es mangelt am unbedingten Willen, die Arbeitswelt in Deutschland familienfreundlicher zu gestalten.“ Die Adenauer-Stiftung kommt daher zu dem Schluß, daß es Aufgabe der Politik sein müsse, sich an den gesellschaftlichen Realitäten zu orientieren und keine Leitbilder vorgeben zu wollen. Für die in Teilen noch konservativ geprägte Union sei dies ein echtes Problem.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung versandte ihre Ergebnisse in den vergangenen Tagen an alle Mitglieder der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Dabei schlägt sie vor, die Rolle der „modernen“ Vaterschaft aktiv zu stärken, Familien viel stärker bedarfsgerecht zu unterstützen und überholte Leitbilder abzustreifen. Als Fazit kommen Adenauer-Stiftung und BiB zu dem Schluß, daß die Familie ein immer noch positiv besetzter Begriff sei und eigene Kinder ein erstrebenswertes Ziel. Oftmals scheitere die Umsetzung an den Realitäten.

Marcus Weinberg, der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, forderte prompt ein Umdenken in den eigenen Reihen. „Es ist wichtig, daß wir in der Familienpolitik keine Modelle des Zusammenlebens als falsch oder richtig vorschreiben. Wir sind in einem Prozeß der Veränderung von Familienleitbildern“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Darauf müsse seine Fraktion politisch reagieren. „Wertegebunden und ohne dem Zeitgeist hinterherlaufen zu wollen.“ Wenn das Familienbild der CDU nicht mit dem übereinstimme, was gesellschaftlich gewollt werde, bekomme die Partei Akzeptanzprobleme. „Die Expertise führt zu einer Tempoverschärfung in der Wahrnehmung von Einstellungen von jungen Familien“, glaubt Weinberg.

www.kas.de

Foto: Großfamilien sind längst die Ausnahme: Viele Mittzwanziger in Deutschland zögern schon bei einem Kind

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