© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Übel getäuscht
US-Außenpolitik: Der Irak droht zu einem zweiten Vietnam zu werden / Washington in der Sackgasse
Elliot Neaman

Am 3. August 1972 diskutierte Richard Nixon mit seinem Außenminister Henry Kissinger mögliche Zukunftsszenarien für Vietnam. Der Präsident vertrat die Auffassung, Süd-Vietnam könnte nach dem Abzug der USA nicht als unabhängiger Staat überleben. Kissingers Erwiderung: „Das bedeutet, wir müssen eine Lösung finden, das Ganze ein oder zwei Jahre lang zusammenzuhalten, und was danach kommt ... Mr. President, nach einem Jahr wird Vietnam ein toter Fleck auf der Landkarte sein. Wenn wir es, sagen wir, diesen Oktober regeln, dann wird sich im Januar 1974 niemand mehr einen feuchten Kehricht darum scheren.“

Maßlose Fehleinschätzung der US-Regierung

Zukünftige Historiker werden eines Tages aus den Archiven erfahren, ob Barack Obama und seine Berater ähnlich argumentierten, als sie den Abzug der letzten US-Streitkräfte im Dezember 2011 aus dem Irak in die Wege leiteten. So sehr den USA daran gelegen war, den Irak seinem eigenen Schicksal zu überlassen, so sehr haben sie sich in der Hoffnung getäuscht, das Problem Irak dadurch loswerden zu können.

Spätestens nachdem der Bürgerkrieg in Syrien nun auf das Nachbarland übergegriffen hat und die ohnehin schon wacklige Republik in mindestens drei Teile zu zerreißen droht, kommt die Obama-Regierung nicht mehr um das Eingeständnis herum, daß Irak und Syrien sich nicht als „tote Flecken auf der Landkarte“ abschreiben lassen.

Bei einer erneuten Intervention hätten die USA die Wahl zwischen lauter schlechten Alternativen. Obama hielt sich vor allem deswegen so lange aus dem Syrien-Konflikt heraus, weil ihm in der Region ein zuverlässiger Partner fehlt. Eine der Parteien in dem Bürgerkrieg zu unterstützen, hätte weitaus mehr Risiken als geopolitische Vorteile für die USA. Die Unterstützung Malikis im Irak wiederum würde darauf hinauslaufen, dem Iran den Rücken zu stärken. Damit wäre das zentrale Dilemma der 2003 begonnenen Invasion im Irak benannt: Indem sie den von Saddam Hussein mit brutaler Gewalt zusammengehaltenen Staat auseinandernahmen, haben die Amerikaner Kräfte entfesselt, die sich ihrer Kontrolle entziehen und sich mittlerweile gegen sie gewandt haben.

Es liegt eine nicht unerhebliche Ironie darin, daß die inzwischen angedachte neue Lösung eine Zusammenarbeit ausgerechnet mit dem Iran vorsieht, um der Bedrohung durch die radikalsunnitische Terrororganisation Isis (JF 28/14) Herr zu werden und den irakischen Staat vor der Auflösung zu bewahren. So argumentierte Senator Lindsey Graham aus South Carolina am 16. Juni: „Die Iraner können einige Ressourcen zur Verfügung stellen, um zu verhindern, daß Bagdad fällt ... Wir müssen uns mit den Iranern absprechen, und die Türkei muß mitziehen und die Sunniten wieder an den Tisch kriegen, damit eine neue Regierung ohne Nuri al-Maliki gebildet werden kann.“

Parallel dazu unterstrich Außenminister John Kerry in einem Interview: „Wir sind für Diskussionen offen. Ich denke, daß wir jeden konstruktiven Vorschlag begrüßen würden, der geeignet ist, die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren, den Zusammenhalt des Irak zu sichern und den Einfluß terroristischer Kräfte von außerhalb zu eliminieren.“

Am Folgetag trafen sich Vertreter der USA und des Iran in Wien im Vorfeld der internationalen Atomverhandlungen. Seitdem scheinen die Befürworter einer Zusammenarbeit mit dem Iran nach dem Prinzip „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ in der US-Außenpolitik die Oberhand gewonnen zu haben.

Kenner der Materie wissen freilich, daß der Iran im Nahen Osten seit jeher ein doppeltes Spiel spielt. Militärnachrichtendienstliche Quellen warnen, die Vorstellung, daß der Iran Maliki unterstütze, um die Schiiten zu beschützen und al-Qaida und Isis zu bekämpfen, sei eine gefährliche Simplifizierung.

Gewieftester Akteur ist der Iran

Oberst Rick Welch, der sieben Jahre lang unter General David Petraeus für den militärischen Nachrichtendienst tätig war, sagte der Zeitschrift Foreign Policy Journal, in Wirklichkeit habe der Iran sowohl schiitische als auch al-Qaida-Kämpfer finanziell unterstützt. Die langfristige Strategie der Iraner, die zunächst sunnitische Extremisten im Irak, Syrien und Libanon ausgebildet und finanziert haben, um später als Retter aufzutreten und Regionen, die sie selber destabilisiert haben, unter ihre Kontrolle zu bringen, scheint aufzugehen.

Der New York Times-Reporter Dexter Filkins schrieb im vergangenen September einen hervorragenden Bericht über Qassem Suleimani, den geheimnisumwitterten Befehlshaber der iranischen Quds-Miliz. Zu seinen Enthüllungen zählte auch das Ausmaß der iranischen Einflußnahme bei der Umgestaltung des Nahen Ostens gemäß seinen eigenen Interessen. Suleimani war entscheidend an der Anwerbung schiitischer Kämpfer zur Ausbildung in Syrien beteiligt, und ebendiese Kämpfer sind nun zurück im Irak, wo sie Maliki unterstützen.

Gleichzeitig würde ein langes Andauern des dortigen Bürgerkriegs den Interessen der Iraner entgegenkommen, bliebe ihnen doch dadurch genügend Zeit, alles zu zerstören, was im Irak seit 2003 an demokratischen Strukturen aufgebaut werden konnte, um der Region dann ihre eigene Ordnung aufzuzwingen.

Sollten die USA sich also für ein Vorgehen mit iranischer Unterstützung entscheiden, hätten sie sich in eine geschickt gestellte Falle locken lassen. Der Iran verfolgt mit seiner Irak-Strategie nicht nur vollkommen andere Ziele, sondern ist auch deswegen an einer Zusammenarbeit mit den USA interessiert, weil der Westen dadurch zumindest vorübergehend von der heiklen Frage seiner Nuklearpolitik abgelenkt würde.

Der ehemalige hochrangige Uno-Funktionär Nader Mousavizadeh sagte der New York Times vor kurzem, die Rivalitäten im Nahen Osten, die allem Anschein nach auf jahrhundertealte religiöse und sektiererische Konflikte zurückgingen, würden in Wirklichkeit von „Brandstiftern“ aus politischen Motiven immer wieder neu angefacht. Machthaber wie Assad, Maliki und al-Sisi und Gruppen wie Hamas und die israelische Siedlerbewegung lieferten den Zündstoff, der die vor sich hin schwelenden Konflikte erst zum Explodieren bringt. Der Iran ist derzeit der gewiefteste unter diesen Akteuren.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco

Foto: Barack Obama im „Brady Briefing Room“ des Weißen Hauses: Ein erneuter Einsatz im Irak liegt dem US-Präsidenten schwer im Magen

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