© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Transatlantisches Reizklima
Geheimdienste: In den Berliner Ministerien wird nach weiteren amerikanischen Spionen gesucht
Christian Schreiber

Die Stimmung zwischen Berlin und Washington ist wegen der Spionage-Affäre auf einem Nullpunkt angelangt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die Vertrauensbasis erschüttert, wie sie im „Sommerinterview“ des ZDF erklärte. Zudem äußerte sie Skepsis an der Kooperationsbereitschaft der Amerikaner. „Ich glaube, es ist nicht so ganz einfach, die Amerikaner davon zu überzeugen, die Arbeit der Nachrichtendienste jetzt völlig umzukrempeln.“ Sie könne nicht voraussagen, ob die Amerikaner ihr Verhalten ändern. Dabei ist das Ausmaß der Affäre immer noch ungewiß. Die CIA habe mehr als ein Dutzend Regierungsmitarbeiter in Deutschland als Quellen geführt, berichtete die Bild am Sonntag unter Berufung auf Geheimdienstkreise. Betroffen sind laut dem Blatt vor allem die vier Ministerien Verteidigung, Wirtschaft, Inneres und Entwicklungshilfe. Letzteres sei für die CIA von Interesse, weil über das Entwicklungshilfeministerium verdeckte BND-Operationen im Ausland liefen.

Der Spiegel berichtete zudem, daß die Kommunikation von Bundestagsabgeordneten das Ziel von Abhöraktionen war. Betroffen soll demnach 2013 der Linkspartei-Politiker Steffen Bockhahn, damals Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, gewesen sein. Der engsten Mitarbeiterin des Kritikers der NSA fiel demnach auf, wie ihr Handy wie von Geisterhand ihren SMS-Verkehr mit Bockhahn durchforstete und Mails mit Bezug zum Geheimdienst-Kontrollgremium aufrief. Das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern ermitteln laut dem Bericht seit August 2013 wegen des Verdachts auf Computersabotage und Auskundschaften von Staatsgeheimnissen. Der Auftraggeber der mutmaßlichen Ausspähaktion blieb bislang im dunkeln.

Merkel hat sich lange zurückgehalten

Die Stimmung zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten war in den vergangenen Monaten aufgrund der Ausspähaktionen der NSA ohnehin gereizt. Nun hat sich die Lage verschärft, nachdem zunächst ein Mitarbeiter des BND enttarnt wurde. Der 31jährige, der seit rund 14 Tagen in Untersuchungshaft sitzt, geriet ursprünglich in den Verdacht, vertrauliche Daten auch aus dem NSA-Untersuchungsausschuß an den amerikanischen Geheimdienst geliefert zu haben. Diese Meldungen konnten bislang nicht bestätigt werden. Der BND erklärte zu Wochenbeginn lediglich, daß „der Mitarbeiter nicht zu tief gegraben hat.“

Welche Informationen ein Angehöriger des Verteidigungsministeriums an die amerikanischen Dienste geliefert hat, ist ebenfalls noch unklar. Nach Informationen der Welt wurde der zweite Fall vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) entdeckt. Der Zivilist sei vor einiger Zeit durch intensive Kontakte mit mutmaßlichen amerikanischen Geheimdienstlern ins Visier des deutschen Militär-Geheimdienstes geraten. Er soll als Referent in der Abteilung Politik tätig und dort für internationale Rüstungskooperation zuständig gewesen sein. Er wirkte damit an der Vorbereitung sicherheitspolitischer Richtungsentscheidungen des Ministeriums mit.

Die Bundeskanzlerin hatte sich mit Blick auf die amerikanischen Aktionen auf deutschem Boden lange zurückgehalten. Nun griff die Regierung erstmals durch, zweimal wurde der amerikanische Botschafter in den vergangenen 14 Tagen ins Auswärtige Amt gebeten, zudem forderte das Kanzleramt den CIA-Stationsleiter von Berlin auf, die Bundesrepublik zu verlassen.

„Informationen, die Leben retten“

In den Vereinigten Staaten stieß diese Maßnahme auf scharfe Kritik. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers, sprach von einem „Wutanfall“ der Bundesregierung. „Das ist etwas, was wir von den Russen, den Iranern und Nordkoreanern erwarten, nicht etwas, was wir von den Deutschen erwarten“, sagte er dem TV-Sender CNN. Die amerikanischen Geheimdienste hätten den deutschen Diensten Informationen geliefert, die das Leben von Deutschen gerettet hätten. Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, forderte, das Thema solle nicht auf dem offenen Markt, sondern intern besprochen werden. „Alle Differenzen, die wir haben, sind am effektivsten über bestehende interne Kanäle zu lösen, nicht über die Medien.“

Doch gerade amerikanische Medien schalteten sich lautstark in die Debatte ein. Das Wall Street Journal sprach von „gekünstelter Empörung“. Deutschland wisse, daß auch befreundete Staaten einander ausspionierten: „Deutschland hat etwa zu Rußland und Iran engere Beziehungen als die meisten anderen westlichen Länder.“

Etwas zur Beruhigung der Lage trug am Wochenende ein Treffen zwischen den beiden Außenministern Frank-Walter Steinmeier (SPD) und John Kerry bei. Man sei zuversichtlich, daß sich das Verhältnis der „beiden Freunde“ wieder normalisieren werde. Ausgerechnet die Kanzlerin hegt dagegen aber Zweifel. „Aus meiner Interessenssicht ist es nicht eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, wenn so etwas vorkommt“, sagte Merkel. „Wir wollen die partnerschaftliche Zusammenarbeit.“ Dazu gehöre aber, daß man sich nicht gegenseitig ausspioniere: „Die Amerikaner müssen ihr Verhalten verändern.“

Doch die Affäre hat auch ihre komischen Seiten: Aus Furcht vor elektronischer Spionage überlegt der NSA-Ausschuß, wichtige Dokumente künftig wieder per Schreibmaschine zu verfassen.

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