© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Luxemburg reißt Hürden ein
Einwanderung: Europäischer Gerichtshof kippt Sprachtests für Ehegattennachzug
Michael Paulwitz

Verpflichtende Deutschtests als Voraussetzung für den Ehegattennachzug aus der Türkei verstoßen gegen EU-Recht – mit diesem Urteil (Az. C-138/13) attackiert der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eine der wenigen Hürden, die das deutsche Ausländerrecht gegen unkontrollierten Zuzug aufgerichtet hat. Die Brisanz des Urteils ergibt sich aus der Begründung mit dem Assoziierungsabkommen der damaligen EWG mit der Türkei.

Die Pflicht zum Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse für nachzugswillige Ehegatten aus Nicht-EU-Staaten war ab September 2007 mit der Begründung eingeführt worden, damit Zwangsehen verhindern und die Integration erleichtern zu wollen. Obwohl lediglich das niedrigste von sechs international festgelegten Sprachniveaus erreicht werden muß, war der Ehegattennachzug insbesondere aus der Türkei tatsächlich verlangsamt worden. Das Ablegen des Tests ist zumindest in entlegenen Gegenden mit einigem Aufwand verbunden. Daß jemand, wie die Klägerin, den einfachen Test, der beliebig oft wiederholt werden kann, mehrfach nicht besteht, ist dennoch eher eine Ausnahme: Naime Dogan, deren Ehemann seit 1998 in Deutschland lebt, ist Analphabetin.

Die Klage, die im Namen der Naime Dogan vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die neuerliche Verweigerung eines Visums im Januar 2012 eingereicht wurde, hat zu einem Musterprozeß geführt. Das Berliner Gericht hat dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit der Spracherfordernis mit Unionsrecht zur Prüfung vorgelegt. Luxemburg entschied: Wenn die Familienzusammenführung erschwert wird, schränkt das die Niederlassungsfreiheit für türkische Staatsangehörige, die in Deutschland dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, unzulässig ein. Zwar könnten neue Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit „durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt“ sein, die deutsche Sprachtest-Regelung gehe aber über das hinaus, was zur Integrationsförderung und zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen „erforderlich“ sei.

Die Rechtsgrundlagen, die das Gericht bemüht – das EWG-Assoziierungsabkommen mit der Türkei und das am 1. Januar 1973 für Deutschland in Kraft getretene Zusatzprotokoll, dessen „Stillhalteklausel“ die Einführung „neuer Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit“ verbietet –, stammen allerdings aus einer Zeit, als die unkontrollierte Einwanderung aus der Türkei über die Familienzusammenführung gerade erst begann. Auch das Phänomen der „Importbräute“, das zur Verfestigung integrationsfeindlicher Parallelgesellschaften führt, war noch kein Thema.

Bundesregierung will an Tests festhalten

Die Berliner Anwältin Seyran Ates fand deshalb die Argumentation des Generalanwalts beim EuGH, der das Gericht wie üblich gefolgt war, „zynisch“: Ohne Sprachkenntnisse könnten die zugezogenen Frauen noch leichter in der vorurteilsgeladenen Parallelwelt festgehalten und entmündigt werden.

Die Türkei- und Einwanderungslobby sieht sich vom EuGH in ihrer Position bestätigt: Sie fordert seit langem die ersatzlose Streichung der Sprachtests, die der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan als „Menschenrechtsverletzung“ verdammt hat und das türkische Massenblatt Hürriyet als eine Regelung, die „die Bräute zum Weinen bringt“. Entsprechend freute sich der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Gökay Sofuoglu über das EuGH-Urteil und forderte ebenso wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD), und der SPD-Migrationsexperte Rüdiger Veit den Wegfall der Zwangstests für alle Nationalitäten.

Freiwillige Deutschkurse und die Integrationskurse nach der Einreise seien ausreichend, argumentieren Sofuoglu, Özoguz und Veit – eine Position, die Seyran Ates nicht teilt: Zweck der „Blitzheiraten“ sei die schnelle Familiengründung, die Frauen würden rasch schwanger und hätten keine Zeit mehr für Kurse, und die Ehemänner seien oft nicht bereit, die Frauen Deutsch lernen zu lassen. Daß die Lobby aus türkischen Verbänden und linken Politikern in dieser Frage Partikularinteressen vertritt, bestätigt auch eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das fast 2.500 zugewanderte Ehepartner befragt hatte: 80 Prozent von ihnen halten die Tests für sinnvoll. Unter denen, die sie tatsächlich ablegen mußten, liegt die Zustimmung sogar bei 90 Prozent.

Das Bundesinnenministerium will an den allgemeinen Sprachtests festhalten und dem Urteil, das die CSU als „lebensfremd und integrationsfeindlich“ bezeichnete, durch eine Ausweitung der Härtefall-Ausnahmen entgegenkommen. Nicht jeder Analphabet sei allerdings schon ein Härtefall, erklärte Innenstaatssekretär Günter Krings. Für den Konstanzer Ausländerrechtler Daniel Thym folgt aus dem EuGH-Urteil ebenfalls nicht zwingend die Abschaffung der Sprachtests.

Vergleichbare Regelungen gebe es auch in anderen EU-Staaten; die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung sehe sogar ausdrücklich vor, daß die Mitgliedstaaten von Drittstaatsangehörigen die Erfüllung von Integrationsauflagen verlangen könnten. Allerdings müßten „individuelle Interessen“ stärker berücksichtigt und auf Verlangen „jeder Einzelfall“ geprüft werden. Eine Lockerung der Einwanderungshürden scheint nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in jedem Fall unausweichlich.

Foto: Deutschkurs für türkische Frauen: Der Nachzug hat sich tatsächlich verlangsamt

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