© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Der Flaneur
Vor allem vom Leben erholen
Claus-M. Wolfschlag

Als ich an der Subway-Filiale vorbeispaziere, stocke ich. Ein alter Freund sitzt dort am Fensterplatz und beißt in ein Sandwich. Salatblätter purzeln auf den Tisch, während im Hintergrund vier Jugendliche hektisch gestikulierend versuchen, eine Bestellung aufzugeben. Wenn das die Leute vom Zen-Seminar sehen würden, denke ich, als ich den großen Cola-Becher auf seinem Tisch entdecke.

Zweimal im Jahr fährt er zur Meditation in ein buddhistisches Zentrum. Frühmorgens stehen dort alle auf, um dann den ganzen Tag schweigend im Lotussitz zu meditieren. Am Abend gibt es ein bescheidenes Mahl mit Reisbrei und Ingwerwasser. Ob ihm das nicht zu spartanisch sei, fragte ich einmal. Und er antwortete: „Nein, das Zen-Seminar ist für mich eine kurze Erholung, ein Urlaub von allem hier. Von dem Trubel der Stadt, den Autos, den vollen Kaufhäusern und Restaurants.“

Das sei schon richtig, erklärt er, aber er ziehe in der Mittagspause die Subway-Filiale vor.

Eine Sekunde später hat auch er mich entdeckt und winkt mich herein. „Du im Subway? Habt ihr nicht eine Kantine in eurer Firma?“ frage ich ihn. Das sei schon richtig, gibt er mir zu verstehen, aber er ziehe in der Mittagspause die Subway-Filiale vor. „Nicht, weil das Essen in der Kantine schlecht ist“, sagt er. „Aber so komme ich raus und entgehe den Kollegen. Wenn ich mittags hier allein sitze, ist das Erholung für mich, ein kurzer Urlaub vom Büro.“

Wenige Minuten später ist das Sandwich verzehrt und die Cola getrunken. Zwei Tische neben uns lärmen die Jugendlichen, als wir aufbrechen. „Und jetzt machst du noch bis 18 Uhr?“ frage ich, während wir die Einfallstraße entlanglaufen. „Nein, ich bleibe wohl bis sieben oder halb acht“, antwortet er. Soviel Arbeit habe er zwar gerade nicht, aber wenn er spät nach Hause komme, schliefen die Kinder schon. „Das Wochenende ist schon anstrengend genug. Die Firma dagegen ist für mich Urlaub, meine Erholungsphase vom Familienstreß“, sagt er und verschwindet im Eingang eines großen Bürohauses.

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