© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Gerupft und gestutzt
CDU-Wirtschaftstag 2014: Der Unternehmerflügel der Union hadert mit der Großen Koalition – Energiepolitik als Knackpunkt
Christian Dorn

Wolfgang Schäuble wirkt entrückt. Die Politik sei die Kunst des Möglichen, zitiert er auf dem CDU-Wirtschaftstag Bismarck, als dessen legitimer Urenkel sich der Bundesfinanzminister längst begreift. Einziger Unterschied: Seine „Reichsgründung“ zielt auf die Vereinigten Staaten von Europa, die Deutschen sollen nicht mit Blut, sondern mit ihren Ersparnissen bezahlen: „Die Nächte der letzten vier Jahre zur Rettung des Euro“ könne sich keiner der 2.700 Wirtschaftsführer im Saal des Berliner Intercontinental Hotels vorstellen.

„Es gibt ja einige Professoren der Volkswirtschaft – ich frage mich, wie die zu den akademischen Titeln gekommen sind –, die uns einreden, es gehe Deutschland besser ohne den Euro“, poltert er in Richtung der Eurokritiker in und neben der AfD. Selbstverliebt rühmt sich der 71jährige allerorten des angestrebten Haushaltsausgleichs: „Die schwarze Null steht.“

Zuvor ging Bundesbankpräsident Jens Weidmann mit der europäischen Finanzpolitik hart ins Gericht. So seien die Risikozuschläge bei den Staatsanleihen der Krisenländer heute so stark gesunken, „daß sich Spanien und Italien derzeit so günstig verschulden wie noch nie“. Unmißverständlich mahnte er die Vorbildrolle Deutschlands an, die durch die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren und den gesetzlichen Mindestlohn auf dem Spiel stehe. Nicht zufällig habe das Wall Street Journal vor einigen Monaten Deutschland als nächsten Reformkandidaten der Eurozone ausgerufen.

„Am Ende stolpert man in den Sozialismus“

Weidmann wehrte sich gegen die „faktische Vergemeinschaftung der Schulden“ und beharrte darauf, „daß die Insolvenz von Staaten zugelassen wird“. Nötig seien zudem weitere regulatorische Maßnahmen, um die „verhängnisvolle Verknüpfung von Staaten und Banken zu lockern“. Entsprechend müßten Banken künftig verpflichtet sein, Kredite an Staaten mit Eigenkapital zu unterlegen und diese nur noch limitiert zu vergeben. „Die Geldpolitik“, so Weidmanns unverhohlene Kritik in Richtung Schäuble, „darf sich nicht vor den Karren der Finanzpolitik spannen lassen.“

Die Energiewende steckt dem Wirtschaftsflügel der Union wie eine Fischgräte im Hals. Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger bringt es in der Podiumsdiskussion zu Beginn auf den Punkt: Nirgendwo werde erneuerbare Energie so hoch und falsch gefördert wie in Deutschland, dabei gäbe es in Südeuropa bessere Plätze für Solarzellen. Die Windräder stünden an Ost- und Nordsee – und nicht bei den Verbrauchern im Süden Deutschlands. „Die Schweinswale brauchen keinen Rasierer“, bemerkt Oettinger mit schwäbischer Lakonie. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hält der ehemalige Ministerpräsident für nicht reformierbar: „Jede Novelle schließt eine Lücke und öffnet zwei neue. Am Ende stolpert man in den Sozialismus.“

Gewohnt eloquent sekundierte ihm FDP-Chef Christian Lindner, der das EEG gleich ganz abschaffen will. Das von der Bundesregierung frisch novellierte Gesetz (JF 28/14) sei ein „neuer Morgenthau-Plan für Deutschland“. Seinen Verbalradikalismus – die FDP sei keine Partei für „Beckenrandschwimmer“ – hätte ZDF-Moderator Wulf Schmiese mit dem Hinweis auf die Rolle der FDP in der letzten Bundesregierung schnell einfangen können. Tat er aber nicht.

Lindner beschrieb den Ausstieg deutscher Eliten und großer Teile der Bevölkerung aus Kernenergie und Kohle treffend als „kollektive Selbsthypnose“. Der „Klimaschutz“ mutiere zum „Religionsersatz“, zum „Tarnargument, um Ideologien zu befördern“. Deutschland schaffe es in Berlin unter Herrn Wowereit nicht, so sein Nebenhieb auf die größte Hauptstadtbaustelle, einen Flughafen zum Laufen zu bringen, wolle aber das Weltklima um zwei Grad verringern. „Das ist eine Anmaßung von Wissen“, so Lindner maulheldig.

Glaubwürdiger berichtete Peter Terium, Vorstandsvorsitzender der RWE AG, Deutschlands größtem Stromversorger, daß das Wort „Energiewende“ neben Sauerkraut und Kindergarten inzwischen den Einzug ins englische Wörterbuch geschafft habe. Ohne eindeutige Übersetzung. Indessen werde Deutschland „unterwandert von Solarzellenbesitzern, Windkraftmüllern und Energiewirten“.

Als er nach Deutschland kam, so der Niederländer Terium, sei dieses noch ein Land der Dichter und Denker gewesen. Heute sei es „ein Land der Denkverbote“. Als Resultat des Verbotes hochwirksamer konventioneller Kraftwerke müsse RWE in diesem Jahr 2.000 Arbeitsplätze abbauen. Die „weltbesten Gasanlagen“ könnten nicht in Betrieb gehen, weil die Politik alle fünf Jahre die Spielregeln ändere. „Das ist die Vernichtung von volkswirtschaftlichem Kapital“, rief Terium empört in das applaudierende Publikum.

Fracking als der nächste große Angstmacher

„Sie klatschen hier alle Beifall – aber Sie müssen bereit sein zur Reform“, appellierte BASF-Chef Kurt Bock an den CDU-Wirtschaftsrat. Viele Unternehmer hätten selbst in erneuerbare Energien investiert und profitierten von den staatlich garantierten Einspeisevergütungen. Die hohen Energiekosten – zu zwei Dritteln höher als in den USA – zwängen auch Chemiegiganten wie die BASF, ihre Investitionen in Deutschland zu reduzieren. Bock plädierte deshalb für die Erschließung heimischer Erdgasvorräte zum Beispiel mit Hilfe von „Fracking“ – der Einpressung tensidehaltiger Substanzen –, ein Verfahren, das sein Unternehmen seit 40 Jahren ohne einen Vorfall praktiziere. Panikkampagnen verhinderten, so Bock, die Gewinnung des Schiefergases, dessen Vorkommen in Deutschland für mindestens zehn Jahre Vollversorgung reichen würde. Nach dem Ende der Kernkraft sei „Fracking“ der nächste große „Angstmacher“. „Als traurigstes Beispiel für die Kraft der Propagandamaschinerie verwies Bock auf den Deutschen Brauereiverband, der das deutsche Reinheitsgebot durch „Fracking“ gefährdet sieht. Bocks Fazit: „Viel tiefer geht es nicht.“ Oettinger pflichtet ihm bei: „Das beste wäre, der Bundestag würde sich nicht mit Fracking beschäftigen – da käme nur ein Verbot heraus.“

„Deutschland lebe in einem Sommertraum“, deutete Wirtschaftsratchef Kurt Lauk die gegenwärtige Exportstärke als ephemeren Zustand. Der Kanzlerflüsterer verbarg seine Kritik an der „schleichenden Deindustrialisierung“ diplomatisch. Ganz Transatlantiker, plädierte der ehemalige Audi-Vizechef für das Freihandelsabkommen mit den USA, dem in der veröffentlichten Meinung das „Chlorhühnchen“ als „Deutschlands liebstes Haustier“ entgegenstehe. Jeder Besucher in einem Schwimmbad schlucke mehr Chlor als beim Verzehr eines Hühnchens, lenkte Lauk den Unmut der CDU-nahen Unternehmer bei der Begrüßung der Kanzlerin auf einen Nebenkriegsschauplatz.

Substanzverlust bei Ludwig-Erhard-Gedenkmünze

Bis Angela Merkel erschien, schläferten VW-Chef Martin Winterkorn und der irische Ministerpräsident Enda Kenny das Auditorium mit staatsmonopolistischen Erfolgsmeldungen ein. Der von Lauk beklagte „Substanzverlust“ wurde schließlich am Wirtschaftstag selbst offenkundig: Erstmals seit zehn Jahren verzichtete der gerupfte CDU-Wirtschaftsflügel auf die Verleihung der sonst üblichen Ludwig-Erhard-Gedenkmünze.

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