© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Grüße aus Sarajevo
Kein Interesse an Geschichte
Carl Gustaf Ströhm

Historische Ereignisse, die in Jubiläen zelebriert werden, haben eine besondere Ausstrahlung auf den Menschen, der sich zur selben Zeit am selben Ort befindet. So erging es mir, als ich am 28. Juni vor der Lateinerbrücke in Sarajewo stand. Dort wurden vor genau 100 Jahren der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie von dem 17jährigen Schüler Gavrilo Princip erschossen. Neben dem Gedenkstein, der an diesen Tag erinnert, lagen Kränze mit – habsburgischen – gelb-schwarzen Schleifen und der kroatischen Aufschrift „Für all das, was wir verloren haben“.

An der Ecke, die das 20. Jahrhundert einläutete, stand ein nachgebauter Gräf & Stift – eben jener Wagen, in dem der Thronfolger und seine Gattin den Tod fanden. Die Szenerie wirkte auf mich beeindruckend. Dennoch spürte der Besucher, daß dieses wichtige Jubiläum an der Stadt und seinen Bewohnern vorrüberging.

„Die Vergangenheit sollte man besser ruhen lassen“, antwortete die Verkäuferin lächelnd.

Am Tag zuvor besuchte ich den Friedhof Sveti Marko. Neben den Gräbern von Katholiken und Protestanten, von denen eine Vielzahl deutsche Namen trugen, lagen die „Helden des Sankt-Veits Tages“– unter ihnen Gavrilo Princip. Die Symbolik, das Attentat am wichtigsten serbischen Feiertag durchzuführen, war deutlich. Dennoch gab es in Sarajevo selbst keine großen Bekundungen oder Gedenken an die Attentäter.

Auf dem Baščaršija, dem großen mittlerweile sehr touristisch angehauchten Basar Sarajevos, fragte ich eine Verkäuferin, die Poster und Stofftüten mit dem Konterfei des Thronfolgers und Princips verkaufte, warum dieses Jubiläum, sowohl bei Serben als auch in Sarajevo selbst, auffallend klein gehalten werde. „Die Vergangenheit sollte man besser ruhen lassen“, antwortete sie mit einem Lächeln.

Während ich auf dem Baščarsija einen bosnischen Kaffee genoß, verspürte ich sonderbar heimatliche Gefühle in der Fremde. Gerade spielten die Wiener Philharmoniker im alten Rathaus, das im pseudo-maurischen Stil von dem Österreicher Alexander Wittek entworfen wurde, auf. Einige hundert Meter weiter befindet sich, ganz im k.u.k. Baustil gehalten, die Universität von Sarajevo. Je weiter ich ins Zentrum vordringe, desto mehr wähne ich mich in Graz oder Wien.

Während ich Franz Schuberts Unvollendeter lausche, kommen mir wieder diese Worte auf den gelb-schwarzen Schleifen ins Gedächtnis: „Für all das, was wir verloren haben“.

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