© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Eher links als rechts
Front National: Der Kurs Marine Le Pens stößt nicht nur auf Gegenliebe, doch der Erfolg gibt ihr recht
Alain de Benoist

Seit drei Jahren befindet sich der Front National (FN) im Aufwind. Und sogar mehr als das. Bei den letzten Kommunalwahlen hat die Bewegung von Marine Le Pen gut ein Dutzend Bürgermeistersitze errungen. Bei den Europawahlen vervierfachte sie ihr Ergebnis von 2009. Sie stellte mit 26 Prozent der Stimmen die bürgerliche UMP mit ihren 20 Prozent und die sozialistische PS (13 Prozent) in den Schatten. Platz eins für eine Partei, die aufgrund des Mehrheitswahlrechts auch nach der Parlamentswahl 2012, bei der sie 13,6 Prozent errang, nur mit zwei von 577 Abgeordneten vertreten ist. Aktuell erklären sich gar 45 Prozent der Franzosen bereit, für den FN votieren zu wollen, während 43 Prozent sich als den Ideen Marine Le Pens nahestehend bezeichnen.

Diese Ergebnisse wurden allseits als eine Art historischer Schock wahrgenommen. Sie bedeuten nichts anderes als das Ende des traditionellen Zweiparteiensystems, welches das politische Leben in den vergangenen Jahrzehnten auf die Alternative zwischen Rechts- und Linksregierung reduzierte. Doch die UMP und die PS treten heute als desorganisierte Parteien auf, ohne Ziel, ausgebrannt. Wie in der Epoche des Aufstiegs des Gaullismus zum Ende der Vierten Republik, entsteht mehr als 50 Jahre danach ein neues Dreiparteiensystem.

Verteufelung des FN zieht nicht mehr

Ursächlich für den Erfolg ist vor allem die desolate wirtschaftliche Lage. Ohne daß der FN diesbezüglich echte Anstrengungen unternommen hätte, profitiert er täglich von der aktuellen Lage eines Landes, in welchem mehr als drei Millionen Arbeitslose und zehn Millionen Arme leben. Einem Land, in dem die öffentliche Verschuldung die 100-Prozent-Marke des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu überschreiten droht, wo die Regierung jede Sozialpolitik aufgegeben hat, um sich dem globalisierten Liberalismus anzuschließen. Einem Staat, in dem der Anteil der Löhne am BIP weiter schwindet, während der des Kapitals steigt, in dem sich Entlassungen und „Sozialpläne“ kaskadenartig aneinanderfügen, die Mittelklasse erstmals auch vom Abstieg bedroht ist, und in dem Einwanderung die soziale Unsicherheit noch verschärft.

Vor diesem Hintergrund setzt die Misere und die bisherige Ineffektivität der Anti-Le-Pen-Argumentation ein. In seinem Buch „Du diable en politique“ („Vom Teufel in der Politik“) analysiert der Politologe Pierre-André Taguieff die Art und Weise, in der der Front National in den letzten 40 Jahren verteufelt wurde, und demaskiert mit Ironie wie Sachkenntnis einen „Antifaschismus“, der sich als flackernde Dummheit entlarvt hat, wie auch als völlig ineffektive Delegitimationsstrategie.

Im Gegensatz zu dem, was seine Gegenspieler gern betonen, hat sich der FN nach Marine Le Pens Wahl zum Parteioberhaupt in der Nachfolge ihres Vaters Jean-Marie im Jahre 2011 fundamental geändert. Gab es zuerst die üblichen Spannungen zwischen Vater und Tochter, verschärfen sich die Dissonanzen seit einiger Zeit immer wieder auf politisch-inhaltlicher oder auch sprachlicher Ebene. Sichtbar wurde dies Anfang Juni, als Jean-Marie Angriffe französischer Künstler auf den FN mit dem Ausspruch konterte: „Wissen Sie, da machen wir das nächste Mal eine Ofenfüllung.“ Marine sprach von einem „politischen Fehler“ und entschied, den Blog ihres Vaters von der FN-Netzseite zu entfernen.

Im Anschluß kritisierte der 86jährige die Bemühungen seiner Tochter, den FN „normalisieren“ zu wollen, und erklärte: „Marine hat unrecht, wenn sie versucht, die politisch mediale Wertschätzung zu erringen. Wenn sie ihn verwässert, unterschreibt sie sein Ende.“ Im „Anderssein“ liege die „Kraft“ des FN. Marine antwortete trotzig: „Der FN steigt nicht wegen der Polemik auf, sondern trotz derselben.“

Nicht nur dieser Zwischenfall verdeutlicht die fragile Koexistenz von „Ehemaligen“ und „Modernen“ im FN. Erstere unterstützen Jean-Marie und erkennen sich eher in den Ansichten Bruno Gollnischs, des glücklosen Kandidaten der Parteispitzenwahl, wieder. Sie gehören mehrheitlich entweder der radikalen Rechten an, die Marines Versuche, den FN „salonfähig“ zu machen, ad absurdum führen, oder der katholischen Rechten, die der 45jährigen ankreiden, das Gesetz, welches den Schwangerschaftsabbruch erlaubt, nicht ablehnen zu wollen. Sie sind jedoch zunehmend in der Minderheit. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts BVA besagt, daß 86 Prozent der Mitglieder und Sympathisanten des FN Jean-Marie Le Pen heute als „Handicap“ für die Partei betrachten.

Im Wochenblatt Valeurs actuelles erklärte Marine Le Pen: „Jean Marie Le Pen hat den FN in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen, während ich die Spitze zu Beginn des 21. Jh. übernommen habe. Ich war nicht wie er vom Zweiten Weltkrieg oder vom Algerienkrieg geprägt.“ Jean-Marie stand ihr zufolge für eine Protestbewegung, deren vorrangigstes Ziel das „Bekunden“ war. Sie selbst dagegen möchte die Macht und „den FN zum Sieg führen, um Frankreich zum Sieg zu führen“.

Der FN ist nicht nur vom Generationsstandpunkt gesehen zweigeteilt. Auch geographisch handelt es sich um zwei verschiedene Wahlbezirke. Im Süden Frankreichs gehören seine Wähler überwiegend der klassischen Rechten an. Da sich in ihren Reihen vorwiegend ehemalige Algerienfranzosen („pieds-noirs“) finden, vertreten sie vorrangig Fragen der Zuwanderung und der Sicherheit. Im Gegensatz dazu leidet der Norden unter den Auswirkungen der Deindustrialisierung. Eine große FN-Wählergruppe interessiert sich hier vor allem für soziale Probleme, Arbeitslosigkeit, Verfall der Kaufkraft und die Konsequenzen der Sparpolitik. Dabei handelt es sich vorwiegend um ehemalige Wähler der Sozialisten oder Kommunisten. Was erklärt, warum der FN aktuell als die führende Arbeiterpartei Frankreichs wahrgenommen wird. 41 Prozent der Arbeiter votierten bei den Europawahlen für den FN.

Viele sprechen bereits von einer Linkspartei

Wohlweislich lehnt es Marine ab, ihre Partei als eine „rechte Bewegung“ darzustellen. Überhaupt macht sie keinen Hehl daraus, die übliche Rechts-Links-Einteilung abzulehnen. Entsprechend charakterisiert der Journalist Éric Zemmour den FN als eine „komplizierte Synthese aus der Soziologie der Kommunistischen Partei, gaullistischer Mythen, der Unabhängigkeit der Nation und der alten extremen Rechtsnationalen“. Er geht sogar so weit, den FN, zumindest seit den Präsidentschaftswahlen 2012, als Linkspartei zu bezeichnen.

Als sicher kann gelten, daß der FN sich in vielen Punkten von den anderen „rechtspopulistischen“ Parteien unterscheidet, mit denen er nicht nur oft identifiziert wird, sondern auch kooperiert. Im Gegensatz zur Mehrheit lehnt der FN den Wirtschaftsliberalismus strikt ab und prangert häufig den liberalen Kapitalismus, den Freihandel und die Privatisierung an. Außenpolitisch ist er ein entschlossener Gegner der USA und des „Atlantismus“. Als Vorkämpfer eines Rückzugs Frankreichs aus der Nato ist er im Gegenteil sogar sehr Wladimir Putin zugetan und einer Annäherung an Rußland zugeneigt. Im Gegensatz zum Vlaams Belang in Flandern oder zur Lega Nord in Italien positioniert er sich äußerst jakobinisch und feindlich gegen jede Form von „Kommunitarismus“, gegen Regionalisierung und sogar gegen jede Form der Dezentralisierung. Dieser „Jakobinismus“ geht erstens einher mit einer „republikanischen“ Sprache. Einer Sprache, die auf der „Unteilbarkeit der Nation“ fußt. Zweitens steht er für die Rückführung jeglicher religiöser Bekenntnisse in die Privatsphäre unter Beachtung einer strikt laizistischen Konzeption.

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