© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Angekommen im Ufo
Reportage: Der EU-Komplex in Straßburg ist eine Welt für sich. Viel Zeit zum Eingewöhnen haben die Neu-Parlamentarier der AfD trotzdem nicht.
Hinrich Rohbohm

Boah, das Ding sieht ja aus wie ein Ufo“, ruft ein Jugendlicher, als er aus der Straßenbahnstation „Parlement Européen“ aussteigt. Er gehört zu einer deutschen Schulklasse, die der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg beiwohnen will.

Oftmals sind es gerade junge Menschen, die mit ihren Aussagen die Dinge unbewußt auf den Punkt bringen. Schließlich wird die EU und ihre monströse Bürokratie des öfteren als „Raumschiff Europa“ kritisiert, das zu weit von ihren Bürgern Beschlüsse faßt.

„Hier braucht man guten Orientierungssinn“

Ufo. Das paßt irgendwie auch optisch zu dem riesigen runden Glasgebäude, auf das die Klasse zusteuert. Weit entfernt von der Straßburger Innenstadt mit ihren reizvollen Gassen und den malerischen Fachwerkhäusern erhebt es sich aus der elsässischen Landschaft. Vor dem Haupteingang wehen die Flaggen der EU-Mitgliedsländer. Zwei Kameras überwachen den Gang ins Innere des Raumschiffs, das seit dem 27. Mai dieses Jahres auch „Aliens“ beherbergt. Deutsche „Außerirdische“.

Sie heißen Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Beatrix von Storch, Joachim Starbatty, Ulrike Trebesius und Marcus Pretzell. Sieben neue Abgeordnete, die nicht in den EU-Mainstream passen, die der bisherigen Euro-Rettungspolitik widersprechen und somit von den Abgeordneten der etablierten Parteien mit Skepsis, aber auch etwas Neugier betrachtet werden. „Eines kann man schon mal mit Sicherheit sagen“, meint Bernd Kölmel, der sich durch das Gänge-Labyrinth erfolgreich den Weg zum Sitzungsraum der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) gebahnt hat: „Wer Europaabgeordneter werden will, braucht einen guten Orientierungssinn.“ „Man kommt sich da glatt vor wie ein Sextaner“, sekundiert ihm Joachim Starbatty, der froh ist, daß ihm sein Landesvorsitzender Kölmel stets „den Rücken freihält“.

Mit der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments betritt die Alternative für Deutschland (AfD) politisches Neuland. Keiner der sieben Neuparlamentarier hatte je zuvor einem solchen Gremium angehört.

„Es fällt noch schwer, sich zu merken, wo genau alles ist, da werden wir wohl noch einige Tage brauchen“, meint auch Ulrike Trebesius, die gemeinsam mit Hans-Olaf Henkel den Rest ihrer Gruppe sucht. „Es ist schon ein großer Vorteil, daß wir gleich in einer Fraktion mitarbeiten können. Das wird uns den Einstieg hier erheblich erleichtern“, sagt Bernd Kölmel, der vor dem Sitzungssaal WIC 200 steht. Hier findet die Fraktionssitzung der ECR statt, die die AfD kürzlich in ihre Fraktion aufgenommen hat. Jene Fraktion, der auch die britischen Tories, die konservative Regierungspartei von Premier David Cameron, angehören.

„Wir werden von denen ausgesprochen fair behandelt“, erzählt AfD-Chef Bernd Lucke der JUNGEN FREIHEIT. Ein langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter, der kürzlich von der EVP-Fraktion zur ECR gewechselt ist, kümmert sich um die neuen Abgeordneten, hilft ihnen dabei, sich im Parlament möglichst schnell zurechtzufinden.

„Wir sind jetzt in der Findungs- und Kennlernphase“, sagt Trebesius. Erst kürzlich waren sie mit ihren neuen Mitstreitern zu einer gemeinsamen Tagung nach Dubrovnik gereist. Die kroatische Abgeordnete der ECR hatte sie eingeladen.

„Da wurden dann natürlich schon erste Kontakte geknüpft, und wir konnten uns alle einmal näher kennenlernen“, erzählt die 44jährige. Die Landessprecherin der AfD Schleswig-Holstein sitzt in der achten Etage des Louise-Weiss-Gebäudes. Hier hat sie ihr Büro bezogen. Es ist eines von mehr als 1.000, die im Europäischen Parlament existieren. Und die einander ähneln wie eineiige Zwillinge.

Eher positive Erfahrungen mit anderen Fraktionen

Etwa 15 Quadratmeter groß, doppelte Tür, Naßzelle mit Dusche und WC um die Ecke. „Ich hätte da ja lieber einen zusätzlichen Arbeitsraum gehabt“, meint Trebesius. Zwei Computer, ein Schreibtisch, Fax, Telefon und ein paar Schränke gehören zum Mobiliar ihrer neuen Arbeitsstätte. In der Wand hängt eine ausklappbare rote Pritsche.

„Die hatte sich gleich als nützlich erwiesen“, erzählt die studierte Bauingenieurin. Zu Besprechungen der AfD-Delegation hatte die Gruppe ihr Büro auserkoren. Fünf Stunden beraten sie dort zusammen, zu besprechen gibt es viel. Neue Mitarbeiter müssen eingestellt, Ausschüsse besetzt werden.

„Da sind dann auch mal so banale Fragen zu klären, wie Mietverträge für eine Wohnung in Straßburg und Brüssel abzuschließen“. Die Erfahrungen der Parlamentsneulinge sind auch im Hinblick auf Kontakten zu Vertretern anderer Fraktionen weitgehend positiv. „Viele Kontakte gibt es da natürlich noch nicht“, meint Trebesius. Aber mit einem EVP-Mitglied habe sie bereits eine angenehme Unterhaltung geführt.

Daß innerhalb des Ufos ein milderes Klima herrscht als an der rauhen Wetterfront der Wahlkampfstände heimischer Fußgängerzonen hat auch Marcus Pretzell festgestellt.

„Total entspannt hier“, stellt der 40 Jahre alte Jurist aus Ostwestfalen fest. Er habe bereits ein Gespräch mit einem Abgeordnetenkollegen einer anderen Partei geführt. Einem Grünen. „Vollkommen locker“ sei das verlaufen. „Die glauben doch selber nicht an das Märchen von der rechtslastigen AfD“, ist er überzeugt, daß die scharfen Angriffe der Öko-Partei nur zum Wahlkampf gehörten und man jetzt zur Sacharbeit übergehe.

Was die Grünen betrifft, hat Ulrike Trebesius andere Erfahrungen gemacht. Zunächst habe sie mit einer Abgeordneten der Partei ein freundliches Gespräch geführt. „Als ich dann aber sagte, daß ich der AfD angehöre, sind ihre Gesichtszüge regelrecht eingefroren.“

Bei der EVP ist das etwas anders. Während einige höflich, aber distanziert mit der AfD umgehen, wagen sich erste Abgeordnete von CDU und CSU zaghaft aus der Deckung. „So weit sind wir ja gar nicht voneinander entfernt“, sagt einer von ihnen in leisem Tonfall. Aber die CDU-Führung um Angela Merkel habe ja jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Zudem seien die als zu putin-freundlich wahrgenommenen Töne von AfD-Vize Alexander Gauland bei so manchem in der EVP äußerst sauer aufgestoßen.

Und das nicht nur dort. Auch die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahm die Äußerungen zunächst mit Argwohn zur Kenntnis. Doch der Kennlernprozeß unter den Abgeordneten sollte sich positiv auswirken. „Inzwischen sieht man auch bei denen, daß wir viele Gemeinsamkeiten haben und beide die Entwicklungen in der EU zwar kritisch, aber auch konstruktiv begleiten wollen“, sagt Bernd Kölmel.

Der 55jährige hat in Straßburg fast ein Heimspiel, ist in 38 Minuten mit dem französischen Schnellzug TGV von Straßburg in Karlsruhe. „Wenn wir in Straßburg tagen, bin ich praktisch Berufspendler. Aber in Brüssel muß natürlich auch ich mir eine Wohnung nehmen.“ Er hat bereits erste Kontakte ins Nachbarland Polen geknüpft. Da er im Plenarsaal neben einem Vertreter der PiS sitzt, seien beide schnell ins Gespräch gekommen. „Wir haben schon erste Veranstaltungen vereinbart“, verrät Kölmel. Da die Polen einen Euro-Beitritt erwägen, werde er in Warschau einen Vortrag über die Risiken der Währung halten. Im Gegenzug will er den polnischen Abgeordneten nach Deutschland einladen, damit der über die Praxis der Altenpflege in seinem Land referiert. „Da haben wir bei uns nämlich Defizite und können vielleicht etwas von den Polen lernen.“

Miteinander reden und sachorientiere Lösungen erarbeiten, das ist Kölmels Politik-Philosophie. „Das können dann auch schon mal solche kleinen Dinge sein.“ Aktionen wie die der EFD-Fraktion um Nigel Farage sind dagegen weniger sein Stil. Die EFD hatte sich beim Abspielen der Europahymne demonstrativ umgedreht, Vertreter der FPÖ und des Front National sind einfach sitzen geblieben. „So etwas bringt uns in der Sache nicht weiter. Wir brauchen konstruktive Politik.“

„Ich singe da schon aus Respekt vor Beethoven mit“, bekennt Joachim Starbatty, der an der Parlamentsdebatte die zahlreichen unverbindlichen Äußerungen kritisiert. „Da reden die im Parlament alle davon, daß sie Wachstum und Beschäftigung wollen. Natürlich, wer will das nicht? Aber das bleibt alles sehr unkonkret.“ Bei dem Wirtschaftswissenschaftler stoßen derlei vage Aussagen auf Unverständnis. Sein Eindruck von der ersten Plenarsitzung: „Eine Farce. Man denkt, die reden so, wie sie schon immer geredet haben, als habe es überhaupt keine Wahl gegeben.“ Die AfD müsse möglichst schnell ihren Sachverstand einbringen, Probleme analysieren und mit Lösungsvorschlägen selbst Position beziehen.

Abgeordnete fordert namentliche Abstimmung

Auch Hans-Olaf Henkel ist von den Akteuren im Plenum „wenig angetan“. „Aber im großen und ganzen hatte ich mir das auch schon so vorgestellt“, gibt er zu, sich keinen Illusionen über den Ablauf im EU-Parlament hingegeben zu haben. Besonders die Unpünktlichkeit ärgert ihn. „Wenn ein Sitzungsbeginn für 10 Uhr angesetzt ist, dann muß es auch losgehen“, fordert er.

Bernd Lucke ist von den Akteuren im Parlament ebenfalls enttäuscht. „Die Reden waren doch auf einem sehr niedrigen Niveau“, merkt er an. Sowohl der frisch gewählte Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) als auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hätten wenig überzeugend gewirkt. Lediglich eine Stellungnahme des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU) habe sich positiv von den einheitlichen Weiter-so-Aussagen der übrigen EU-Funktionäre abgehoben. Weber hatte an die Parlamentarier appelliert, den Stabilitätspakt nicht aufzuweichen und gegenüber dem Bürger Wort zu halten. Lucke und auch Kölmel zollen ihm dafür mit Beifall ihren Respekt.

Mit eigenen Redebeiträgen hält sich der rhetorisch durchaus versierte Volkswirtschaftsprofessor in seiner Jungfernsitzung zurück. Gefragt ist er ohnehin mehr vor als im Plenarsaal. Zahlreiche Pressevertreter erbitten von ihm eine Stellungnahme zur konstituierenden Sitzung.

Eine erste Wortmeldung der AfD liefert dagegen Beatrix von Storch, die unmittelbar nach der Rede von Martin Schulz eine namentliche Abstimmung über die Wahl des Parlamentspräsidenten einfordert. „Wir wollen den Bürgern zeigen, wer Herrn Schulz ins Amt hebt.“ Schließlich habe ihm der Haushaltskontrollausschuß Amtsmißbrauch vorgeworfen, und die Entlastung des Haushalts sei ihm von allen Fraktionen verweigert worden.

In einem anderen Punkt hat die AfD offenbar noch für deutlich mehr Irritationen gesorgt. Um Steuergeld zu sparen, wollen alle sieben Abgeordneten auf eine Bahncard der ersten Klasse für ihre Dienstreisen verzichten und stattdessen in der zweiten Klasse fahren. Ein Umstand, den es im EU-Parlament offenbar noch nicht gegeben hat. Aus „technischen Gründen“ sei nur die Ausstellung einer Bahnkarte der ersten Klasse möglich, wurde den AfD-Abgeordneten mitgeteilt.

 

In den Ausschüssen

Während Hans-Olaf Henkel zum stellvertretenden Vorsitzenden des Industrieausschusses im Europaparlament gewählt wurde, versagten die Mitglieder des Haushaltsausschusses dem AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke den entsprechenden Posten im Währungsausschuß.

Eigentlich hätte dieser der ECR-Fraktion zugestanden. 21 Parlamentarier stimmten für Lucke, 30 gegen ihn. Da der Volkswirtschaftsprofessor für den Austritt einzelner Länder aus dem Euro plädiert, hatten Grüne und Sozialdemokraten angekündigt, seine Wahl verhindern zu wollen.

Auch Beatrix von Storch fiel bei der Wahl zur stellvertretenden Vorsitzenden im Frauenausschuß durch. Der 43jährigen Rechtsanwältin wurde offenbar ihr „extrem traditionelles“ Frauen- und Familienbild zum Verhängnis.

Foto: Die AfD-Delegation mit ECR-Fraktionschef Syed Kamall (4. von links): Hans-Olaf Henkel, Ulrike Trebesius, Marcus Pretzell, Bernd Lucke, Beatrix von Storch, Bernd Kölmel und Joachim Starbatty (von links)

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