© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Berliner Spionagegeschichten
Geheimdienste: Amerikanische Whistleblower warnen vor der NSA, während Berlin versucht, die Affäre über einen Doppelagenten beim BND kleinzureden
Ronald Gläser

Endlich. Nach seiner anstrengenden Anreise und einem langen Tag im NSA-Untersuchungsausschuß bekommt Bill Binney ein Bier. Ein Ökobier, um genau zu sein. Eine Premiere für den früheren NSA-Direktor.

Vieles ist neu für den Ex-Spion an diesem Donnerstag. Binney wird im Rollstuhl in den Sitzungssaal der Heinrich-Böll-Stiftung geschoben, wo er über die Aktivitäten seines früheren Arbeitgebers berichten soll. Er schaut sich neugierig um. Der 70jährige war bis 2001 NSA-Direktor und ist nach seinem Ausscheiden zum wichtigsten Kritiker der Behörde geworden. Er und der frühere NSA-Agent Thomas Drake (JF 43/12) tingeln seit 2011 durch die Welt und berichten jedem, der es hören will, daß die NSA das gleiche wie „KGB, Stasi, SS und Gestapo“ sei.

Bislang hat jedoch kaum jemand zugehört. Erst die Snowden-Enthüllungen vor einem Jahr haben dem Aussteiger-Duo einen Schub verliehen. Und plötzlich ist Binney zu Gast im Bundestag, um den Abgeordneten von der Überwachung Millionen Unschuldiger durch die amerikanischen Geheimdienste zu berichten. Während Drake und die Geheimdienstkritikerin Jesselyn Radack vom Ausschuß vernommen werden, hat Binney seinen Auftritt bei der grünen Parteistiftung.

Er wiederholt im wesentlichen, was er bereits im Ausschuß gesagt hat: Die NSA ist der Nukleus eines totalitären Superstaates. „Die Vollüberwachung der Gesellschaft ist die größte Bedrohung der Demokratie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg“, warnt er.

Binney erklärt ferner, wie die NSA die Daten hinterher „wäscht“, um sie gerichtsfest zu machen, obwohl sie illegalerweise erhoben wurden. Die Regierung benutzt die Daten auch gegen oppositionelle Gruppen: „Bewegungen wie Occupy oder die Tea-Party-Bewegung sind auch davon betroffen. Die Gründer der USA wollten der Regierung diese Macht untersagen.“

Später wird Binney bei den Grünen seine Aussage über die Verfolgung der Tea Party, deren lokale Gruppen unter anderem in einer konzertierten Aktion der amerikanischen Finanzämter drangsaliert worden sind, wiederholen. Das Publikum applaudiert. Selbst dann noch, als Binney, vorschlägt, bei Wahlen prinzipiell gegen die Amtsinhaber zu stimmen. „Am besten wäre es, wir wählten jemanden aus dem Telefonbuch. Der könnte vermutlich einen Haushalt aufstellen und wäre ehrlich – das wäre in jedem Fall besser als die jetzigen Politiker.“ Die Zustimmung der grünen Basis zu den Tea-Party-freundlichen Thesen Binneys zeigt, wie verschlungen die Frontlinien im Streit um die NSA in Deutschland verlaufen. Politik paradox.

Mysteriöse Vorfälle in der deutschen Hauptstadt

Die Öffentlichkeit sollte von Binneys Vortrag wenig mitbekommen. SPD und Union haben vor der Sitzung festgelegt: Keine Ton-, Bild- und Bandaufnahmen. So gab es keinen Livestream und keinen Fernsehbericht. Die Journalisten waren zudem gerade mit dem Mindestlohn beschäftigt. So blieb die Berichterstattung hinter den Möglichkeiten zurück. Noch gravierender war aber die Enttarnung eines Doppelagenten durch deutsche Strafverfolgungsbehörden am selben Tag. Seitdem dreht sich alles um den 31 Jahre alten BND-Mann, der für 25.000 Euro 218 Dokumente an die CIA verkauft hat, was dessen Direktor John Brennan am Montag zugegeben hat. Die Bundesregierung ist empört über den Vorgang.

Zu Recht? Kritiker vermuten dahinter Kalkül, denn die deutschen Dienste arbeiten ohnehin den Amerikanern zu. Drake nannte die deutschen Geheimdienste im Ausschuß den „Wurmfortsatz“ der amerikanischen. Und weiter: „Der BND tut Sachen, die verfassungswidrig sind. Und er bekommt Daten von der NSA, die verfassungswidrig erlangt wurden.“

Die Affäre um den BND-Spion erinnert stark an die Enthüllung über Angela Merkels abgehörtes Handy. Als das bekannt wurde, hat sich das politische Berlin künstlich aufgeregt, nachdem die Regierung zuvor mehrfach die Affäre für beendet erklärt hatte. Die Amerikaner riskieren die transatlantische Freundschaft, so der Tenor aus Berlin. Konsequenzen hatte diese Sache: keine. Kein No-Spy-Abkommen, keine Entschuldigung, nichts.

Die Amerikaner machen weiter wie bisher. Deswegen riet Binney Snowden dazu, Berlin zu meiden. Auf die Frage des Abgeordneten Christian Flisek (SPD), ob er hier gekidnappt werden könnte, antwortete er: „Sie werden sicher versuchen, ihn auf irgendeine Art zu bekommen, die sie können.“

Daß diese Befürchtung berechtigt sind, hat Binney anläßlich seiner Reise selbst erleben müssen. Nach der Zeugenvernehmung berichtete Jeslyn Raddack, daß Tom Drakes Hotelreservierung in Berlin plötzlich gelöscht gewesen, Binneys Gepäck nicht am Flughafen in Berlin angekommen und Binney während seines Berlinaufenthalts von einem vermeintlichen Geheimdienstmann beschattet worden sei. Diese Aktionen mutmaßlicher amerikanischer Agenten sind keine Einzellfälle. Mehrere Personen aus der Whistleblower- und Hackerszene berichten, daß sie in Berlin, ihrem neuen „Mekka“, verstärkt beobachtet würden. So will die australische Datenschutzaktivistin Asher Wolf drei Fälle von aggressiver Bespitzelung durch amerikanische Spione kennen. Einer davon ist der der italienischen Enthüllungsjournalistin Stefania Maurizi. Die Vertraute von Julian Assange schreibt, sie sei im Spetember „zum ersten Mal im Leben“ beschattet worden. Und auch Assange klagt darüber, 2009 und 2010 von Agenten in Berlin verfolgt worden zu sein. Im September 2013 hatte der Wikileaks-Gründer deswegen Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gestellt. Dort wird die Sache seitdem bearbeitet.

Die Mitschrift der Binney-Aussage zum Nachlesen im Internet: www.netzpolitik.org

Foto: Binney vor dem NSA-Untersuchungsausschuß: „Wir konnten alle E-Mails und Anrufe herausfiltern“

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