© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Wozu tapfer sein?
Seit zwanzig Jahren wird die Bundeswehr im Ausland eingesetzt. Warum genau, bleibt weiter unklar
Nikolaus Heinrich

Bald verlassen die deutschen Soldaten Afghanistan – wenn auch nicht alle, denn eine abgespeckte Mission wird noch dort bleiben. Damit geht der bislang forderndste Auslandseinsatz der Bundeswehr zu Ende. Was aber bleibt nach etlichen Jahren am Hindukusch und nach gut zwanzig Jahren militärischem Engagement Deutschlands im Ausland insgesamt?

Die Bundeswehr des Jahres 2014 ist eine ganz andere als die, mit der sich Deutschland nach der Wiedervereinigung zaghaft auf neues Terrain wagte. Aus einer Armee des Kalten Krieges, deren einziger Zweck war, durch Abschreckung den eigenen Einsatz unnötig zu machen, wurden Streitkräfte, die zum Teil in den entlegensten Weltgegenden Aufträge der Bundesregierung ausführen. Das Selbstverständnis der Soldaten ist ein anderes geworden: Wer nicht in Afghanistan war, hat einen schweren Stand in der Truppe, muß mit abschätzigen Blicken jüngerer Kameraden leben lernen. Somalia, Bosnien und das Kosovo zählen nur halb – da wurde ja nicht richtig gekämpft.

Freilich, eine Armee wie die anderer Staaten ist die Bundeswehr gewiß nicht. Das liegt weniger an den Soldaten selbst als vielmehr am innenpolitischen Umfeld. Welcher andere Staat würde schon seine Streitkräfte ausschließlich in multinationalen Koalitionen einsetzen wollen? Regelmäßig brandet in Deutschland der Ruf nach einer Generaldebatte über unsere Sicherheitspolitik auf, zuletzt als der Bundespräsident feststellte: „Wir sind keine Insel.“ Nur, und daran kann und will auch Joachim Gauck wohl nichts ändern, mit solch wohlfeilen Äußerungen wird die Debatte kaum zu einem befriedigenden Ergebnis zu führen sein.

Selbst Gauck hatte nämlich angemahnt, die Bundeswehr als drastisches Mittel gegen Völkermord einzusetzen. Daß solche Einsätze gut gemeint sind und humanitäre Vorhaben sich deshalb im Begründungsmuster für Auslandseinsätze der Bundeswehr stets an prominenter Stelle wiederfinden, ist nicht verwunderlich. Propaganda gehört zum Geschäft, auch in anderen Staaten. Zur Erklärung dafür, weshalb deutsche Truppen an manchen Orten eingesetzt werden und an anderen nicht, taugt der humanitäre Ansatz gleichwohl nicht. Vielmehr folgen die Deutschen stets anderen, Frankreich oder Amerika etwa – im Stil einer Hilfstruppe, wie manche Kritiker meinen.

Keine noch so intensive Diskussion wird dieses Dilemma auflösen. Es ist diese beherrschende „Last der Geschichte“ der Jahre 1933 bis 1945, die den Deutschen Lösungen zu verbieten scheint, die für andere Staaten selbstverständlich und normal sind. Genau deshalb muß sich die Bundesrepublik auf sicherheitspolitischem Gebiet so unklar positionieren – beschränkt auf hehre Ziele, die in der Praxis immer unter der Verquickung mit realer Politik leiden. Das aber bleibt selbst für Bundespräsidenten das Tabu: Eine Definition materieller Ziele deutscher Sicherheitspolitik gilt als ausgeschlossen und wird von keiner im Bundestag vertretenen Partei energisch verfolgt. Wer, wie einst Horst Köhler, daran rührt, indem er geographische Schwerpunkte, konkrete wirtschaftliche Interessen oder religiös-kulturelle Grundlagen zu detailliert beschreibt, der wird im sicherheitspolitischen Diskurs der deutschen Gesellschaft zum Außenseiter. Solange sich das nicht ändert, wird jede Debatte im Sande verlaufen und durch die nächste Krise ad absurdum geführt.

Ähnlich sieht es bei strittigen Beschaffungsvorhaben aus. Wer nicht will, daß seine Soldaten kämpfen, also Gegner (und unter Umständen auch Zivilisten) töten, der braucht keine Drohnen, der kann die Bestände an Waffen absenken und Munitionsvorräte bis zur Lächerlichkeit herunterfahren. Mahnungen aus der Bundeswehr an Politik und Gesellschaft bleiben ungehört. Ein heute im zivilen Alltag selten gewordenes Loyalitätsverständnis von Soldaten und Generälen schützt die Politik davor, im Diskurs mit der interessierten Öffentlichkeit bloßgestellt und mit unsinnigen Entscheidungen zur Armee konfrontiert zu werden. Die Meinungshoheit bleibt bei moralischen Puristen wie Margot Käßmann, die zwar Schuld bei Soldaten und ihrer politischen Führung sehen, aber in der Welt, wie sie nun einmal ist, nur eine Utopie vom Frieden zu bieten haben und keine Handreichung für wirkliche Krisen.

Der Abzug aus Afghanistan oder die Spannungen in der Ukraine werfen jedoch noch andere Fragen auf. Wie ist zum Beispiel der Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung zu werten, wenn diese nicht mehr „am Hindukusch“ stattfindet? Nicht wenige in den Stäben und Ämtern der Bundeswehr fragten in diesem Frühjahr mit Unbehagen, was man denn machen wolle, würden die Russen eine Fallschirmjägerbrigade in Riga landen lassen. Nach jahrzehntelanger Abrüstung und der Konzentration der verbleibenden wenigen Ressourcen auf die ganz speziellen Anforderungen der Auslandseinsätze ist es um die Fähigkeit zum Führen konventioneller Gefechte schlecht bestellt – in Struktur und Gliederung ebenso wie bei Ausrüstung und Ausbildung, von den nötigen Quantitäten ganz zu schweigen. Worauf aber soll sich die Nach-Afghanistan-Bundeswehr in Zukunft einrichten? Auch dazu wäre ein politischer Konsens wünschenswert, ein Konsens, der über die Konturlosigkeit von Afrika-Strategien und den Traum von einer besseren Welt hinausgeht.

Eine Lösung all dieser Probleme der Deutschen mit ihrer ersten wirklich demokratischen Armee ist nicht in Sicht. Selbst wenn die Medien heutzutage die komplizierten Faktoren von Sicherheitspolitik und Militäreinsatz eingehend beschreiben – auch sie bieten keine Lösungen. Die meisten hierzulande bewahren ein mal kritisches, mal freundliches Desinteresse gegenüber der Bundeswehr. Ständige Abrüstung wird als unvermeidlich befürwortet. Daß uns dafür einmal eine hohe Rechnung präsentiert werden könnte, darauf müßte eine verantwortlich handelnde politische Führung hinweisen. Die ist jedoch nicht in Sicht.

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