© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Knapp daneben
SOS-Zettel und das Gewissen der Konsumenten
Karl Heinzen

Lange schon blickte die Nordirin Karen Wisinka ihrem Urlaub sehnsüchtig entgegen. Endlich, so dachte sie sich beim Kofferpacken, gäbe es auch eine Gelegenheit, die tarnfarbenen Shorts zu tragen, die sie beim Modediscounter Primark gekauft hatte. Als sie diese aus dem Schrank holte, machte sie jedoch eine grausige Entdeckung. In der Hosentasche stieß sie auf einen chinesischen Häftlingsausweis und einen Zettel, auf dem sie lediglich das alarmierende Kürzel „SOS“ entziffern konnte. Für die Übersetzung des Rests sorgte das global ausgerichtete Menschenrechtsunternehmen Amnesty International. Der Autor gab sich als Insasse eines Gefängnisses in der Provinz Hubei zu erkennen und beklagte, jeden Tag bis zu 15 Stunden für den Export schuften zu müssen. Man arbeite wie „Ochsen und Pferde“ und bekäme doch nur den „Fraß von Hunden und Schweinen“.

Geiz ist nur dann geil, wenn er nicht zur Schnäppchenjagd, sondern zum Konsumverzicht führt.

Karen Wisinkas Fund ist kein Einzelfall. In jüngster Zeit sind in Großbritannien zwei weitere in Primark-Produkten versteckte Zettel bekanntgeworden, in denen anonyme Schreiber über „Arbeit bis zur Erschöpfung“ und „erniedrigende Bedingungen“ berichten. Das Unternehmen hat versprochen, sich um Aufklärung zu bemühen. Ihm sei allerdings nicht bekannt, daß Produkte aus seinem Sortiment in chinesischen Strafanstalten gefertigt würden.

Ob die Botschaften authentisch sind oder nicht, spielt aber gar keine Rolle. Es geht hier ums Prinzip. Die Primark-Kette erlebt einen steilen Aufstieg, weil sie modisch geschnittene Kleidung in angesagten Farben zu Dumpingpreisen anbietet, obwohl die Qualität alles andere als minderwertig ist. Damit lockt sie ein vorwiegend jugendliches Publikum in die Läden, das vor lauter Freude, mit kleinem Geld große Wünsche wahr werden zu lassen, völlig ausblendet, welche Verantwortung es für nachhaltiges Wirtschaften und mehr Gerechtigkeit trägt.

Junge Menschen sollten den Skandal daher als Appell an ihr Gewissen verstehen. Wer billig einkauft, macht sich schuldig am Elend anderer. Geiz ist nur dann geil, wenn er nicht zur Schnäppchenjagd, sondern zum Konsumverzicht führt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen